OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1965-66 / 1965-12-29

Mittw. 29. Dez.

Viel in Sorensens "Kennedy" gelesen. Interessant. Man sieht die Macht des Geldes: er konnte sich alle Assistenten, Sekretäre usw. leisten, alle Reisen machen, Dinners geben etc. etc. Kein gewöhnlicher "Kauf" von Stimmen (viell. das auch noch, wie gesagt wurde), aber die Entfaltung von Gelegenheiten. Dazu ein intelligenter Mensch, zielbewusst etc. Er gefällt mir besser als Johnson & Eisenhower.

Nun muß ich mich zurechtfinden: neues Semester (Dogmengeschichte; Salin scheint nun wirkl. an seiner Neuausgabe zu arbeiten. Sie wird sich mehr mit den Ideen, weniger mit theor. Modellen befassen), Plowshare (wo noch keine wirkl. Ideen gekommen sind) & das MS mit Thompson.

Vietnam "is a mess". Wie falsch McNamara, Taylor & a. waren! Aber es scheint ihnen nicht zu schaden. So ist die Politik: die anderen müssen die Folgen von Fehlern tragen. Dabei redet man von "Verantwortung" – aber wie wird sie durchgeführt? Ich werde immer ungeduldiger mit Historikern, die schliesslich alle glorifizieren. Nimm Luther: ein Barbar erster Güte in seiner Haltung bei den Bauernkriegen. Aber das wird ihm verziehen, es wird kaum erwähnt, ja es ist unpassend darauf hinzuweisen. Warum ist das weniger wichtig als eine "Thesen", der Kampf gegen den Ablass? – Usw. –

Gemini 6 & 7 waren grosse Erfolge. Nun weitere Nachrichten über Quesars, & die Ungewissheit über die Rotverschiebung, das ständige Ansteigen des "Alters" des Universums, die neuen Entdeckungen betreffs DANN & nun über das Gedächtnis – alles das macht die herrschenden religiösen Ideen immer merkwürdiger. Wie primitiv die Ägypter, die glaubten Katzen seien Götter, die Inder heute mit ihren Kühen; von dort bis zum Christentum ist doch kein weiter Schritt. Die Krise der kath. Kirche geht doch sicherlich letzten Endes auf die Wiss. zurück die allmählich in das Bewusstsein der Massen eindringt. Ebenso wird die Leninistisch-Marx. Kirche absterben (noch schneller). Aber so wenig verbleibt, außer des sich wunderns über die Grösse des Weltalls, den Ursprung des Bewusstseins. – Habe Gödel kurz gesprochen & wir sind sehr darauf bedacht uns ehestens länger zu unterhalten.

Das Dictaphone, das ich hier benützen wollte, bes. um den Ford Ber. zu machen, ist in einem Closet, zus. mit unserem Alkohol, dessen Schlüssel wir in P. vergessen haben! Johnson war gerade da, kann es auch nicht öffnen. Wir besprachen den unteren Raum, den wir fertig machen wollen, (auch eine Terrasse). Das Haus ist wunderbar, wie Lage, See, Bäume. Allmählich entsteht das Gefühl, daß es uns wirkl. gehört (& bezahlt!!) & wir hier auch zu Hause sind. Die Kinder werden es in späteren Jahrzehnten mit ihren Kindern geniessen & danken. Es freut mich, daß ich so etwas einmal mitschaffen konnte. Dorothy hat wahre Wunder vollbracht, auch mit der Innenausstattung, bis auf Vorhänge, Besteck u.a.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1965-66, Eintrag 1965-12-29
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.39)