OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1968-70 / 1968-09-26

Wien 26. Sept. Do.

Hier am 24. aus Zürich angekommen. Fand eine Nachricht von Gerh. Haberler: solle sofort ins Spital, starke Verschlechterung. Nun – Hannchen liegt im Sterben. Sie erkannte mich noch, für einige Zeit – aber am Abend, gestern & heute wohl kaum; viell. hat sie ein vages Gefühl daß ich da war; Es ist unsagbar jammervoll. Sie isst nichts mehr, kann nichts verständliches mehr sprechen, die Augen fast geschlossen, gelegentlich ein Zeichen eines Schmerzes. Blutdruck 90/65! Rapider Puls. Die Ärztin sagt sie habe Krebsstellen an der Gehirnschale, die Durchblutung des Gehirns lässt nach –. Es könnte Stunden, Tage, selbst Wochen dauern. Man sitzt bei ihr & kann gar nicht kommunizieren. Es ist so wie bei Johnny, nur ist sie noch motorisch, während er zum Schluß ganz still lag & nicht einmal lallte. Warum müssen sie so elend sterben?

Sie liegt im selben Zimmer 10, dem gleichen Bett wie voriges Jahr. Gretl Hammer war da & nimmt sich aller Sachen sehr an; Fr. Kompus ist jetzt eine Art Privatpflegerin. Ich habe Dorothy geschrieben, werde aber heute oder morgen mit ihr telefonieren (was sie ohnehin erhofft) –

In Zürich: allein hingeflogen, Feidler mußte im letzten Augenblick absagen. Cott kam aus Florenz. Wir assen im Grill, Baur an Lac, sehr gut & besprachen den Besuch in Vaduz. Ich hatte Wilhelm 2 x angerufen. Er war ganz konfus, wusste angeblich nicht daß Cott die Preise wusste (dabei hatte Karl Alfr. mir sie bestätigt & schrieb daß W. sie für gut befand!) etc. Wir fuhren Dienstag mit Zug, W. holte uns nicht ab, schickte (auf mein Drängen) ein Taxi; Die Bilder standen am Boden in seinem Büro, nicht einmal auf einer Staffel. Keine Papiere, Xrays etc. Wir 2 lunchten allein da er "eine Verabredung hatte"! Er kam ins Rest. als wir fertig waren, wir gingen in die Ausstellung, dann per Taxi nach Sargaus; er nicht. Cott sagte er sei ein "contadino". Ich glaube daß ausserdem etwas unterbewusstes mitspielt: er mag es nicht, daß verkauft wird. Dabei hat er wohl von dem Rembrandt profitiert? Am Abend lange Disk. mit Perry: er sei nicht begeistert. Der Rubens sei ein Van Dyck & sie hätten genug von ihm. Der Rafael "bewege ihn nicht". Er würde kaum einen positiven Vorschlag machen. Wegen der Preise? Nein. – Als ich sagte, dann sei ich frei sie anderen anzubieten, blockierte er mich: es könne sich manches ändern, er werde mich verständigen etc. Merkwürdig. Er möchte den Rubens Kinderkopf & Breughel. Offenbar glaubt er ich könne das zustande bringen (R: $ 3.5 Mill?! Kein Protest). Er wird mir noch nach Wien Nachricht geben. Sonst gehe ich zu Hoving, wo die "drastische" Herabsetzung ¾ Mill. sein könnte. Das werde ich heute Abend mit KA. besprechen.

Schwer zu schreiben; mir steht immer das Bild der armen Schwester vor Augen, die mit dem Tode ringt. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1968-70, Eintrag 1968-09-26
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.41)