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tagebücher / 1968-70 / 1968-09-27

Freitag 27. Sept.

Gestern Abend mit Dorothy tel. Wie wunderbar ihre herrliche Stimme zu hören & daß alles gut geht & ihr Kiefer-Ohrenschmerzen ganz vorbei sind. Sie kommt Mittwoch und es wird vollendet sein sie wieder bei mir zu haben. Kein leben ohne sie – Heute ein langer, guter Brief von ihr.

Bei Hannchen mehrere Male, & auch Gerh. Hab. wieder getroffen. Selbst er sagt, was für eine Quälerei sie mit allen Künsten am Leben zu halten. Sie kann ja nicht einmal Nahrung zunehmen und magert täglich ab. Ist in einem Dämmerzustand, quasi coma. Ich sitze da & kann gar nichts tun. Da stehen vor den Augen, wie sie früher war. Ein schwieriges, kompliziertes Leben; aber ich habe versucht ihr etliches zu geben & sie hat das genossen. Aber gefehlt hat ihr der Mann – wie traurig. Ich fand in der Wohnung eine Notiz voller Selbstquälerei; sie endete: "heute träumte ich herrlich daß ich ein Baby haben würde". Warum hat sie das nicht verstanden?

Gestern bei Liechtensteins, wo noch Monsignor Ungar, ein Prälat der am Wege nach Biafra war (Sohn eines Rabbiners (orthod.)) & ein Cesch. Student der Psychol., geflüchtet. Karl Alfred & ich separierten uns, sprachen über die Bilder. – Alles sehr düster wegen der Russen, Glaube an Okkupation von Rumänien & Jugoslavien mit Seebasen an der Adria etc. Durchaus möglich. Umso wichtiger wäre mein Vorschlag, der, wenn von USSR abgelehnt uns zu stärkerem Handeln Freiheit gäbe. Agnes brachte mich zum Hotel: sie hat ein neues, winziges Auto (Renault) das sie unbedingt zeigen wollte.

Heute L. mit Mr. Dent (ex: Deutsch). Er erkannte mich nach über 40 Jahren! Wir hatten zur gleichen Zeit studiert. Lebt in Canada, ist reich geworden (Plastische Industrie). Ganz nett.

Schlechter kam: Es ist ziemlich schlimm an der Univ.; Streissler ein grosser Intrigant (was wir wissen) er hält die Mengenlehre z.T. für Unsinn, z.T. obvious (!) etc. Sch. sagt: habilitieren und dann bald fort. Er macht einen aufgeweckten Eindruck. Von Spielth. wissen die Univ. Ök. gar nichts –.

Bruckmann kam gestern über das Institut zu diskutieren. Er ist ein mögl. Direktor & sollte sich heute entscheiden.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1968-70, Eintrag 1968-09-27
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.41)