OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1968-70 / 1969-01-26

So. 26. I.

Vorhin sind Dorothy & Carl nach Bl Mt L. gefahren & kommen Donn. wieder. Hoffentlich haben sie guten Schnee. Es wird ihnen beiden gut tun beisammen zu sein. Godfrey kommt auch hinauf, fährt unabhängig. Ich bleibe bei Karin, was uns auch gut zus.bringt. Morgen muß ich ins Spital zu Dr Varney (nur Visite) da ich offenbar eine Infektion habe, bekam Antibiot., aber sie klärt sich bereits. Sonst geht es mir täglich besser. Ich bin im Speisezimmer (sehr schön, mit dem Grass cloth, nur fehlt ein wirkl. guter Sheraton side-board) & höre ein Beeth. Streichquartett (# 15) auf der neuen, hervorragenden Maschine.

Also der Geburtstag war schön. Abends gefeiert, da Carl noch Xmen hatte, nun alles vorbei. Was für eine wunderbare Familie! Was für ein ständiges Geschenk für mich!

Do. mit Fabian n. N.Y., MRCA Bd meeting. Ich hatte mit 3 Dir. mehrfach vorher tel, das Blair Angebot diskutierend & die Folgen war sehr erfreulich: Alle waren für Verkauf, viell. 20-15 % zu behalten (was uns recht ist) und nun werden die Verhandlungen mit Blair beginnen. Barton war offenbar von der Einhelligkeit überrascht & machte schliesslich mit. Osborn soll 2-3 Bilanzen für MRCA aufstellen, in denen gezeigt wird, was $ 750 000,- bedeuten. (Bei einer Bankschuld von ~ 900 000,-!). Barton gab sogar zu daß man bald eine Sondersitzung des Bd haben müsse. Wir werden die Sache nicht einschlafen lassen. Wir haben gut manövriert; keine schlechte Stimmung, im Gegenteil. Nur muß es dabei bleiben. Tibor & Harald K. sind sehr zufrieden. T. hat natürlich grosse Ideen, sieht in 4-5 Jahren unsere 10% ?15% ? ˜ $ 1 Mill. – weit übertrieben.

Gestern kam Mr. Henry Zenzie her, Partner von Kidder, Peabody; Fred Moore (dtto) hatte ihn geschickt. Sehr intelligent, kennt sich in Wall St. sehr gut aus, alle üblen Schliche, denen man ausgesetzt ist & die man vermeiden muß usw. Zunächst an Midland Cap. interess. Dann: Vorschlag ich solle Partner in einem Inv. "Club" werden. Genau, lange besprochen. Die Idee & Technik sehr gut & vernünftig & genügend Geld dahinter. Man will kleinere Unternehmen finden, ausbauen & verkaufen. Oder auch in blue Chips investieren, falls etwas neues sich entwickelt. Also z.T. Midland, z.T. was ich immer bei Scudder versuchte, die das nicht kapierten. Zenze voll Verachtung für Chartists etc, versteht, was ich (Kap. I) "insicle inform. oft he 2nd kind" nenne. Ich werde meine Scudd. Spec. verkaufen & insg. $ 15-20 000,- riskieren. Aber ich muß auch Geld für weitere Math. Aktien reservieren. Mo schickt er mir Material.

Mit McNally tel. Er hat noch immer nicht den Bericht seines Mannes v. Anderson! Er fährt am 3. Feb. nach Saigon etc., will aber sehen ob er nicht vorher alles in Ordnung bringen könnte. Es wäre höchste Zeit. Habe an Karl Alfred geschrieben, daß keine Änderung vorliegt.

Am Geburtst. kam ein sehr schönes Buch aus Leningrad, mit Widmung (z. Geb!) von Vorobe'ev. Es handelt von Holzschnitzerei, sehr schöne Photogr., gutes Papier etc. Ich war erstaunt. Wenn er nur endlich kommen könnte.

Einladung via von Dagum von Univ. of Mexico, Coll. de Mex. auf 1 Monat nach M. City im Sommer zu kommen, 3 x wöchentl. Vorles. über Spielth.; 2 Tickets. Dor. will in Bl Mt. L. mit Karin bleiben & solle Carl mitnehmen, was ihm gefiele. Am Wege möchte er in Berkeley mit Bremermann sprechen (den der voriges Jahr nicht aufsuchte, trotz m. Empfehlung) da er sein Buch hat, daß er in seiner Vorlesung bracht (die er besuchen will, falls er Univ. Schol. wird). Carl ruft täglich an, diskutiert Brain, neurous, time series, non-parametric tests, etc etc. – es ist ganz wunderbar. Wo war ich als ich 18 war – in einem Dämmerzustand, & trotz vieler Versuche niemand half. Dabei las ich Bohr's kleines Buch über das Atom, Einstein's "popul." Büchlein über Relativität, Kant, Schopenhauer usw. Aber keine Führung; Larsen verstand nichts, Hausner war zwar nett aber ausweichend, die anderen unbedeutend & keine Schulkameraden, die voraus waren; viell. Leipen (der "Lebenskünstler" werden wollte, anscheinend nach Mexico gelangte(?)). Es ist merkwürdig durch wie viele Zufälle – kombiniert mit eigener Initiative!! – ich aus allem herausgeführt wurde. Und was ich mir alles habe entgehen lassen! (Natürlich statt des Entgangenen habe ich anderes getan, & bereue kaum etwas).

Am Freitag habe ich mich entschlossen "Meditationes Economicae" aufzuschreiben, d.h. verschiedenes über Indiff., Person & funct. distrib., Produktionsth., Pareto Opt. etc. so als mélange. – Nun aber zuerst das Buch.

H. Frisch war hier & arbeitet mehr am v. N. Modell & die KMT & MT Verallgemeinerung. Mittw. kommt Gerry Thompson z.T. deswegen. Wir haben auch einige neuere Ideen. –

Später:

Schon lange, aber zunehmend, ein unangenehmes Gefühl das sich steigert je weiter man in den Weltraum vorstösst, ob mit Menschen oder Instrumenten. Die Erde, sinnlos um die sinnlose Sonne kreisend – die grenzenlose Leere & die undenkbaren Entfernungen. Auch wenn wir "nicht alleine" sind, so sind wir es doch weil alles unerreichbar ist (nämlich dort wo es viell. darauf ankäme). Die Absurdität der Kirchen & Religionen. Wie viele Götter sind nicht gestorben! Ein merkwürdiger Zwang für die Menschheit sich mehr mit sich selbst zu beschäftigen & sich gegenseitig des Lebens zu erfreuen – und wie weit wir von dem entfernt sind. Das Gegenteil: wir zerstören uns selbst durch Vermehrung & durch Plünderung des Planeten. Dabei könnte es einem einzelnen gleichgültig scheinen: jetzt – aber nicht so selbst für die nächsten par Jahrzehnte in denen wir noch, und hoffentlich unsere Kinder leben. Wie seltsam daß wenn die Wissenschaft leuchtende Erfolge erzielt, die wahre Krone des Menschentums, dies in Wirklichkeit die traurigste Zeit einläutet – ausser es käme eine Rettung, die von unvorstellbarer Grösse sein müsste. Wo ist sie?

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1968-70, Eintrag 1969-01-26
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.41)