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tagebücher / 1968-70 / 1969-03-16

So. 16. III.

Je mehr ich auf mein Leben zurückblicke desto weniger bin ich befriedigt mit dem was ich geschaffen habe. Die Krone jedoch: Dorothy, Carl & Karin. – Die Zus.arbeit – natürlich – mit Johnny. Aber sonst? So viel verpasst. Wenn ich mir ansehe, was unsere guten jungen Leute leisten – Heiss, Klevorik, Shubik (schon älter), usw. so graut mir wenn ich mir meine frühen Schriften ansehe. Es war damals ein Kampf: die Methoden existierten z.T. nicht, z.T. waren sie unzugänglich (aber der Instinkt war da bei mir: das Suchen nach Math, Logistik, … aber keinerlei Führung; statt dessen versunken in tägl. Arbeit des Instituts, absurde Bemühungen um öst. Wirtsch. & Politik – Auch: wozu habe ich das NBER Buch geschrieben?! Die enorme Anstrengung & Zeit hätte ich lieber der Spielth. widmen sollen. – Jetzt geht das wohl alles zu Ende: noch: Thompson - & v N Model; integral G; G ? & //; (M, n+1, G), - viell. einmal die Meditationes Oeconomicae. – Nun will ich mich mehr & mehr der Mathematica widmen.

Gestern mit Dor. tel: alles geht gut. Sie kommen erst Dienstag wieder.

Später:

Lunch mit Heiss bei Lahière; das Essen erbärmlich; ich schickte es zurück. H. gut, wie immer. Dann kurz im Office; & zu Carl ins Laboratorium. Er war gut wie immer – sein sanfter Humor, die Wärme. Unsere Beziehung könnte nicht besser sein. Er fragte auch "When does your wife come back?" (er hängt sehr an Mutter & Schwester). Diskuss. über seine Ratten, die neue electron. Anlage die sie erhoffen; er las mir den Brief an Metcalf vor, der sehr competent ist. Dann Dis. über "brain". Ich sah ein Buch über Psychopathol. "Das ist gar nicht gut! Der Autor versteht nicht, daß es alles, z.B. Schizophrenie, chemisch ist" Ich traute meinen Ohren nicht. Er hat mir immer die chem. Analyse abgelehnt. Er lächelte "sheepishly" als er das sagte. Nächstes Semester will er Chemie belegen. Wie nett, daß er sieht wie er sich entwickelt. Kein Zweifel: bei ihm hat man (was so viele spüren): The shock of recognition. – Wie traurig daß ich nie wissen werde wo er in 20 Jahren stehen wird. Aber wenn die Welt weiterlebt & er gesund bleibt wird es weit sein –. Aber ich habe die grosse Freude gehabt – von seiner Geburt an – ungebrochen. Obwohl ich als Vater voreingenommen sein mag, liegt hier doch objektiv viel ungewöhnliches vor.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1968-70, Eintrag 1969-03-16
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.41)