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tagebücher / 1970-71 / 1971-04-11

Ostersonntag 11. April

Schönes Wetter; gestern kalt & windig.

Haberlers kamen z. Lunch. Sie bemühten sie diesmal angenehm z. sein; Dorothy hatte wie immer ein ausgezeichnetes Essen bereitet & in ihrer erstaunlichen Art führte die Gespräche auf gute Themen, zeigte Interesse an ihnen usw. (Sie wäre glänzend für einen Diplomaten, Staatsmann, für ein grosses Haus – sie hat wirkliches Talent & hohe Begabung). H's haben ein Haus in Washington gekauft & übersiedeln. Er ist 1½ Tage Consult. f. Treasury & irgendwie am Enterprise Institute. Es war besser als die letzten Male. Karin erstaunte; Fragen über Carl, keine über meine Tätigkeit, Publikationen, Ma; sehr komisch. Ich erwähnte den Shuttle, aber das wurde sofort abgeschüttelt. (!) Gottfried sah Schüller, der ihm erzählte wie er 1889 (!) am Menger Seminar teilnahm. Sprach von Schiff, Voegelin, Seiler etc. Alle werden alt – so geht es uns. Wenn ich daran denke, daß ich fast genau so alt bin, erstaunt es mich, weil ich es nicht fühle: Dorothy, Carl, Karin!

Vorher war ich lange bei Gödel. Er schaut besser aus denn je, gibt gern zu daß es ihm gut geht, ist heiter, lebendig. Ein wahres Wunder. Mir ist er offenkundig sehr zugetan. Wir tel. häufig; jedesmal fragt er einzeln nach der ganzen Familie. Carl will er gerne sehen & ich habe immer Botschaften zw. beiden. Wir sprachen viel über Politik, die Welt im Allg. Carl hatte gefragt ob es besser für die Entw. der Math. sei wenn die Contin. Hyp. wahr sei, oder falsch. Gödel sagte: Wenn x festgestellt werden kann – was immer es sei – sei es gut für die Math. – Seine enorme Fußnote zur Dialectica Abh. ist noch gewachsen. Jetzt ist ihm in den letzten Wochen ein neues, vereinfachtes Formalsystem eingefallen. Ich sagte er solle die Fußnote kürzen & einen neuen Aufs. schreiben, was er wohl tun wird. Aber er sitzt so lange auf seinen Arbeiten. Den neuen ontolog. Gottesbeweis haben wir noch immer nicht im Detail diskutiert, die Zeit lief aus. Ich staune immer wie er über die Welt denkt; d.h. er liest Zeitungen nur in Abständen, ist aber über das Wesentliche sehr informiert.

Am Abend Nachtmahl bei Chows. Gutes reichliches, chin. Essen. Noch 2 Kuhn, 2 Levy, 2 Jensen, 2 Kelejian; Manche dieser Leute bes. Kuhn & Levy haben gar keine "soc. Graces", sind linkisch, unbeholfen usw.

Nun an das neue Proposal f. Nasa für 6 Mon. Fortsetzung (~ $ 250 000,-).

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1970-71, Eintrag 1971-04-11
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.42)