Gustav K[arl] Bienek

Patriot und Verbrecher. Ein altösterreichisches Erfinderschicksal

In: Arbeiterkalender 1946. Herausgegeben im Auftrage des Parteivorstandes der Sozialistischen Partei Österreichs von Herbert Kohlich. Wien: SPÖ, »Vorwärts« KG. 1946, S. 113–116.

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GUSTAV K. BIENEK:

Patriot und Verbrecher

Ein altösterreichisches Erfinderschicksal

Als das vormärzliche Österreich des Kaiser Franz, dem Beispiel anderer Staaten folgend, Papiergeld einführte, hielten die Unheilpropheten und Miesmacher dies für ein Zeichen des kommenden Weltuntergangs. Diese unvermeidliche, währungspolitische Maßnahme stieß auf die Ablehnung des Volkes und es bedurfte einerseits größter Bürgschaft von seiten des Staates, andererseits strengsten Druckes, um das Publikum zur Annahme der Banknoten zu bewegen. Die Wiener hatten eben zu ihrem alten runden Silbergulden, den man in der Hand spürte und dessen Klang für seine Echtheit bürgte, mehr Zutrauen als zu den »Bankozetteln«. Aber selbst hohe Staatsfunktionäre hielten es damals für durchaus möglich, daß der Staat durch geschickte Fälschung von Banknoten in den Bankrott getrieben werden könnte. Man versuchte dem einen Riegel vorzuschieben, indem man ein Gesetz schuf, das Banknotenfälschung mit der Todesstrafe bedrohte.

Bisher war, Gott sei Dank! nichts passiert, die Guldenzettel hatten sich bereits eingebürgert and Fälschungen waren nicht festgestellt worden. Da gab es Frühjahr 1826 eine große Sensation: der erste österreichische Banknotenfälscher hatte seine Visitenkarte abgegeben. Die Kunde verbreitete sich wie ein Lautfeuer. Sogleich verweigerte ein Teil der Bevölkerung die weitere Annahme von Papiergeld, vor der Nationalbank drängten sich tausende Menschen, die ihre Scheine gegen Silber umtauschen wollten, das Geschäftsleben geriet in Stockung und man befürchtete das Ärgste. Da es nicht mehr möglich war, die peinliche Affäre zu vertuschen, sah sich die Polizei gezwungen, über den Vorfall einen genauen Bericht zu veröffentlichen.

Was also war geschehen?

Am 20. März kam ein Mann in eine Eisenwarenhandlung auf der Wieden, machte dort einen größeren Einkauf und bezahlte mit einer Fünfundzwanzigguldennote. Dem Geschäftsmann kam das Papier ungewöhnlich dick vor. Er untersuchte daher den Geldschein mit dem feuchten Finger und merkte zu seinem Erstaunen, daß er abfärbte. Der Mann wurde festgehalten und nach der k.k. Polizei-Oberdirektion am Petersplatz gebracht, wo sich seine Schuldlosigkeit jedoch sehr bald herausstellte. Er war als Angestellter der neuen Garnspinnerei in Gramatneusiedel [!] von seinem Direktor beauftragt worden, verschiedene Besorgungen zu machen und hatte zu diesem Zwecke die Fünfundzwanzigguldennote mitbekommen. Inzwischen hatten die Sachverständigen festgestellt, daß diese Banknote auf gewöhnlichem Briefpapier mit Feder und Tusche gezeichnet und mit Wasserfarben koloriert worden war.

Sogleich begaben sich Polizeibeamte nach Gramatneusiedel [!] und verhafteten den Direktor der Spinnerei namens Franz Xaver Wurm, der gar nicht den Versuch machte, die Fälschung in Abrede zu stellen. Dies machte den Fall noch interessanter, denn Direktor Wurm war den Wienern kein Unbekannter. Er hatte vor einiger Zeit viel von sich reden gemacht, als ein Mann, der sich bemühte, in

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Österreich die Textilindustrie nach englischem Vorbild einzurichten. Es war die Zeit, wo die Industrie sich in Europa zu entwickeln begann In Frankreich, insbesondere aber in England gab es bereits große Spinnerei- und Webereifabriken, deren Einrichtung Franz Xaver Wurm mit großem Eifer studiert hatte. Er selbst erfand eine Hechelmaschine, die an Leistung die bisherigen Maschinen dieser Art weit übertraf. Seine nächste Erfindung, eine Flachsspinnmaschine, war besser als die besten englischen. Wurm hätte durch den Verkauf seiner Erfindungen nach dem Ausland ein reicher Mann werden können. Er begriff jedoch nicht die Tragik, die darin lag, zu Zeiten des Kaiser Franz ein Österreicher sein zu wollen, und weigerte sich beharrlich, seine Erfindungen anderswo als in Österreich auszuwerten. Dennoch stieß er überall auf Ablehnung. Man verstand ihn nicht, hielt ihn für einen Phantasten und sah in ihm nichts als einen jener listigen Petitionisten, deren es ja leider genug gab. Die österreichischen Staatsmänner hatten andere Sorgen, als in Österreich eine Industrie aufzubauen, die dem Volke hätte Arbeit und Wohlstand bringen können. Man hielt die ständige Vergrößerung der Industriearbeiterschaft, wie sie in England und Frankreich zutage trat, für ein gefährliches Experiment und glaubte, daß die Verwendung moderner Maschinen zur Verarmung und Verelendung beitragen müßte.

Franz Xaver Wurm kämpfte jahrelang für seine Ideen. Die englische Textilindustrie war bereits zur wichtigsten Nationalindustrie geworden. Zehntausende Spindeln surrten in England Tag für Tag, und machten sich den Weltmarkt untertan. Dies veranlaßte einige weitsichtige Männer, Franz Xavers Erfindungen näherzutreten. Endlich wurde bei Gramatneusiedel [!] eine Spinnerei mit Wurmschen Maschinen eingerichtet und der Erfinder selbst zum Direktor bestellt. In den Kanzleien atmete man auf. Der Quälgeist rannte nicht mehr die Türen ein, er saß draußen in seiner Fabrik, die zur Zufriedenheit arbeitete, und man hörte nichts mehr von ihm, bis zu jenem 20. März, wo er als Banknotenfälscher entlarvt wurde.

Alle Reaktionäre, und insbesondere die Feinde der Industriealisierung triumphierten. Da sah man wieder einmal, wohin all die modernen Bestrebungen führen mußten: direkt ins Kriminal! Wo käme man hin, wenn jeder Fabriksdirektor Banknoten fälschen würde, um sein Unternehmen vor dem Konkurs zu retten?

Die Polizei stand vor einem psychologischen Rätsel. Was hatte Franz Xaver Wurm, diesen hochbegabten, ehrlichen und fleißigen Menschen, der überall den besten Leumund besaß, dazu veranlaßt, den Weg des Verbrechens zu beschreiten? Sein Unternehmen arbeitete mit Gewinn, er verfügte über ein gesichertes Einkommen, führte einen geordneten Haushalt und hatte keine Schulden. Niemand vermochte ihm vorzuwerfen, daß er ein Trinker, Spieler oder Frauenfreund gewesen wäre. Und doch hatte er eine Tat begangen, die mit dem Tode bedroht war.

Die Verwunderung stieg, als man bei ihm genaue Aufzeichnungen darüber fand, wie viele Banknoten er gefälscht und an wen er sie verausgabt hatte. Er erklärte, diese Feststellung gemacht zu haben, um den entstandenen Schaden später wieder gutmachen zu können. So entrollte sich der Behörde allmählich das Buch einer echt altösterreichischen Tragödie, die auf die Verhältnisse im Vormärz ein grelles Schlaglicht wirft.

Während Wurm sich vergeblich bemüht hatte, seine Erfindungen in Österreich zu verwerten, hatte man sich dieser in England ganz einfach bemächtigt und ihnen das Patent erteilt. Darüber entspann sich ein langwieriger Prozeß, den Wurm zwar gewann, der jedoch sein privates Vermögen und die Kapitalien der Gramatneu-

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siedler Fabrik aufzehrte. Dazu kam noch Wurms sonderbarer Charakter. Niemals war er mit dem Erreichten zufrieden. Innere Unrast trieb ihn zu immer neuen Versuchen, eine Verbesserung folgte der anderen und er warf eine Maschine, kaum sie aufgestellt war, zum alten Eisen, um sie durch eine neue und bessere zu ersetzen. Dies kostete nicht nur Geld, sondern störte auch den Betrieb. Wurm aber konnte nicht anders; er war ein Besessener, der furchtbar unter der Enge der Verhältnisse litt. In England hätte man diesen genialen Techniker mit offenen Armen aufgenommen und es fehlte auch nicht an Versuchen, ihn der englischen Industrie zu gewinnen. Das Ausland wußte sehr genau, wer er war, und was er konnte. In Österreich jedoch, wo die Vernunft nur Ausgang hatte, wenn die Behörde es erlaubte, warf man ihm Prügel zwischen die Beine. Und dennoch wurde Wurm niemals österreichmüde wie so viele seiner Zeitgenossen. Er war ein Österreicher und wollte es bleiben, hier war sein Vaterland und hier sollten seine Maschinen segensreich wirken.

In seiner Not führte ihn der Zufall mit einem Schicksalsgenossen, dem Wiener Mechaniker Besetzny zusammen. Besetzny gehörte derselben Menschenart an wie Wurm, von Natur aus reich begabt, allem Neuen zugewandt, ein Versteher und Könner, der nur auf einen besseren Platz hätte gestellt werden müssen, um dem Fortschritt zu dienen. Er zählte ebenfalls zur Klasse der bei den österreichischen Behörden so gefürchteten Gschaftelhuber und Bittschriftsteller, erschien eines Tages beim Kaiser Franz in Audienz und überreichte dem Monarchen einen Bogen Papier, in dem sich die gleichen Wasserzeichen befanden wie auf den österreichischen Banknoten. Besetzny hatte sie selber hergestellt und wollte damit beweisen, wie leicht Banknoten zu fälschen seien. Zugleich jedoch gab er dem Kaiser eine von ihm erfundene Art bekannt, Wasserzeichen so auszuführen, daß sie nicht nachgeahmt werden könnten.

Kaiser Franz war darüber sehr verärgert. Der von dem Mechaniker in patriotischer Absicht unternommene Versuch grenzte in seinen Augen hart an ein Verbrechen. Der eifrige Besetzny erhielt daher von der Hofkammer den schriftlichen Befehl, sich künftighin der gesetzwidrigen Nachahmung von Wasserzeichen im Papiergeld zu enthalten. Bei sonstiger Strafe! Zugleich wurde er der Polizei zur Beobachtung empfohlen. So erging es damals einem Erfinder. Besetzny klagte Franz Xaver Wurm sein Mißgeschick und durch ihn wurde Wurm darauf aufmerksam gemacht, wie leicht das damalige Papiergeld gefälscht werden konnte. Darin erkannte er eine Möglichkeit, das nötige Geld zur Fortsetzung seiner Erfindertätigkeit zu beschaffen.

Der Prozeß gegen den ersten österreichischen Banknotenfälscher fand unter größter Teilnahme des Publikums statt. Das Gericht erhielt von dem Angeklagten den besten Eindruck. »Herzensgüte, Uneigennützigkeit und ein redliches Vorgehen sind die Vorzüge seines Charakters«, heißt es im Protokoll, und auch die Motive seiner verbrecherischen Handlung konnten nicht als unehrenhaft bezeichnet werden. Franz Xaver Wurm verantwortete sich mit Würde. Die Richter hatten den Eindruck, über einen großen österreichischen Patrioten zu urteilen, dem nichts mehr am Herzen lag als der Aufschwung seines Vaterlandes. Das Gesetz aber mußte angewendet werden. Franz Xaver Wurm wurde am 31. März 1827 zum Tode durch den Strang verurteilt, man überführte ihn nach der Armensünderzelle und dort saß er nun fünf Monate lang, jeden Tag gewärtig, zum Galgen geführt zu werden. Kaiser Franz nämlich konnte sich nicht entschließen, das eingereichte Gnadengesuch zu bewilligen; und sein Zögern hatte gute Gründe. Wurms Tat hatte die Öffentlichkeit sehr erregt. Die Stimmung des Volkes war gegen den

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Fälscher. Man mußte daher etwas Gras über die Sache wachsen lassen. Erst im August wurde Wurms Begnadigung zu lebenslänglichem Kerker bekanntgegeben.

Abermals setzten sich einflußreiche Männer für den Erfinder ein, dessen geniale Veranlagung erst während des Prozesses so recht zutage getreten war. Sie retteten ihn vor dem fürchterlichen Spielberg, wo er sehr bald verkommen wäre, und veranlaßten seine Überführung nach dem Leopoldstädter Zuchthaus. Franz Xaver Wurm durfte sich in all seiner Erniedrigung glücklich schätzen. Der Direktor dieser Strafanstalt, Hofrat Peter, gehörte zu den ersten Justizbeamten Altösterreichs, die begriffen, daß Verbrechertum in engsten Zusammenhang mit den sozialen Verhältnissen steht und die daher nichts unversucht ließen, Gestrauchelte der menschlichen Gesellschaft wieder zu gewinnen. Der Häftling erhielt eine geräumige, lichte Kerkerzelle, man gewährte ihm Tinte, Papier, Zeichenrequisiten und allerlei Materialien, die er zu seinen technischen Versuchen benötigte. Und sehr bald fügte sich Wurm in das Unvermeidliche, ja er empfand es als wohltuend, hier in der Weltabgeschiedenheit seiner Zelle, fern aller materiellen Sorgen, in Ruhe seinen Plänen nachgehen zu können. Der größte österreichische Erfinder seiner Zeit hatte endlich auf sonderbare Weise jene staatliche Unterstützung gefunden, deren er so sehr bedurfte. In rascher Reihenfolge gelangen dem einsamen Sträfling eine Reihe bedeutender Erfindungen. Er verbesserte abermals seine Spinnmaschine, versuchte aus Heu Zucker zu destillieren, erfand einen hydraulischen Meissel und eine Schreibmaschine für Blinde. Sein Hauptwerk aber bildete eine mathematisch-astronomische Uhr, die später viel bewundert wurde.

So tief ihn seine Tat gestürzt hatte, so viel trug sie dazu bei, seinen Erfinderruhm zu verbreiten. Fabrikanten, Techniker und hohe Beamte kamen zu ihm ins Zuchthaus, um seinen Rat zu erbitten, Patente wurden ihm zur Prüfung vorgelegt und Gutachten von ihm gefordert. Hofrat Peter behandelte ihn wie einen Gleichgestellten und bemühte sich unablässig beim Kaiser um seine völlige Begnadigung. Franz aber wollte davon nichts wissen »Lieber net!« sagte er immer wieder. »Wenn seine große Begabung ihren Schützling zu so unsauberen Geschäften verleitet hat, mein lieber Hofrat Peter, ist er im Zuchthaus schon besser aufgehoben«.

Und abermals sollte der Zufall im Leben Franz Xaver Wurms eine große Rolle spielen. Eines Tages beklagte sich Kaiser Franz dem Hofrat Peter gegenüber, daß die Wiener Uhrmacher allesamt nichts verstünden. Er besaß eine hübsche Spieluhr, die er von seinem Einzug in Paris mitgebracht hatte. Sie stand auf seinem Schreibtisch und er hatte sich an sie sehr gewöhnt. Plötzlich war sie ohne ersichtlichen Grund stehengeblieben und kein Wiener Uhrmacher konnte sie wieder zum Gehen bringen. Hofrat Peter entlieh sich die Uhr, um sie Wurm zu zeigen. Dieser reparierte sie nicht nur, sondern er verbesserte sie noch, indem er ihre Spielwalze um ein Lieblingsstück des Kaisers vermehrte. Der sonst so nüchterne Kaiser Franz war darüber so entzückt, daß er Franz Xaver Wurm begnadigte.

Wurm verließ das Leopoldstädter Zuchthaus als europäische Berühmtheit. Niemand mehr dachte an die dumme Geschichte mit der abfärbenden Banknote. Man drängte sich an ihn heran, man trug ihm Geld an, man lud ihn ein; und so durfte er, noch blaß von der Kerkerluft, aber erhobenen Hauptes durch die Salons der Wiener Gesellschaft schreiten. Denn die Anschauungen hatten sich gewandelt. Auch in Österreich begann sich die Industrie durchzusetzen und man sah in Wurm ihren ersten Pionier. Er gab der aufstrebenden Technik seiner Zeit noch viele wertvolle Anregungen und starb als ein Mann, der von sich sagen durfte, sein Österreichertum in seiner übelsten, aber auch in seiner besten Bedeutung erlebt zu haben.