A[nton] Tedeschi

Die Flachsgespinnst-Waaren-Fabrik in Marienthal

in: Carinthia. Ein Wochenblatt für Vaterlandskunde, Belehrung und Unterhaltung (Klagenfurt), 15. Jg., Nr. 38 (17. September 1825), S. 154–156.

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Die Flachsgespinnst-Waaren-

Fabrik in Marienthal.

(Von A. Tedeschi; aus dem Archiv.)

Die ausschließend privilegirte Flachsgespinnst-Waaren-Fabrik in Marienthal nächst Gramet-Neusiedl unfern Wien, in welcher der Flachs mit Maschinen verarbeitet und gesponnen wird, gewähret einen neuen überzeugenden Beweis, wie viel Organisation und natürliche Anlage zu irgend einem Talente oder einer Wissenschaft, verbunden mit einem eisernen Fleiß und unerschöpflicher Beharrlichkeit, selbst unter ungünstigen Verhältnissen, zu bewirken vermöge, und welch' unglaubliche Resultate, die an's Wunderbare grenzen, eine solche Ausdauer hervorbringen können. Alles, was in dieser Fabrik zu sehen ist, trägt das Gepräge ihres Erfinders, des Herrn Franz Xav. Wurm, eines geb. Kärntners. Zur Handlung erzogen und bei derselben aufgewachsen, zog ihn sein überwiegender Hang zur Mechanik zur Verwendung seiner wenigen Ruhestunden, die von jungen Leuten dieses Gewerbes gewöhnlich nur zu Vergnügungen angewendet werden, zum Selbstunterricht in dieser Wissenschaft und zu ihrer Anwendung im Kleinen hin. Nach mancherlei unwillkührlichen Unterbrechungen, erhielten seine wissenschaftlichen Bemühungen die Richtung und Haupttendenz auf die Erfindung einer Flachsspinnmaschine. Die Wichtigkeit einer solchen Aufgabe erhellet genüglich aus dem Preise von einer Million Franken, die Napoleon dafür ausgesetzt hatte, allein, sie auf das vollkommenste zu lösen, konnte freilich nicht das Werk einer kurzen Zeit und beschränkter Mittel seyn; wenn aber irgend Jemand verdient hätte, diesen Preis zu erhalten, so wäre es unstreitig Herr Wurm gewesen, und gewiß wäre es ihm geworden, wenn er schon damals das Ganze dieser Aufgabe in allen seinen Theilen so vollständig hätte in Ausführung bringen können, als es ihm späterhin gelang, wie aus Folgendem hervorgehen wird.

Ohne die hierzu erforderlichen eigenen Mittel gelang es ihm, einen Kenner, den

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k.k. Rath Herrn Pausinger, für eine solche Unternehmung zu interessiren, und nun ging aus dieser Vereinigung ein Werk hervor, das, mit mancherlei ungewöhnlichen Hindernissen und Schwierigkeiten kämpfend und siegend, eine Vollendung erhielt, die nicht nur den Gesellschaftern, sondern auch Deutschland zur größten Ehre gereichet, indem gewiß das Ausland, und selbst das in gewerbsfleißiger besonders aber mechanischer Hinsicht so hoch über die Staaten des Continents hervorragende England, kein ähnliches aufzuzeigen vermag.

Die Resultate dienen zum überzeugenden Beweis für diese Behauptung.

Wenn Andere es hinreichend fanden, bereiteten (gehechelten) Flachs zu kaufen, und selben auf Spinnmaschinen zu verarbeiten, so genügte dieß Herrn Wurm nicht; von dem wichtigen oft zu sehr verkannten Grundsatz ausgehend: eine Fabrik müsse das Materiale vom rohen Urstoffe an, so viel möglich, selbst behandeln und alle Vorarbeiten selbst vornehmen, erfand er Hechelmaschinen, die, einzig in ihrer Art, mit Festigkeit, Sicherheit und sinnreich geordnetem Gange, so viel Flachs sehr rein hecheln, und von allem Unrathe vollkommen befreien, daß das Resultat der Erzeugung einer solchen Maschine das Verhältniß zum gewöhnlichen Hecheln und Schwingen mit Menschenhänden das Ergebiß gewähret, daß mit der Maschine ein dieselbe bedienender Mensch des Tages 160 Pfund gehechelten Flachs liefert, während dieser ohne derselben zum Hecheln von 100 Pfd. drey Wochen bedurft hätte.

In dem von dem Hecheln abfallenden Werg befinden sich noch spinnbare, als Flachs brauchbare lange Fäden, die jedoch gewöhnlich bei dem Werge bleiben und mit demselben, als solches verarbeitet werden. Auch diesen noch nutzbaren Flachs hat Herr Wurm aus dem Werg zu gewinnen und von demselben zu trennen gewußt. Man darf nur einigermaßen die Schwierigkeiten kennen, die die Lösung einer solchen Aufgabe darbietet, um die Maschine, welche hierzu angewendet wird, als ein Meisterstück der Mechanik anzuerkennen. Sie trennet 60 bis 70 Gewichtstheile vom Hundert als Flachs spinnbare Fäden von dem Werge.

Ersparung vieler Handarbeit und Zeitaufwand, und reinere Waaren sind aber nicht die einzigen Vorzüge dieser Maschine, denn sie gewähren eine Bewirthschaftung von 30 bis 40 vom Hundert an verminderten Abfällen. Welch' unberechenbar großen Gewinn würden solche Maschinen in England, wo der Arbeitslohn so hoch stehet, ihrem Bescher bringen? – Es ist leicht einzusehen, um wie viel das Fabrikat an Wohlfeilheit dadurch gewinnen müsse?

Sind diese Vorbereitungsmaschinen des Materials bewunderungswerth, so sind es jene zur Bereitung und Vollendung des Fabrikats nicht minder. Ihr sinnreicher Mechanismus, der feste geordnete Gang, die stufenweise Vertheilung der Arbeiten, die Benutzung aller denkbaren Vortheile, die nichts mehr zu wünschen übrig läßt, und das Eingreifen dieser zahlreichen einfachen Glieder zu einem geordneten Ganzen, zeugen von einem Geiste der Simplicität, Ordnung und Originalität, wo nichts entbehrlich, nichts mangelnd erscheinet.

Die nothwendige Folge einer solchen Fabrikation muß einen sehr hohen Grad von Vollkommenheit des Fabrikats zur Folge haben. Nie wird die unsichere Hand des Menschen eine solche Gleichförmigkeit im Ganzen hervorzubringen vermögen, die bei diesem Fabrikate eine wesentliche Bedingung der Vollkommenheit ist. Diese Überzeugung, nebst der Ersparung an Handarbeit, war die Mutter der zahlreichen Baumwollengespinnst-Fabriken, und wenn nicht eben so viele Flachsgespinnste-Anstalten bestehen, so konnte nur die Schwierigkeit, den Flachs mit Maschinen zu Gespinnsten zu verarbeiten, hemmend auf die Errichtung solcher Fabriken einwirken.

Ist es wesentlich nothwendig, das rohe Materiale so viel möglich selbst zur Fabrikation vorzubereiten, so ist es nicht minder erforderlich, alle anwendbaren Abgänge ebenfalls auf das Vortheilhafteste zu benutzen. Dieß geschieht in der Marienthaler-Fabrik in einer solchen Ausdehnung, daß nicht nur das bessere und gemeine Werg, sondern selbst die scheinbar ganz werthlosen Abfälle auf verschiedene Art zu allen Gattungen von Spagat, Schnüren, Stricken und Gurten verarbeitet wer-

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den. Die Gurten hat Herr Wurm so zuzurichten gewußt, daß sie nicht nur in dieser, sondern auch in anderen Fabriken, und zum technischen Gebrauche überhaupt, die Stellen der ledernen Riemen vertreten.

Eingeweiht in die Grundsätze der Handelswissenschaft hatte Herr Wurm bald einsehen gelernet, daß die wesentlichste Bedingung zur Erreichung eines vortheilhaften Fabrikatsbetriebes, ein merkantilisch geordneter Absatz der Fabrikate sey; Concurrenz der Abnehmer wird hierzu unerläßlich erfordert. Nie wird eine Fabrik in der Abhängigkeit von einem oder wenigen Handelshäusern gedeihen können. Dieß liegt in der Natur des Handels. Wer wird es einem Handelshause verargen, wenn es den nach Umständen und Verhältnissen größtmöglichsten Gewinn (den Zweck des Handels) von dem Einkauf irgend einer Waare sich zuzueignen trachtet? Der Absatz an einige wenige große Häuser ist aber nicht nur unvortheilhaft, weil diese dadurch die Gelegenheit erhalten, die Preise vorzuschreiben, sondern auch sehr prekär veränderte Verhältnisse, ein anderer vorteilhafter Handelsartikel, eine Speculation, die für den Augenblick einen größeren Gewinn verspricht, müssen oft unvermeidlich der Abnahme ein Ende machen. Wer hierinfalls einige Erfahrungen hat, wird diese bestättigt gefunden haben. Eine eigene Niederlage in der Residenz und ein merkantilisch-geordneter Absatz wurde also, in der Uiberzeugung eingeführet, da so die Zeit vorüber ist, in der das Geld die Waare gesucht hat, daß also mit Beseitigung eines falschen Stolzes, nun die Waaren das Geld suchen müssen, und mit dem günstigsten Erfolg, den Qualität und Preise vorlängst versprachen, belohnet und dauernd gesichert.

Bestünde in England oder Frankreich eine solche Fabrik, vorlängst würde die in dem Solde dieser Staaten stehende tausendzüngige Fama dieses Wunderwerk in Zeit- und anderen Schriften in alle Welttheile ausposaunt haben, der bescheidene Deutsche begnügt sich mit der Sache und überläßt es gemüthlich dem meerbeherrschenden Insulaner und dem so gerne verblüffenden Gallier, sich über die french doks und die bêtes allemandes zu erheben; anspruchslos birgt er sich in sein reeles Verdienst, nicht ahnend, daß es noch Etwas darüber geben könne; um so mehr ist es aber die Pflicht unparteiischer Beobachter, solche Beispiele zur Nachahmung aufzustellen und die Ehre des Vaterlandes den Ansprüchen auf eminentes Verdienst und überwiegende Vorzüge des Auslandes gegenüber zu stellen.

Wenn der erwähnten Fabrik noch etwas zu wünschen übrig bliebe, so wäre es die Selbstzubereitung des rohen Flachses ohne die gewöhnlichen Röstungsarten. Die Nachtheile derselben sind allgemein anerkannt, und eben diese haben die vielen mehr oder weniger gelungenen Versuche veranlasset, den Flachs zweckmäßiger zu bereiten, indem sowohl die trockene als nasse Röstung nicht nur die Pflanzenfaser des Flachses bedeutend schwächet, sondern auch vorzüglich durch die Befestigung des Gerbestoffes und Eisens auf derselben die Bleiche so sehr erschweret; allein eine solche Selbstbereitung ist nur in einem Lande anwendbar, wo der Flachs in der Nähe häufig gebauet wird und leicht ganz roh zu erhalten ist, was in Österreich und besonders in der Umgegend der Fabrik nicht der Fall ist. Indessen ist jedoch die Bleiche bereits so weit vereinfachet worden, daß mit vieler Zeitersparung ohne dem geringsten Nachtheil für die Waare, ja sogar mit Vortheil für dieselbe, wird gebleicht werden können: Ersparung an Arbeit und Brennstoff zeichnen diese Bleichart, die keine Nachahmung ist, besonders aus.

Mögen die Engländer immerhin die Ausfuhr ihrer Maschinen und die Auswanderung ihrer Arbeiter verbieten; wir bedürfen ihrer nicht, wenn die in Deutschland schlummernden und in Unthätigkeit versunkenen Talente geweckt werden, und jene Aufmunterung und Unterstützung erhalten, die sie so sehr verdienen. Was bereits im Einzelnen hie und da wieder geschehen ist, läßt auf das schließen, was unter obiger Voraussetzung geschehen könnte. Ob Prohibitivsysteme oder Handelsfreiheit hierauf hemmend oder fördernd einwirken, mögen die Cammeralisten entscheiden.