A[nton] Tedeschi

Die ausschließend k.k. privilegirte Flachsgespinnst-Waarenfabrik in Marienthal

in: Kunst- und Gewerbe-Blatt des polytechnischen Vereins für das Königreich Bayern (München), 11. Jg., Nr. 46 (12. November 1825), S. 321–324.

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357. Die ausschließend k.k. privilegirte Flachsgespinnst-Waarenfabrik in Marienthal.

(Aus dem Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst. August 1825.)

Diese Fabrik*) unfern Wien, in welcher der Flachs mit Maschinen verarbeitet und gesponnen wird, gewähret einen neuen überzeugenden Beweis, wie viel Organisation und natürliche Anlage zu irgend einem Talente oder einer Wissenschaft, verbunden mit einem eisernen Fleiß und unerschöpflicher Beharrlichkeit, selbst unter ungünstigen Verhältnissen, zu bewirken vermöge, und welch unglaubliche Resultate, die ans Wunderbare gränzen, eine solche Ausdauer hervorbringen können.

Alles, was in dieser Fabrik zu sehen ist, trägt das Gepräge ihres Erfinders, des Herrn Franz Xaver Wurm. Zur Handlung erzogen und bey derselben aufgewachsen, zog ihn sein überwiegender Hang zur Mechanik zur Verwendung seiner wenigen Ruhestunden, die von jungen Leuten dieses Gewerbes gewöhnlich nur zu Vergnügungen angewendet werden, zum Selbstunterricht in dieser Wissenschaft und zu ihrer Anwendung im Kleinen hin.

Nach mancherlei unwillkührlichen Unterbrechungen, erhielten seine wissenschaftlichen Bemühungen die Richtung und Haupttendenz auf die Erfindung einer Flachsspinnmaschine. Die Wichtigkeit einer solchen Aufgabe erhellet genüglich aus dem Preise einer Million Franken, die Napoleon dafür ausgesetzt hatte; allein, sie auf das vollkommenste zu lösen, konnte freylich nicht das Werk einer kurzen Zeit und beschränkter Mittel seyn: wenn aber Jemand verdient hätte, diesen Preis zu erhalten, so wäre es unstreitig der Hr. Wurm gewesen, und gewiß ihm geworden, wenn er schon damals das Ganze dieser Aufgabe in allen seinen Theilen so vollständig hätte in Ausführung bringen können, als es ihm späterhin gelang, wie aus Folgendem hervorgehen wird.

Ohne die hierzu erforderlichen eigenen Mittel gelang es ihm, einen Kenner, den k.k. Rath Hrn. Pausinger, für eine solche Unternehmung zu interessiren, und nun gieng aus dieser Vereinigung ein Werk hervor, das mit mancherley ungewöhnlichen Hindernissen und Schwierigkeiten kämpfend und siegend, eine Vollendung erhielt, die nicht nur den Gesellschaftern, sondern auch Deutschland zur größten Ehre gereichet, indem das Ausland, und selbst das in gewerbfleißiger besonders aber mechanischer Hinsicht so hoch über die Staaten des Continents hervorragende England, kein ähnliches aufzuzeigen vermag.*)

*) Vergl. die Anmerkung in Nr. 43 des Kunst- und Gewerbeblattes S. 300. d. R.

*) In Oesterreich haben die Großen und Reichen Sinn für vaterländische Industrie und Gewerbe; und fast alle Industriezweige von Belang verdanken ihren Betrieb und Emporkommen den finanziellen Mitwirkungen der ersten Stände dieses Kaiserreichs. Zudem findet auch daselbst die Industrie durch nachdrücklich gehandhabte Mauthgesetze den nothwendigen Schutz. Wie es übrigens in eines Jeden Heimath war, oder noch ist, wird der vaterländisch Gesinnte selber zu ermessen wissen! Aber, auf daß er erwäge, vergleiche, und sich Sinn für vaterländische In->

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Die Resultate dienen zum überzeugendsten Beweise für diese Behauptung.

Wenn Andere es hinreichend fänden, bereiteten (gehechelten) Flachs zu kaufen, und selben auf Spinn-Maschinen zu verarbeiten, so genügte dieß Hrn. Wurm nicht, von dem wichtigen oft zu sehr verkannten Grundsatz ausgehend; eine Fabrik müsse das Materiale vom rohen Urstoffe an, so viel möglich, selbst behandeln, und alle Vorarbeiten selbst vornehmen, erfand er Hechelmaschinen, die, einzig in ihrer Art, mit Festigkeit, Sicherheit und sinnreich geordnetem Gange, soviel Flachs sehr rein hecheln, und vor allem Unrathe vollkommen befreyen, daß das Resultat der Erzeugung einer solchen Maschine das Verhältniß zum gewöhnlichen Hecheln und Schwingen mit Menschenhänden das Ergebiß gewähret, daß mit der Maschine ein dieselbe bedienender Mensch des Tages 150 Pfund gehechelten Flachs liefert, während dieser ohne derselben zum Hecheln von 100 Pfd. drey Wochen bedurft hätte.

In dem von dem Hecheln abfallenden Werg befinden sich noch spinnbare, als Flachs brauchbare lange Fäden, die jedoch gewöhnlich bei dem Werg bleiben, und mit demselben, als solches verarbeitetwerden. Auch diesen noch nutzbaren Flachs hat Hr. Wurm aus dem Werg zu gewinnen, und von demselben zu trennen gewußt. Man darf nur einigermassen die Schwierigkeiten kennen, die die Lösung einer solchen Aufgabe darbiethet, um die Maschine, welche hiezu angewendet wird, als ein Meisterstück der Mechanik anzuerkennen. Sie trennet 60 bis 70 Gewichtstheile vom Hundert als Flachs spinnbare Fäden von dem Werge.

Ersparung vieler Handarbeit und Zeitaufwand, und reinere Waare sind aber nicht die einzigen Vorzüge dieser Maschine, denn sie gewähren eine Bewirthschaftung von 30 bis 40 vom Hundert an verminderten Abfällen. Welch unberechenbar großen Gewinn würden solche Maschinen in England, wo der Arbeitslohn so hoch stehet, ihrem Bescher bringen? Es ist leicht einzusehen, um wieviel das Fabricat an Wohlfeilheit dadurch gewinnen müsse?

Sind diese Vorbereitungsmaschinen des Materials bewunderungswerth, so sind es jene zur Bereitung und Vollendung des Fabricats nicht minder. Ihr sinnreicher Mechanismus, der feste geordnete Gang, die stufenweise Vertheilung der Arbeiten, die Benutzung aller denkbaren Vortheile, die nichts mehr zu wünschen übrig läßt, und das Eingreifen dieser zahlreichen einfachen Glieder zu einem geordneten Ganzen, zeuget von einem Geiste der Simplicität, Ordnung und Originalität, wo nichts entbehrlich, nichts mangelnd erscheint.

Die nothwendige Folge einer solchen Fabrication muß einen sehr hohen Grad von Vollkommenheit des Fabricats zur Folge haben. Nie wird die unsichere Hand des Menschen eine solche Gleichförmigkeit im Ganzen hervorzubringen vermögen, die bey diesem Fabricate eine wesentliche Bedingung der Vollkommenheit ist. Diese Ueberzeugung, nebst der Ersparung an Handarbeit, war die Mutter der zahlreichen Baumwollen-Gespinnst-Fabriken, und wenn nicht eben so viele Flachs-Gespinnste-Anstalten bestehen, so konnte nur die Schwierigkeit, den Flachs mit Maschinen zu Gespinnsten zu verarbeiten, hemmend auf die Errichtung solcher Fabriken einwirken.

Ist es wesentlich nothwendig, das rohe Materiale so viel möglich selbst zur Fabrication vorzubereiten, so ist es nicht minder erforderlich, alle anwendbaren Abgänge ebenfalls auf das vortheilhafteste zu benutzen.

Dieß geschieht in der Marienthaler Fabrik in einer solchen Ausdehnung, daß nicht nur das bessere und gemeinere Werg, sondern selbst die scheinbar ganz werthlosen Abfälle auf verschiedene Art zu allen Gat-

<dustrie rege mache, thut es Noth, sich die Beyspiele aus fremden Landen anzueignen. Wir unterziehen uns in dieser Zeitschrift einer solchen Mittheilung, bisher unverdrossen, und leben nunmehr in der Hofnung, daß es dieser fremden Beyspiele bald nicht mehr bedürfen wird. Wenn die Reichen der Städte durch die Mode zur Beförderung der inländischen Industrie verführt werden, wenn man den Mann nicht nach dem conventionellen Gehalt abmißt, sondern nach den geistigen Kräften des Kopfe?; – dann ist der Schritt nach vorwärts nicht zu widersprechen, aber noch erst fest zu begründen. Entwickelung der innern Kräfte, und die im Innern sich erhebende nationale Selbstständigkeit, das ist die Aufgabe unsers Zeitalters, und die Lösung dieser Aufgabe ist das Heil, dessen sich das Vaterland nun erfreuen wird, wo der weise und gerechte König mit dem nachahmungswürdigsten Vorbilde voranschreitet. d. R.

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tungen von Spagat (Bindfaden), Schnüren, Stricken und Gurten verarbeitet werden. Die Gurten hat Hr. Wurm so zu richten gewußt, daß sie nicht nur in dieser, sondern auch in anderen Fabriken, und zum technischen Gebrauche überhaupt, die Stellen der ledernen Riemen vertreten.

Eingeweiht in die Grundsätze der Handelswissenschaft hatte Hr. Wurm bald einsehen gelernt, daß die wesentlichste Bedingung zur Erreichung eines vortheilhaften Fabricatsbetriebes, ein mercantilisch geordneter Absatz der Fabricate sey; Concurrenz der Abnehmer wird hiezu unerläßlich erfordert. Nie wird eine Fabrik in der Abhängigkeit von einem oder wenigen Handelshäusern gedeihen können. Dieß liegt in der Natur des Handels. Wer wird es einem Handelshause verargen, wenn es den nach Umständen und Verhältnissen größtmöglichsten Gewinn (den Zweck des Handels) von dem Einkauf irgend einer Waare sich zuzueignen trachtet? Der Absatz an einige wenige große Häuser ist aber nicht nur unvortheilhaft, weil diese dadurch die Gelegenheit erhalten, die Preise vorzuschreiben, sondern auch sehr precär veränderte Verhältnisse, ein anderer vorteilhafter Handelsartikel, oder eine Speculation, die für den Augenblick einen grösseren Gewinn verspricht, müssen oft unvermeidlich der Abnahme ein Ende machen. Wer hier einige Erfahrung hat, wird diese bestättigt gefunden haben. Eine eigene Niederlage in der Residenz, und ein mercantilisch-geordneter Absatz wurde also, in der Ueberzeugung eingeführt, da jetzt die Zeit vorüber ist, in der das Geld die Waare gesucht hat, daß also mit Beseitigung eines falschen Stolzes, nun die Waaren das Geld suchen müssen, und mit dem günstigsten Erfolg, den Qualität und Preise vorlängst versprachen, belohnet und dauernd gesichert*).

Bestände in England oder Frankreich eine solche Fabrik, vorlängst würde die in dem Solde dieser Staaten stehende tausendzüngige Fama dieses Wunderwerk in Zeit- und anderen Schriften in alle Welttheile ausposaunt haben; der bescheidene Deutsche begnügt sich mit der Sache und überläßt es gemüthlich dem Meerbeherrschenden Insulaner und dem so gerne verblüffen-

*) Erzeugen und Verwerthen sind die entgegengesetzten Pole, an deren letzterm oft die schönsten, aus reiner Vaterlandsliebe hervorgegangenen Unternehmungen scheitern. Der Absatz geht bey solchen Erzeugnissen, die neu und ohne Concurrenz sind, in der Regel leicht von statten, und der Unternehmer findet auch unschwer bestimmte Abnehmer, die den Absatz an Detailisten und Consumenten zu vervielfältigen wissen. Es ist dieß im eigentlichen Sinne die Klugheitsregel des Fabricanten: seine Erzeugnisse an Mittelspersonen (Kaufleute) abzusetzen, um die Verbindungen nicht zu sehr zu vervielfältigen. Anders verhält es sich mit currenten Fabricaten, die im Inlande nicht, oder nicht in der Vollkommenheit, wie man sie vom Auslande bezieht, verfertigt werden. Bey solchen Unternehmungen geht der Fabricant, wenn er nicht durch naturgemäße und zweckmäßig gehandhabte Mautgesetze oder durch Patriotismus geschützt ist, zu Grunde. Wo ohne diese Vorbedingungen der Fabricant nicht zu Grunde geht, da besitzt er mehr Capitalien, als die Unternehmung verschlingen kann. Ist die neue Fabrik im Betrieb, und liefert sie vollendete Fabricate, dann weigert sich der Kaufmann unter den nichtigsten Ausflüchten, das Fabricat zu kaufen; tadelt das Tadellose; die Fabricate häufen sich aus Mangel an, Absatz auf, der Unternehmer will die Auslagen durch den Verkauf der Fabricate, um eingegangene Verbindlichkeiten zu erfüllen, oder zum Fortbetrieb des Geschäftes realisiren, fallt dann meistens in die Hände der Wucherer, oder er sieht sich, bey mehreren eigenen Mitteln gezwungen, einen Absatz im Kleinen zu bezwecken. Bey solchen durch die angegebenen Umstände herbeygeführte Handlungsweisen geht dann ein Geschrey über Vergeuten oder Pfuschen auf, der moralische Hebel »Credit« wird untergraben, und der erstarkteste Muth wird durch ein solches Behandeln erschlaft. Wir könnten hievon Bevspiele mancher Art anführen, die aber den Handelsstand nicht im brillanten patriotischen Lichte zeugten. Es sind uns viele reiche Menschen bekannt, die sich ihres Patriotismus, des Sinnes für inländische Industrie, der Bereitwilligkeit gemeinnützige Unternehmungen zu unterstützen, in den Conversationen mit vieler Breitheit äußern, gehen aber dem weislich oder kleinlich aus dem Wege, von dem sie ahnen können, ob ihrer eitlen Prahlereien auf die Probirwaage gestellt zu werden. d. R.

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den Gallier, sich über die french doks und die bêtes allemandes zu erheben, anspruchslos birgt er sich in sein reeles Verdienst, nicht ahnend, daß es noch Etwas darüber geben könne; um so mehr ist es aber die Pflicht unpartheyischer Beobachter, solche Beyspiele zur Nachahmung aufzustellen, und die Ehre des Vaterlandes den Ansprüchen auf eminentes Verdienst und überwiegende Vorzüge des Auslandes gegenüber zu stellen.

Wenn der erwähnten Fabrik noch etwas zu wünschen übrig bliebe, so wäre es die Selbstzubereitung des rohen Flachses, oder die gewöhnlichen Röstungsarten. Die Nachtheile derselben sind allgemein anerkannt, und eben diese haben die vielen mehr oder weniger gelungenen Versuche veranlasset, den Flachs zweckmäßiger zu bereiten, indem sowohl die trockene als nasse Röstung nicht nur die Pflanzenfaser des Flachses bedeutend schwächet, sondern auch vorzüglich durch die Befestigung des Gerbestoffes und Eisens auf derselben die Bleiche so sehr erschweret; allein eine solche Selbstbereitung ist nur in einem Lande anwendbar, wo der Flachs in der Nähe häufig gebaut wird, und leicht ganz roh zu erhalten ist, was in Oesterreich und besonders in der Umgegend der Fabrik nicht der Fall ist. Indessen ist jedoch die Bleiche bereits soweit vereinfachet worden, daß mit vieler Zeitersparung ohne dem geringsten Nachtheil für die Waare, ja sogar mit Vortheil für dieselbe, wird gebleicht werden können: Ersparung an Arbeit und Brennstoff zeichnen diese Bleichart, die keine Nachahmung ist, besonders aus*).

Mögen die Engländer immerhin die Ausfuhr ihrer Maschinen und die Auswanderung ihrer Arbeiter verbieten; wir bedürfen ihrer nicht, wenn die in Deutschland schlummernden und in Unthätigkeit versunkenen Talente geweckt werden, und jene Aufmunterung und Unterstützung erhalten, die sie so sehr verdienen. Was bereits im Einzelnen hin und wieder geschehen ist, läßt auf das schließen, was unter obiger Voraussetzung geschehen könnte. Ob Prohibitiv-Systeme oder Handels-Freyheit hierauf hemmend oder fördernd einwirken, mögen die Cameralisten entscheiden.

A. Tedeschi.

*) Wir haben einige Sorten von den Marienthaler-Maschinen-Gespinnsten in Flachs vor uns liegen, deren Gleichheit im Faden und kräftiger Structur der Faser die kühnste Erwartung übertreffen. Unter den so vielen, bisher noch nicht in Erfüllung gegangenen, Wünschen in diesen Blättern müssen wir auch den an unsere bemittelte Landsleute richten, diese treffliche Anstalt und Maschinerien in unser, dem Flachsbau so günstiges Land, zu verpflanzen. d. R.