Marie Jahoda über Otto Bauer

Wien, 1925


Otto Bauer war für uns damals eine ganz großartige Figur. Er hat mit mir manchmal persönlich gesprochen, und ich erinnere mich, dass ich, wie ich noch ganz jung war, voller Entsetzen zu ihm gegangen bin, weil es da einen Bericht gab über die Torturen, denen Kommunisten in Rumänien ausgesetzt waren,1 und die »Arbeiter-Zeitung« hat keine Stellung dazu genommen. Otto Bauer hat mir damals begonnen zu erklären, was in der Sowjetunion vorgeht. Es war außerordentlich eindrucksvoll, denn es war das erste Mal, dass ich den Schrecken des kommunistischen Totalitarismus wirklich im Detail erklärt bekommen habe. Es war für meine ganze intellektuelle Haltung sehr wichtig. Der Otto Bauer hat damals – da muss ich schon Siebzehn oder so gewesen sein – einen kleinen Klub organisiert, der einmal im Monat am Sonntag Abend in der Arbeiterkammer sich getroffen hat. Da waren viele von den Parteibonzen da, und er hat auch ein paar von den ganz Jungen wie mich dazu eingeladen. Da gab es ein Referat und Diskussionen, aber ich kann mich an den Inhalt der Diskussionen nicht erinnern. Aber ich kann mich sehr genau daran erinnern, wie wir alle darauf gewartet haben, dass der Otto Bauer zu sprechen beginnt, weil er verstanden hat, seine zutiefst humanitäre Einstellung mit dem Gedanken politischer Aktion in der Diskussion zu verbinden. Im wirklichen Leben ist ihm das nicht gelungen. Er war ein zu sensitiver Mensch, um ein politischer Führer in den kommenden Schreckenstagen zu sein.

Robert Knight: Interview mit Marie Jahoda am 28. August 1985.
Quelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien.


1 Da die »Partidul Comunist Român« (PCR; Rumänische Kommunistische Partei) im April 1924 verboten wurde, deren Anhängerschaft bald darauf teils massiven Verfolgungen ausgesetzt war, kann man annehmen, dass dieses Gespräch zwischen Bauer und Jahoda 1925 stattfand. Anmerkung Reinhard Müller.

© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006

POLITISCHES ENGAGEMENT
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