[Anonym]
Das Dorf ohne Arbeit
in: Moment-Magazin. Illustrierte Wochenschrift. Unverkäufliche Beilage des »Morgen« (Wien), 3. Jg., Nr. 13 (26. März 1934), S. 12–13.
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Das Dorf ohne Arbeit
Die Welt ist schon daran gewöhnt, daß es auf der Erde mehr arbeitende Hände gibt als Arbeit. Arbeitslosigkeit ist eine auf dem ganzen Erdball wütende Krankheit, deren Heilung Männer der Regierung und Gelehrte die Arbeit ihres Lebens widmen. Wie es aber auch unheilbare Krankheiten gibt, so auch eine Art von Arbeitslosigkeit, der nicht abgeholfen werden kann. Unrettbar sind bestimmte Gewerbezweige im Absterben, unabwendbar hat die Zeit einer Reihe von Arbeitsgebieten die Lebensbedingungen genommen.
So auch in Österreich. Kaum dreißig Kilometer von Wien entfernt, stehen die Bewohner eines ganzen
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Dorfes – Marienthal – ohne Arbeit da, weil die Fabrik, die hundert Jahre hindurch arbeitende Hände angezogen hat, ihre Absatzgebiete verloren hat und die Arbeit einstellen mußte. Rings um die mächtige Textilfabrik steht das Leben still, die Bewohner des Dorfes, die früher morgens von den Sirenen zur Arbeit gerufen wurden, sehen heute in den umfangreichen Bauten nur noch nutzlose Steinhaufen.
Hier wohnen 80 Familien und 80 Ernährer ohne Arbeit
Schlot ohne Rauch
Seit Jahren warten sie, und wissen nicht, worauf
Der Dorfälteste sagt: Man hat in fremden Ländern neue Fabriken aufgemacht und unsere Arbeit braucht man nicht mehr
Einst Werkskanal, heute wieder ein Fluß wie jeder andere
Josef Beer, Spengler, hat seit drei Jahren kein Dach repariert und kein Werkzeug in der Hand gehabt