[Anonym]

Marienthal

in: [unbekannt, 1980], S. 70.

[70]

Dienstag, 3. Juni, 17.00 Uhr

Eintritt frei

MARIENTHAL

Eine Videodokumentation des Medienkollektivs Sync, ¾ Zoll U-matic, Farbe, ca. 3 Stunden. Gefördert aus Mitteln des B[undes] M[inisteriums für] U[nterricht und] K[unst]. Das Videoband ist der Versuch, eine Ortschaft zu Wort und Bild kommen zu lassen. Die Vorgeschichte: Marienthal, Ortsteil von Gramatneusiedl in Niederösterreich, 23 km südöstlich von Wien, war 1931/32 Ort einer bekannten soziologischen Studie. Paul Lazarsfeld, Maria Jahoda [recte Marie Jahoda; Anm. R.M.] und Hans Zweisel [recte Zeisel; Anm. R.M.] schrieben »Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit«. 1930 war dort die große Textilfabrik endgültig geschlossen worden. 367 von 478 Familien waren auf Arbeitslosen- oder Notstandsunterstützung angewiesen.

Heute liegen die Probleme anders. Die Fabrik, die heute Acryl-Glas produziert, hat lange nicht mehr die zentrale Bedeutung für die Ortschaft, viele pendeln nach Wien. Marienthal ist in seiner Bevölkerungsstruktur überaltert, die Arbeitersiedlung mit ihrer charakteristischen Architektur – einstöckige Häuser zu beiden Seiten der Hauptstraße – ist seit über hundert Jahren kaum verändert. Die Brunnen fließen Tag und Nacht, in vielen Wohnungen gibt es noch kein Wasser. Die Gemeinde bereitet jetzt eine umfassende Revitalisierung des Häuserbestandes vor.

Marienthal ist, wie ein Bewohner betonte, »nicht der Nabel der Welt«, aber Kontinuität von Geschichte und von Alltagserfahrung kann auch an Marienthal abgelesen werden. Die Älteren erinnern sich an die Zeit der Arbeitslosigkeit, an Faschismus, Krieg und Nachkriegsjahre. Die Jungen hören im Kaffeehaus Discomusik und träumen den Traum vom guten Leben. Jugoslawen diskutieren über ihre Arbeits- und Wohnsituation im Ort. Anhand eines fiktiven Tages versucht der Film ein Portrait von Marienthal zu erstellen. Das Medium Video wird mit seinen diversen Feedback-Möglichkeiten eingesetzt, um die Bewohner von Marienthal an diesem dokumentarische Versuch teilhaben zu lassen.