Soziologie in Österreich

 

 

 

 

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Spann
 Briefe
 9.4.1915

 

Othmar Spann

Briefe an Erika Spann-Rheinsch

Othmar [Spann]: Brief an [Erika Spann-Rheinsch in Brünn (Mähren, heute Brno, Tschechien), Steinmühlgasse 10]

Langenwang (Steiermark), am 9. April 1915

pag. 347/a:

Langenwang, 9.IV.15

Liebstes Herzlein! Der Gedanke, daß Du mich zu den Todgeweihten gerechnet hast, erschreckt mich einigermaßen, ja er bildet mir ein düsteres Element, von dem ich nur hoffe, daß meine bekannte Vergeßlichkeit mich befreien wird. Oft waren mir während des Krieges die Geschichten, wie manche für tot gehalten, ihnen schon Messen gelesen wurden u.[nd] d[er]gl.[eichen] (beil.[iegend] hast Du eine im Zeitungsausschnitt) bes.[onders] grauenhaft. In Wien sagte mir übrigens Adele daß sie ganz ähnliches von mir gedacht habe, wie Du! Wie komme ich nun, so frage ich mich, dazu, durch ängstliche Gemüter lebendig begraben zu werden? Es ist ja richtig, daß ich nicht ganz in dieser Welt lebe und wurzle; dennoch wirst Du, oh Liebste, ein vulkanisches Temperament, gleich meinem, suchen müssen. Dieses drängt und treibt mich immer wieder zu einem wilden Ritt in die Stürme des Lebens. Im Grunde sind solche Konstruktionen von innen nach außen immer unsicher, weil das Innere ja niemals ganz und bestimmt bekannt ist. Bedenke also dieses Liebste, und tröste Dich vor allem selbst damit, denn was Du unter solchen Gedanken hast leiden müssen, kann ich mir gar nicht vorstellen. Es reicht aus, um ein Nervensystem zuzerrütten und eine Gesundheit zu ruinieren! Ich habe darum auch rechte Sorge um Dich und bitte Dich, Dich gewissenhaft zu pflegen, mit Geld für Essen nicht zu sparen und den schönen, besonders schönen Blütenfrühling, den wir erwarten dürfen, mit Hingebung zu genießen. Erlaube auch, daß ich Dir von meinem feldmäßigen Vorrat, den ich ja jetzt nicht brauche, wo ich mittags u.[nd] abends die allerreichlichsten Soldatenmahlzeiten halte (zudem früh ½ l[iter] Milch, Jause gleichf.[alls] irgendetwas!) und in jeder Hinsicht ein Sanatoriumsleben führe, eine Kleinigkeit abtrete! (Zwieback wohl schon hart, jedoch mit Thee etc. gewiß noch gut – in Anbetracht des Mehlmangels!). – Ferner wiederhole ich meine dringende Bitte, die Darmkur gründlich u.[nd] sofort zu absolviren! An Tirala schrieb ich eben darüber.

pag. 348/a:

Liebste! Denke nur, wie gut es mir hier gehen wird! Es sind Pferde hier (vom Felde zurück etc), u.[nd] der Oberstleutnant erlaubt, daß ich täglich reite! Zwischen 11 und 12 Uhr vormittags weißt Du mich also auf dem Pferdchen sitzend! Ich bin nun besorgt, daß ich allein, bei so wilder Wirtschaft, den Tugenden des Reiters entgegenarbeite und mit arge Kunstwidrigkeiten angewöhne. Doch ist natürl.[ich] etwas besser wie nichts!

Noch muß ich Dir verraten, daß ich hier im Schloß untergebracht bin! Jedoch war der Empfang, den ich seitens des jungen H[er]rn. Barons fand, etwas hochmütig, ja fast beschämend. Es wurde mir ein Nebengebäude angewiesen. Mein Zimmer ist aber recht hübsch und von himmlischer Ruhe. Entfernung vom Orte nur 10 Minuten, in jeder Hinsicht ungeschoren!!

Ich hoffe, mir meinen Dienst so einrichten zu können, daß ich die meisten Nachmittage frei habe. Dann werfe ich mich auf die Philosophie!

Nimm noch, bitte, einige Zusatzinstruktionen für Hannover entgegen:

1.) Die anrechenbare Dienstzeit ist um ein weiteres Jahr zurückzudatiren, da ich hörte, hier werde mir das Feldzugsjahr doppelt angerechnet.

2.) Kommt die Berufung, depeschirst Du mir. Ich sende Dir daraufhin ein Telegramm, das Du vorweisen kannst: Du mögest zur Vorbesprech[un]g, bzw. abschließend nach Berlin reisen. Diese Deine Reise kündigst Du dann briefl.[ich] in Berlin an. Deine dortigen Abmach[un]gen kann ich später brieflich bekräftigen. Mündlich stellst Du Dich auf den Standpunkt: Entass[un]g aus dem Staatsverband u.[nd] baldiger Amtsantritt sei möglich, wegen meiner Lokaldienstverwendung. Ist die Beruf[un]g einmal perfekt, wird der Dienstantrittstag vollkomm.[en] nebensächlich sein. – Übrigens habe ich das Gefühl als seien Friedensverhandlungen im Zuge oder wenigstens, daß große Erfolge u.[nd] baldiges Ende erhofft werden. Bei den Superarbitrirungen ist man jetzt überaus milde.

Wie schön, oh Liebste, wenn wir bald wieder vereint wären und in einem Winkel der Hannöverischen Haide still und abgeschieden dichten und trachten dürften.

Leb' mir wohl, Liebste! Schreibe viel von Deinen Plänen und Arbeiten, vor allem aber möchte ich hören, daß Du Dich erholst, beruhigst und mich lieb hast!

Dein Othmar.

Quelle

Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Nachlass Spann, Signatur 32/1.1, pag. 347–348.

Kommentar

Transliteration und Kommentar: Reinhard Müller.

Beschreibung: 2 Bl.; Handschrift (kurrent).

Kommentar: Betrifft unter anderem Adele Wintersberger (geborene Spann) und Lothar Gottlieb Tirala.

Die erwähnte Beilage (Zeitungsartikel über eine Messe für einen Totgesagten) fehlt.

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Stand: Dezember 2011