Marie Jahoda über Friedrich »Fritz« Adler

Wien, 1916 bis 1918

In 1916, everybody but the authoritarian government which still spoke of victory, wanted peace. As an anti-government, anti-war demonstration, Fritz Adler shot the Minister of War.1 Adler immediately became a folk hero. At his trial in 1917, he made a deeply moving speech for peace, ending with a quotation from Freiligrath: Denn sie töten den Geist nicht, Ihr Brüder.2 The speech was widely reproduced. I still have a picture postcard with his photo that was then on sale. So strong was Adler’s popular appeal that the government could not risk his execution. The revolution of 1918 liberated him from prison. Fritz Adler’s deed made me consciously into a socialist, though the ground had been well prepared by the ideas of [Josef] Popper-Lynkeus as transmitted by my father [i.e. Carl Jahoda].

Marie Jahoda Albu: Reconstructions. [Keymer, Sussex: Published by the author] 1996, S. 17.



Mein erstes Bewusstsein der politischen Zusammenhänge über das Persönliche hinaus kam wahrscheinlich 1917/18, als mein Vater ein großer Kriegsgegner war. Da gab es die Verhandlung über Fritz Adler. Und obwohl ich damals noch ganz jung, hat auf mich Fritz Adler mit seiner großen Rede im Gerichtssaal ungeheuren Eindruck gemacht, und ich habe eine Fotografie von ihm seit damals behalten. [Interviewer Robert Knight:] Waren Sie damals dabei? Nein, aber es ist berichtet worden. Ich bin als Kind da nicht hineingekommen. Die Kriegsfolgen, die Revolution 1918 – das war natürlich aus dem Bewusstsein selbst von Kindern nicht auszuschließen.

Robert Knight: Interview mit Marie Jahoda am 28. August 1985. Quelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien.



1 Am 21. Oktober 1916 erschoss Friedrich Adler aus Protest gegen die Kriegspolitik und den parlamentslosen Ausnahmezustand den österreichischen Ministerpräsidenten Karl Grafen von Stürgkh (Graz, Steiermark 1859 – Wien 1916) im Restaurant des Hotels Meißl & Schadn, Wien 1., Neuer Markt 2. Über die Grenzen Österreich-Ungarns hinaus berühmt wurde Adlers Verteidigungsrede vor Gericht, das ihn im Mai 1917 zum Tode verurteilte, ihn aber im November desselben Jahres zu achtzehn Jahren schweren Kerkers begnadigte. Nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie wurde Friedrich Adler am 1. November 1918 amnestiert und entlassen. Anmerkung Reinhard Müller.
2 Ferdinand Freiligrath (Detmold, Nordrhein-Westfahlen 1810 – Cannstatt [zu Stuttgart], Baden-Württemberg 1876): Dichter, bekannt geworden durch seine Gedichte auf die Revolution von 1848. Das Zitat, mit dem Friedrich Adler seine Verteidigungsrede am 18. Mai 1917 schloss, stammt aus Freiligraths Gedicht »Abschiedswort der ›Neuen Rheinischen Zeitung‹« (9. Mai 1849). Anmerkung Reinhard Müller.

© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006

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