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[Marie Jahoda]
Die
Stadtrandsiedlung Leopoldau
Anweisungen für
die Rechercheure, [Wien 1934], Typoskript, 4 S.
S. 1
Anweisungen für die
Hausbesuche in den alten Wohnungen der Siedler.
In
der Zeit vom 28. Februar bis zum 11. März [1934] wird die
Siedlung bezogen. Es handelt sich darum, mit den Siedlern (in de r
Regel werden nur die Frauen und die Kinder zu Hause
sein) in Kontakt zu kommen und einige wiesentliche [!] Punkte aus
dem alten Leben festzuhalten. Hierbei sind folgende Daten
aufzunehmen:
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1) |
Name, Nr. des
Siedlungshauses. |
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2) |
Gesprächspartner. |
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3) |
Zahl der
Erwachsenen und Kinder (bis 14 Jahre) nach Geschlechtern getrennt. |
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4) |
Es
ist die Wohnungsgrösse in m2
aufzunehmen und Art und Anzahl
der Räume, festzustellen ob Klosett und Wasserleitung
in der Wohnung vorhanden oder am Gang1
sind, von wieviel
Parteien sie benützt werden und ob Gas und Elektrizität
vorhanden. |
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5) |
Gemeindewohnung:
die Tatsache, dass die Familie nicht zusammenlebt, in Untermiete
lebt, etc., gesondert vermerken. |
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6) |
Zahl der
Bettstellen: Hierbei kommt es nicht darauf an, ob es Bett, Sofa
oder anderes ist (auch Kinderwagen oder Wäschekorb gilt als
eigene Schlafstelle), sondern es soll festgehalten werden, ob jede
Person ihre eigene Schlafstätte hat oder mit wem sie sie
teilt. |
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7) |
Reinlichkeit
hier ist zu versuchen, den allgemeinen Zustand von Wohnung und
Kleidung zu charakterisieren. |
S. 2
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8) |
Diverses; hier
sind allfällige allgemeine Charakteristika der Wohnung
anzufügen (etwa: dass viele Bilder an der Wand hängen,
viele Deckchen aufgelegt sind, die Lichtleitung nicht mehr benützt
wird, etc.) |
In den
folgenden Abschnitten handelt es sich vor allem um die
psychologische Situation in der Zeit vor der Übersiedlung. Bei
diesen Punkten wird es besonders nötig sein zu unterscheiden,
ob nicht Mann, Frau und Kinder unter Umständen ganz verschieden
zu beurteilen sind. Getrennt vermerken!
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9) |
Stimmung –
hier soll aufgezeichnet werden, ob die Familie voll froher
Erwartung ist, ob sie in gewisser Hinsicht ungern siedeln, ob sie
resigniert, zukunftsfreudig etc. ist. |
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10) |
Gegenwärtige
Situation – hier soll geschildert werden, wie die Familie
jetzt lebt, welche Einkommensquellen vorhanden sind, ob Friede
oder Unfriede herrscht, ob die Kinder gepflegt sind etc. |
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11) |
Das Motiv –
hier soll einiges über das Motiv des Siedelns gesagt werden:
Es kann dies den ersten Erfahrungen nach z[um] B[eispiel] Gründung
einer materiellen Existenz, Wunsch nach friedlichem Alter,
Unerträgliche [!] Wohnungsverhältnisse in der alten
Wohnung, Zusammenziehen der Eheleute, etc. sein. |
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12) |
Pläne –
hier soll festgestellt werden, ob über das normale
Siedlungsprogramm hinaus besondere Tätigkeiten erwartungsvoll
überlegt werden, wie z[um] B[eispiel] Bau, Garten, Tiere,
etc. |
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13) |
Befürchtungen
– hier soll festgestellt werden, wovor die kommenden Siedler
Angst haben; Wohnungsgrösse, Entfernung von
der Stadt, ungewohnte Arbeit etc. |
S. 3
Anweisung für die Art der
Gesprächsführung.
Man
führt sich mit der Bemerkung ein, dass man wegen der
»Gesiba<05>«
käme und sich die alte Wohnung zu statistischen Zwecken ansehen
müsse und um sie auszumessen. Es empfiehlt sich einen Meterstab
oder ein Zentimetermass, bez[iehungs]w[eise] eine Schnur
mitzunehmen. Während des Ausmessens kommt man ohne
Schwierigkeiten in Kontakt, wenn man sich ungezwungen, scheinbar nur
menschlich, nicht offiziell interessiert darnach erkundigt, ob sie
sich schon auf das Hinuntergehen2
freuen, was für Pläne sie hätten oder
d[er]gl[eichen]. Sollten sich Schwierigkeiten oder Konflikte
ergeben, so ist sofort die Forschungsstelle (U 28-4-60) zu
verständigen. Die Forschungsstelle ist grundsätzlich jeden
Tag um 10 Uhr anzurufen und ein kurzer Bericht über die Zahl
der Besucher abzugeben, um ev[en]t[uel]l Anweisungen zu empfangen.
Anweisung
für die Übertragung des stenographischen Protokolls in den
Fragebogen.
Beim Diktat
des Gesprächs, das in der Forschungsstelle zu jeweils
festgesetzten Zeiten stattfindet, müssen einige Daten in
bereits vereinfachter oder chiffrierter Form angegeben werden.
In die rechte
obere Ecke kommen die Initialen des Rechercheurs. In die linke obere
Ecke die Nummer des Siedlungshauses.
Gesprächspartner:
An erste Stelle den Hauptsprecher, andere in () nachher.
S. 4
Wohnungs-
und Kleidungszustand durch einen Strich im entsprechenden Raum
andeuten. Anzahl der Wohnräume. Gesamt-m2-Zahl
der Wohnung angeben. Kl. (KIosett) unterstreichen, wenn im
Wohnverschluss; ebenso bei W (Wasser). Wenn ausserhalb die Zahl der
mitbenützenden Parteien. G (Gas), E. (Elektrizität) strich
[!], wenn vorhanden; einringeln, wenn nicht benutzt. GW
(Gemeindewohnung), U (Untermiete); nicht zutreffendes [!] streichen.
Stimmungscharakteristik:
Gesamteindruck des Rechercheurs; positiv ist +, negativ ist –,
neutral ist Gleichheitszeichen. Eines dieser Zeichen in () bedeutet
Urteil des Gesprächspartners über einen Nichtanwesenden. !
neben diesem Zeichen bedeutet sehr positiv oder sehr negativ.
Gespräch
wortgetreu wiedergeben, zweizeilig schreiben, breiten Rand lassen.
Quelle:
Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich,
Nachlass Paul F. Lazarsfeld, Signatur 1, Filmrolle 1.
©
AGSOe
1 Gang:
österreichisch für Korridor. Anmerkung
Reinhard Müller.
2 Hinuntergehen:
im Wienerischen Sprachgebrauch heißt es »unten in der
Leoplodau«. Anmerkung
Reinhard Müller.
©
Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006
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Präsidium
Kuratorium
Max Horkheimer
Marie Jahodas Bezug
Untersuchungen
"Generalschema"
"Verkaufs- & Konsumbarometer"
Projekt "Leopoldau"
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