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Marie Jahoda über ihre erste Begegnung mit Max Horkheimer Paris, Dezember 1935 bis Januar 1936 J[ahoda]: [...]. Muß wohl ’35 gewesen sein, denn ich war aktiv in der illegalen Partei.1 Und eines unserer großen Probleme war, daß wir zuwenig von der Welt gewußt haben, und der [Joseph] Buttinger hat gesagt: »Da gehen diese interessanten Dinge vor in Paris, Du kannst Französisch sprechen, warum gehst Du nicht für eine Woche nach Paris und berichtest uns, was dort los ist?« Und ich bin im Jahr ’35 nach Paris gegangen und hab’ dort den [Max] Horkheimer getroffen – [...]Ich hab’ damals eine ganze Reihe von Untersuchungen begonnen. (...) Wahrscheinlich waren die »Denkgewohnheiten«2 – wie man zu einer politischen Überzeugung kommt – auch, zum Teil mit der illegalen Arbeit verbunden. [...] D[ahms]: Sie haben, glaube ich, auch gesagt (...), daß Sie das auch mit Horkheimer besprochen hätten [Christian] F[leck]: Ja: im Gerichtsakt stehen Aussagen drinnen, daß Sie mit Horkheimer über ein Projekt »Denkgewohnheiten« gesprochen hätten. D[ahms]: War das eine Schutzbehauptung? J[ahoda]: Nein, wahrscheinlich war das richtig, denn der Horkheimer war mir in keinem Sinn so nah, daß er spontan mir eingefallen wäre. Es muß schon wahrscheinlich richtig gewesen sein. D[ahms]: Jedenfalls aber das steht fest: auf irgendeinen Plan einer Fusionierung oder so etwas hat er da überhaupt nicht – J[ahoda]: Hat er nicht direkt mit mir gesprochen. Und die Situation war schon: der Horkheimer hat sicher gewußt, daß ich aktiv in der illegalen Partei gearbeitet hab’ und die – er war ein vorsichtiger Mensch, er – [...] D[ahms]: Und das war Horkheimer auch klar, daß Sie – J[ahoda]: Ganz klar. Absolut. Denn ich hab’ ihm sicher erklärt, was der Hauptzweck meines Besuches in Paris war. (...) Der Hauptzweck war: Die illegale Partei hat mich nach Paris geschickt, um mit dem Leon Blum3 und der Partei zu sprechen und um ein Gefühl dafür zu kriegen, was die popular front4 bedeutet und wie die Menschen sich einstellen. Das war der Hauptgrund meiner Reise. Und den Horkheimer habe ich dann dazugefügt, weil ich gewußt hab’, daß er in Paris war, und weil ich mit ihm zumindest in schriftlicher Verbindung war durch den Beitrag zu »Autorität und Familie«.5 1 Illegale Partei: gemeint ist die illegale Organisation der österreichischen Sozialdemokratie während des Ständestaat-Regimes, die »Revolutionären Sozialisten Österreichs« (RSÖ) 1934 bis 1938, denen Marie Jahoda angehörte. Anmerkung Reinhard Müller.
2 Denkgewohnheiten:
Es handelt sich dabei um eine geplante Studie der
»Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der Österreichischen
Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle«, für die
Material gesammelt wurde, welches bei der Verhaftung
Marie Jahodas
im November 1936 beschlagnahmt wurde.
Anmerkung Reinhard Müller.
3 Léon
Blum (Paris 1872 – Jouy-en-Josas, Yvelines 1950):
sozialistischer Politiker; vom Juni 1936 bis Juni 1937, vom März
bis April 1938 und vom Dezember 1946 bis Januar 1947 französischer
Ministerpräsident. 1936/37 bildete er mit Radikalsozialisten
und Kommunisten eine Volksfrontregierung. Anmerkung
Reinhard Müller.
4 Volksfront:
Bezeichnung für eine Koalition, die – im Gegensatz zur so
genannten Einheitsfront – neben kommunistischen und
sozialdemokratischen auch linksbürgerliche Parteien einschloss.
Das wohl bekannteste europäische Beispiel waren Léon
Blums Regierungskabinette 1936/37 und 1938. Anmerkung
Reinhard Müller.
5 Vgl.
Marie Jahoda-Lazarsfeld: Autorität
und Erziehung in der Familie, Schule und Jugendbewegung
Österreichs,
in: Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte
aus dem Institut für Sozialforschung. Band
2. Paris: Librairie Félix Alcan 1936, S. 706–725.
Anmerkung
Reinhard Müller.
© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006 |
FORSCHUNGSSTELLE Verein Präsidium Kuratorium Max Horkheimer Marie Jahodas Bezug Untersuchungen "Generalschema" "Verkaufs- & Konsumbarometer" Projekt "Leopoldau" |