[Aleksandra Gan]

Die Stadtrandsiedlung Leopoldau
Beispiel eines (ausgefüllten) Fragebogens, [Wien 1934], hektografiertes Typoskript, 1 S.

[S. 1]

276 Oppolzer [Aleksandra] Gan



gepflegt durchschnitt verwahrl[ost]
Wohnung

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Kl[ei]d[un]g
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Zim[mer] Kab[inett] Kü[che] V[or]z[immer]
Kl[osett] Wa[sser] Ga[s] El[etrizität]
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G[emeinschafts-]W[ohnung] U[nter-]M[iete]

38 m2
Diverses: Die ganze Wohnung ist grau und unfreundlich, nur im Zimmer ist es halbwegs aufgeräumt. In der Küche stehen überall Sachen herum. Auch im Kabinett, das nicht nur als Schlafraum für die beiden Burschen verwendet wird, sondern gleichzeitig auch als Rumpelkammer und Trockenraum für die Wäsche, kreuz und quer sind Leinen gespannt, herrscht die grösste Unordnung. Katze, Nähmaschine.



Stimmung:
M[ann] F[rau] K[ind]        

+




M[änner] F[rauen]
14 – / / / / /
– 14 / /

Gespräch (mit Frau): Mein Mann ist Maurer, aber er ist schon zwei Jahre arbeitslos, was soll er machen? Das Umanandlungern1 verdriesst ihn so sehr. Die Burschen (einer ist Maurerlehrling, und der andere schon gelernter Mechaniker, arbeitet jetzt nur 3 Tage in der Woche) und das grosse Mädel (Lehrmädchen in einer Miederwerkstätte) werden auch arbeitslos und dann sind wir alle zuhause, davor fürchten wir uns so, das ist ja heute gar nicht anders zu erwarten. Und draussen2 kann man arbeiten, anbauen. Mein Mann ist sehr fleissig, er will immer nur arbeiten und die Buben freuen sich auch schon darauf. In der Zeitung haben wirs gelesen und so haben wir geredet, geredet und sind dann zusammen mit zwei Nachbarn, die jetzt auch siedeln, hingegangen. Wir sind beide vom Land, ich habe das gern, ich kenne die ganze Feldarbeit, war bis zum 20. Lebensjahr bei meinen Eltern zuhause in Böhmen. So ist es für uns eine Leichtigkeit, sonst möchten wir uns nicht so darübertrauen. Wir haben schon früher einen Schrebergarten gehabt, mein Mann war Platzmeister und dort haben wir halt ein bissel Grund gehabt, wir haben Ferkel und. Hasen, auch Hühner gehabt, das alles werden wir uns jetzt auch anschaffen. Es ist schwer mit dem Geld, aber schön langsam wird es schon gehen. Wir haben noch nicht das ganze Geld (300 S[chilling]) aufgebraucht) [!] und sill [!] ich den Sohn (Mechaniker) dalassen, er hats dann in die Arbeit nicht so weit und übernimmt hier die Stelle als Hausmeister. Wir wollen ja diesen Posten nicht verlieren, es sind doch ein paar Schilling und so können wir dann leicht alles bezahlen. Das grosse Mädel bleibt jetzt vorläufig auch noch da, sie geht seit einem halben Jahr in eine Miederwerkstätte in die Lehre, aber sie will dort nicht bleiben. Das ist privat und da muss sie alles für die Gnädige machen, Geschirrwaschen und aufräumen und liefern gehen und immer heisst es »Minna das, Minna jenes« und alles soll immer schon fertig sein, da hat sie so einen Kopf und wird ganz blöd davon. Sie verdient S[chilling] 4,– in der Woche, aber sie will lieber zuhause bleiben und freut sich schon sehr auf draussen. Mir ist auch lieber, sie bleibt zuhause, draussen werde ich sie auch brauchen. Überhaupt für die Kinder ist es gut, gesund draussen.
Das Mädel (12 Jahre) will ich nicht dort in die Schule gehen lassen, sie ist schon das Fräulein hier gewohnt, man kann sie auch nicht jetzt auf einmal herausnehmen und wo anders einschreiben, sie hat noch zwei Jahre. Ich fürchte vor allem die Arbeitslosigkeit von uns allen. Unsere Burschen sind arbeitswillig, aber es ist keine Arbeit da und da hilft auch der Wille nicht. Mein Mann wird nie Arbeit kriegen, er ist 44 Jahre alt und wenn er wohin kommt (um um Arbeit nachzufragen) sagt man, er ist schon zu alt. Aber draussen werden wir alle arbeiten, wir werden alle zusammenhaltwn [!], wir müssen uns ja durchs Leben schlagen.

Quelle: Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Nachlass Paul F. Lazarsfeld, Signatur 1, Filmrolle 1. © AGSOe

1 Umanandlungern: wienerisch für Herumlungern. Anmerkung Reinhard Müller.
2 Draussen: gemeint ist: in der Leoplodau. Anmerkung Reinhard Müller.

© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006

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