M[oriz] E[duard] Weiser

Die Sanitätspflege in Fabriken

in: Monatsschrift für die gesammte praktische Heilkunde (Wien), 10. Jg., Bd. 3, Nr. 2 (September 1869), S. 154–160, und 10. Jg., Bd. 4, Nr. 3 (Oktober 1869), S. 230–232.

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Die Sanitätspflege in Fabriken.

Von Dr. M. E. Weiser, Fabriksarzt zu Marienthal.

(Original-Mittheilung der Med.-chirurg. Rundschau.)

Die eigenthümlichen Verhältnisse, welche eine Fabrik und deren Betrieb umgeben, der eng begrenzte Baum, welcher einer grossen Anzahl Menschen durch 12 – 14 Stunden Tag für Tag zum gemeinsamen Aufenthalte dient, die ungünstigen Verhältnisse, unter deren Einfluss die Arbeiter bezüglich ihrer Lebensweise, ihrer Wohnung etc. stehen, ja die einfache Thatsache der Menschenanhäufung in abgesperrten Räumen, die neben dem Bestehen jeder Fabrik einhergeht (und die dort, wo die Fabriksleitungen es aus Humanitäts- oder anderen Rücksichten angezeigt finden, den Arbeitern gemeinsame Wohnungen anzuweisen, sich noch potenzirt) fordert schon zu einer aufmerksamen, gesetzlich geregelten Invigilirung der Sanitäts-Verhältnisse solcher Institute heraus.

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Sowohl zum Schutze des Individuums selbst, welches hier mehr wie anderwärts allen Schädlichkeiten ausgesetzt ist, welche dem »bösen Prinzipe« des Lebens, der Krankheit, den endlichen Sieg in dem »Kampfe um das Dasein« garantiren, als auch dem Interesse des Staates dient es, wenn diese Anstalten, welche förmlich dazu geschaffen scheinen, als Heerde von Epidemien und ansteckenden Krankheiten aller Art zu fungiren, ihrer schädlichen Potenzen möglichst entkleidet oder dieselben nach Thunlichkeit beschränkt werden, zu welchem Behufe ein Einschreiten von Staatswegen erste Bedingung ist.

Die Anzahl der Fabriken in Oesterreich ist keine geringe und beträgt gewiss ein halbes Hundert, in denen die Zahl der darin beschäftigten Arbeiter (welche wir ein für allemal als »Fabriksarbeiter« bezeichnen wollen, zum Unterschiede vom »Arbeiter-Personale«, wozu auch die in der Fabrik nicht beschäftigten Angehörigen derselben zu rechnen sind) zwischen 50 – 1000 variirt. Rechnet man nur mit der Durchschnittszahl 500, so erhält man bereits die anständige Ziffer von 25,000 Personen. Da aber, wie leicht nachzuweisen, auf jeden Fabriks-Arbeiter wenigstens 1 Person (Frau, Kind, Mutter, Schwester oder dgl.) kommt, mit der er ausser der Fabrik sein häusliches Elend theilt, so wächst die oben angegebene Ziffer für Fabriks-Arbeiter-Personale auf das Doppelte an, und es befinden sich demnach in den circa 20 Ländern der österr.-ungarischen Monarchie wenigstens 50,000 Personen (2500 pr. Provinz), für welche in gesundheitspolizeilicher, wie in sanitärer Beziehung überhaupt der Staat bisher gar nicht, die private Humanität willkürlich oder ungenügend vorgesorgt hat. Eine genauere Kenntniss würde manche der obigen Angaben rektifiziren, einige der aufgeführten Ziffern wohl noch verdoppeln.*)

Mit der bisherigen Gesetzbestimmung: »dass der Dienstgeber seine erkrankten Diener auf eigene Kosten im Spitale behandeln lasse«, ist soviel wie nichts gethan und es bleibt der Inhumanität, der Chikane, wie auch der Willkür beider Theile und, worauf es uns hauptsächlich ankommt: gefährlichen Vernachlässigungen Thür und Angel offen. Ob diese Vernachlässigung nun aus Unkenntniss oder böswilligem Unverstand

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*) Diese Annahme zeigte sich vollkommen gerechtfertigt in einer mehrere Wochen nach Abschluss dieses Artikels erschienenen Schrift, welche sich mit der »Sorge für das materielle und geistige Wohl der Fabriksarbeiter« befasst und worin die Gesammtzahl der Fabriksarbeiter in Oesterreich mit 418,000 angenommen wird; hiezu werden jedoch nicht blos die Industriearbeiter, sondern auch die des Bergwesens gerechnet. Es werden ferner von Etablissements, welche für Beköstigung ihrer Arbeiter Vorsorge treffen, 382 industrielle mit 49143 und 122 montanistische mit 36754 Arbeitern genannt und 493 industrielle mit 59343, 222 montanistische mit 54793 Arbeitern als solche angeführt, welche in Hinsicht der Bequartierung vorsorgen. Von den gesanimten Arbeitern werden 219581 in Krankheits- oder Sterbefällen mit Geldunterstützungen betheilt. – Wir reproduziren einfach diese Angaben, welche an der Rechnungs- und Berechnungsweise so wie an den wesentlichen Vorschlägen in diesem Artikel nicht das Geringste ändern, wohl aber die Durchführung der letzteren in Anbetracht einer grösseren Betheiligung noch vorteilhafter und leichter erscheinen lassen.

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einer oder der anderen Partei, ob aus Kosten- oder anderen Rücksichten entstanden, ist für die Folgen ziemlich gleichgiltig oder richtiger gesagt: ändert nichts an deren Bedeutung und so empfiehlt sich schon auch aus prophylaktischen Gründen die Leitung und Aufsicht der Gesundheitsverhältnisse durch ein mehr weniger behördlich-ärztliches Organ.

An mehreren, aber weitaus nicht allen industriellen Unternehmungen dieser Art bestehen »Fabriks-Aerzte«, die ihr Honorar aus der Fabrikskassa oder aus der Kassa eigener Kranken-Vereine beziehen.

So nutzbringend sich einerseits diese Einführung beweist, so eng gezogen ist andererseits der Wirkungskreis eines Fabriks-Arztes und das Schicksal seiner Anordnungen, insofern sie über die Krankenpflege hinausgehen, hängt ab von der Einsicht und dem guten Willen des Fabriks-Herrn, sowie von dem freiwilligen Gehorsam der Arbeiter, zu deren Besten sie dienen sollen.

Meist aber reicht bei diesen Leuten, bei denen die Schule noch grosse Unterlassungssünden gut zu machen hätte, das Recht des Arztes nicht weiter als vom Pulsfühlen bis zum Rezeptschreiben, was darüber ist, dünkt ihnen vom Uebel, dem sie einfach ihre Anerkennung versagen und wäre es auch nur durch den so sehr in Schwung gekommenen passiven Widerstand.

Dass derartige Vorkommnisse nicht zum allgemeinen Wohle beitragen können, wie sie auch nicht zum Vortheile des Einzelnen gereichen, ist unschwer einzusehen. – Wären hiebei nicht eben auch die Gesundheitsinteressen Anderer gefährdet, so könnte man das in der letzten Zeit schon bis aufs Aeusserste strapazirte Sprüchlein vom »Seligwerden nach eigener Facon« mutatis mutandis, auch hier anwendbar finden, allein ein ander Ding ist es, auf Christus oder Mohamed zu schwören und wieder ein anderes mit oder ohne ärztliche Behandlung und Aufsicht, einsam, in einem separirten Salon, oder neben einem Dutzend anderer, gesunder oder kranker Menschen, in einer rauchigen, dumpfen Stube an Typhus, Variolen, Dysenterie, Cholera, Skorbut, Syphilis, Blennorrhoe oder dgl. krank darnieder zu liegen. Ohne weitere Folgerungen anzuknüpfen, lasse ich die nachstehenden, dem abgelaufenen Jahre 1868 entnommenen Daten für sich selbst sprechen und will nur noch besonders erwähnen, dass gerade die hiesige Fabriksleitung in der Vorsorge für das Wohl und Vergnügen der Arbeiter vielleicht (in Oesterreich) einzig dasteht.

Mehrere umfangreiche Wohngebäude bieten hier in Marienthal den Fabriks-Arbeitern unentgeltliche Quartiere; ein hübscher Park steht Jedem zur Benützung und zur Erholung in seinen freien Stunden offen; Turn- und Gesangs-Vereine, sowie ein gut dirigirtes Dilettanten-Theater theilen sich in die schöne Aufgabe, Leib und Geist zu üben, Kräfte zu wecken oder wach zu erhalten; ein Konsumverein sucht durch Ermässigung der Lebensmittelpreise den Arbeitern auch von dieser Seite unter die Arme zu greifen und (um zur Hauptsache zu kommen) ein Arbeiter-Kranken-Verein erhält einen eigenen Fabriks-Arzt, ein vollkommen und zweckmässig eingerichtetes Spital, eine reich dotirte und elegant ausge-

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stattete Apotheke und stellt ferners ein Badehaus mit Dampf- und Wannenbädern zur Verfügung seiner Mitglieder – zu denen eben alle Arbeiter zählen.

Angesichts dieser Thatsachen und der nun mitzutheilenden Ziffern drängt sich unwillkürlich die Frage auf: »Wenn Solches schon am grünen Holze geschieht, was kann man erwarten von den dürren oder faulenden Baumstämmen – von jenen Fabriksunternehmungen, deren Streben nur ein Ziel kennt: den eigenen, möglichst grossen Gewinn!?

Das Jahr 1868 zählte 304 Erkrankungen, welche auf kürzere oder längere Zeit mit Arbeitsunfähigkeit verbunden waren; die Zahl jener leichten Krankheiten und Verletzungen, welche ambulatorisch zur Behandlung kamen und neben welchen die Arbeit nicht ausgesetzt wurde, betrug sicherlich zum Mindesten ebensoviel. Todesfälle ereigneten sich 38.

Es kamen demnach auf 1 Monat circa 26 Kranke, auf 1 Tag circa 1 Kranker oder genauer auf je 12 Tage 10 Kranke; ferner auf nicht ganz 10 Tage 1 Todesfall oder genauer auf 3 Monate 6 Tage 10 Todesfälle.

Mit Bezug auf die 700 Fabriks-Arbeiter entfielen auf circa 3 Personen 1 Kranker oder genau auf 23 Personen 10 Kranke; auf circa 18 Personen 1 Sterbefall, oder genauer auf 184 Personen 10 Sterbefälle.

Mit Bezug auf das gesammte Arbeitspersonale entfielen auf circa 5 Personen 1 Kranker, oder genau auf 49 Personen 10 Kranke; auf circa 39 Personen 1 Sterbefall oder genau auf 395 Personen 10 Sterbefälle.

Es kam ferner auf 8 Erkrankungen 1 Todesfall.

Perzentisch berechnet, erkrankten von den Fabriks-Arbeitern 43.4% von dem gesammten Arbeiter-Personale 20.3%; starben von den Fabriks-Arbeitern 5.4%, von dem Arbeiter-Personale 2.5%, von den Erkrankten 12.5%.

Unter den 304 Kranken des Jahres 1868 befanden sich 165 Männer, 139 Weiber.

Demnach erkrankten von den Fabriks-Arbeitern Männer 23.6%, Weiber 19.9%, vom Arbeits-Personale Männer 11%, Weiber 9.3%.

Von den Todesfällen betrafen 18 das männliche, 20 das weibliche Geschlecht; es starben daher vom männlichen Geschlecht des Arbeiter-Personales 1.2%, vom weiblichen 1.3%.

So ziemlich gleiche (oft sogar bis auf das Minutiöseste übereinstimmende) Resultate geben auch die, leider nur aus dem letzten Halbjahre 1867 zu entnehmenden Daten und es wird hiemit die Lückenhaftigkeit einer bloss einjährigen Beobachtung um Einiges mehr zur glaubwürdigen Wahrscheinlichkeit gehoben. Gewissheit ist freilich nur von mehrjährigen, mit Aufmerksamkeit gesammelten Erfahrungen zu erwarten und bis dahin mögen die vorstehenden Angaben, denen ich nothgedrungen noch Einiges zur Ergänzung anfügen muss, als Ausgangs- oder Anhaltspunkte gelten.

Von den auf obige Berechnungen wesentlich Einfluss nehmenden

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Momenten besonders hervorzuheben sind die klimatischen Verhältnisse, welche hierorts die einer Malariagegend von ausgesprochenem Charakter sind; die Mortalitätsziffer wird ferner hauptsächlich durch die grosse Sterblichkeit unter den Kindern auf eine ungewöhnliche Höhe gebracht, von denen viele sogar ohne ärztliche Behandlung starben und welche dem Fabriks-Arzte, der seit einigen Jahren auch zugleich die Todtenbeschau versieht, erst bei der Ausstellung des Todtenzettels zur Kenntniss kommen.

Ein anderer Umstand, der wieder auf Verkleinerung der Krankheitsziffern einzuwirken geeignet scheint, ist der Wegfall von gynäkologisch oder syphilitisch Erkrankten, denen auf Kosten der Kranken-Kassa keine ärztliche Behandlung oder sonstige Unterstützung zu Theil wird, daher sich die Betreffenden durch ihre Absentirung (meist in die Krankenhäuser Wiens) der Kontrole und Berechnung entziehen.

Der kürzeste Weg, die Fabrikssanitätspflege in den Wirkungskreis eines öffentlichen Sanitätsorganes zu bringen, wäre: Gemeindeärzte (Bezirksärzte) für so und so viel tausend Seelen je Einen zu kreiren und die Fabriksbevölkerung einfach der Gemeindebevölkerung (in dieser Beziehung wenigstens) zuzutheilen. Hiebei kann es aber auch passiren, dass (wie gerade hierorts, wo verschiedene Fabriksgebäude verschiedenen Gemeinden zugehören) der Sanitätsdienst einer und derselben Fabrik sich unnatürlicherweise unter 2 Aerzte zu vertheilen hätte.

Wenn beispielsweise die Nothwendigkeit angenommen würde, für je 2000 Personen einen (landesfürstlichen) Arzt anzustellen, so hätte eine Fabrik mit einem Personale von 2000 Menschen ganz allein für sich bereits einen Arzt, welcher solcherart de facto »Fabriksarzt« wäre; bei einem geringeren Personalstand würde die Ergänzung auf die angenommenen 2000 aus der Gemeindebevölkerung zu nehmen sein.

Auch ein zweiter Weg stünde offen und führte zum Ziele: der Staat besetzt unter der beibehaltenen Bezeichnung »Fabriksärzte« in allen grösseren Fabriken (d.i. von 500 Fabriksarbeitern aufwärts, was einer Bevölkerung von 1000 Seelen entspricht) Stellen für öffentliche Sanitätsorgane, deren Position zu den übrigen näher bestimmt werden müsste, etwa die erste Stufe unter den öffentlichen Anstellungen dieser Richtung einnehmen würde.

Es ist leicht zu begreifen und durch Thatsachen erhärtet, dass selbst bei vollkommen gleicher Seelenanzahl die Gesundheitsverhältnisse einer Fabriksbevölkerung denen einer anderen (Gemeindebevölkerung) unverhältnissmässig nachstehen und es müsste, um auf den konkreten Fall zurückzukommen, mit sonderbaren Dingen zugehen, wenn in einer Gemeinde von 1500 Seelen 20 Perzent erkrankten, noch dazu in einem seuchenfreien Jahre.

Die Erklärung liegt auf der Hand und auf die Gefahr hin, bereits Gesagtes theilweise zu wiederholen, will ich nochmals die Hauptmomente hervorheben, als da sind: Das Zusammenleben von vielen Menschen; die gleichartige, meist schon an und für sich gesundheitsschädliche, bis zur körperlichen Uebermüdung angestrengte Beschäfti-

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gung, welche die Zeit von 5 Uhr Morgens, bis 7 Uhr Abends mit 3maliger, kurzer Unterbrechung von durchschnittlich einer halben Stunde zur Frühstücks-, Mittags- und Vesperzeit in Anspruch nimmt; die sanitätswidrigen Verhältnisse der Wohnungen, welche durch Mieth- und Aftermiethgabe an möglichst viele Personen thunlichst einträglich zu machen gesucht werden, wodurch neben der eigenthümlichen Scheu vor Luft und Lüftung, welche bei der arbeitenden Klasse zu beobachten ist, sich eine Atmosphäre erzeugt, deren zweifelhafte Brauchbarkeit für das Leben nur noch übertroffen wird von der greif- und riechbaren Gesundheitswidrigkeit jener Objekte und Exhalationen, welche ihre Existenz der mangelnden Obsorge für Aborte, Senkgruben u. dgl. m. verdanken.

Fernere »Behelfe«, die Disposition zur Erkrankung zu erhöhen, sind unstreitig zunächst die schlechte Nahrung und der Mangel an der nöthigen Reinlichkeitspflege an Leib und Kleidung – zwei Faktoren, deren Beseitigung sich eine starr festgehaltene Sparsamkeitsrücksicht als unüberwindliches Hinderniss entgegenstellt. – Zu erörtern, inwiefern diese Rücksicht, hervorgegangen aus der Perspektive auf den Bettelstab, welcher mit zunehmendem Alter und abnehmender Kraft immer näher rückt, ihre Berechtigung, und wo sie ihre Grenzen findet: ist hier nicht beabsichtigt. Eine günstige, d.h. befriedigende Lösung der Versorgungsfrage bezüglich alter, arbeitsunfähig gewordener Arbeiter ist überhaupt nur von einem allgemein zur Geltung gekommenen Assoziationswesen, Gründung von Arbeiter-Invaliden-Kasen u. dgl. m. zu erwarten. –

Aus den oben aufgezählten Kausalmomenten nun ist auch zu entnehmen, warum die Arbeiter, deren Verhältnisse mit denen der Soldaten in mancher Beziehung eine gewisse Analogie besitzen, gleichwohl in sanitärer Hinsicht ungünstigere Erscheinungen bieten als jene. Wenn Thatsachen überhaupt noch der Beweise bedürften, so wären die oben gemachten Anführungen darnach angethan, den Beweis zu liefern, dass die gesundheitsschädlichen Potenzen einer »Fabriksgemeinde« um das Fünffache über die einer politischen Gemeinde von gleicher Seelenzahl prävaliren.

Sollten auch von den folgenden Vergleichen nicht alle für stichhältig befunden werden, so möchte ich doch fragen: Wenn jedes Bataillon, jeder Kriegsschooner seinen Chefarzt, wenn Versorgungshäuser, Strafanstalten u. dgl. m. ihre eigenen Institutsärzte besitzen, welche doch auch nur vom Staate, oder der Gemeinde, oder der Gesellschaft in Ansehung der besonderen, namentlich durch das gleichzeitige Nebeneinander vieler Menschen bedingten oder erhöhten Gefahr für das körperliche Wohl angestellt sind: warum sollen die »Soldaten der Arbeit« und die Fabriken dieser segensreichen und nützlichen Vorsorge entrückt sein, umsomehr, als von all den genannten Anstalten und Körperschaften keine so ungünstige Verhältnisse aufzuweisen hat, als eben diese Werkstätten der Industrie, die zugleich Werkstätten des Elends sind? Im Militär, wie auch bei anderen der genannten Institute, besteht obendrein eine bestimmte Disziplin, oder eine Hausordnung, oder eine genaue Verwal-

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tung u. dgl. m., deren Vorschriften sich auch auf die Gesundheitspflege erstrecken, von all diesem besteht in den Fabriken derzeit nichts, oder nichts zu Recht und selbst wenn die Fabriksärzte jetziger Gestalt Einführungen in dieser Richtung beabsichtigen, müssten sie angesichts der Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen, denen die Stütze des Gesetzes fehlt, bald wieder erlahmen. Es gibt eben Dinge, gegen welche auch Götter vergebens kämpfen.

Einschreiten von Staatswegen ist die einzige Möglichkeit, auch dahinein Sinn, Ordnung und Gesundheit zu bringen und entgegen Jenen, welche, obwohl zur »Selbsthilfe« zu schwach, auch in dieser Angelegenheit die »Selbsthilfe« perhorresziren, glaube ich, dass der Staat überall, wo es sich nicht blos um die Gesundheit des Einzelnen, sondern um deren Gefährdung gegenüber Vielen handelt, die Pflicht habe, maasgebend, organisatorisch einzuschreiten.

(Fortsetzung folgt im nächsten Hefte.)

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Die Sanitätspflege in Fabriken.

Von Dr. M. E. Weiser, Fabriksarzt zu Marienthal.

(Original-Mittheilung der Med.-chirurg. Rundschau.)

(Fortsetzung und Schluss aus dem vorigen Hefte.)

Den heikelsten Punkt gäbe jedenfalls die Ausfindigmachung des richtigen Modus ab, wie Erhaltungsmittel für die proponirten Fabriks-Sanitäts-Organe(Fabriks-Bezirksärzte, Bezirks-Fabriksärzte?) beschafft werden sollen. Bei Einbeziehung des Fabriks-Arbeiter-Personals in die Bevölkerung einer politischen Gemeinde entfällt jedes weitere Bedenken und Berechnen von selbst; der betreffende Bezirksarzt bezöge eben seinen Gehalt vom Staate und versehen auch den Sanitätsdienst in der zugewiesenen Fabrik. Für den Fall jedoch, als den Gesundheitsverhältnissen grösserer Fabriken durch Kreirung eigner »Bezirks-Fabriksärzte« eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, wäre es nicht unbillig, die Fabriksunternehmungen zur Leistung von Beiträgen für Erhaltung des ausschliesslich ihrem Besten dienenden Sanitätsorganes anzuhalten, welcher Vorschlag um so weniger befremden darf, als ja auch in neuester Zeit das »Gesetz zur Erhaltung der Gewerbe-Schulen« zu diesem Zwecke die Einhebung von je 2 Kreuzern von jedem Gulden der Erwerbesteuer für alle Gewerbetreibenden anordnet; dass die von uns befürwortete Hebung des körperlichen Wohles der Arbeiter-Klasse den Bestrebungen für Ausbildung der geistigen Fähigkeiten sicherlich nicht an Bedeutung nachsteht, ja dass letztere nur dann von gutem und nachhaltigem Erfolg begleitet sein werden, wenn für erstere entsprechend gesorgt ist, wird jeder Unparteiische zugeben müssen.

Festgehalten daran, dass stabile Fabriks-Spitäler errichtet werden und der Jahresgehalt eines Fabriksarztes 1000 fl. betrage, scheinen nun folgende Vorschläge statthaft:

An der Herbeischaffung der Erhaltungsmittel partizipiren jene 3 Parteien, deren Interesse zunächst hiedurch gefördert wird, der Staat, die Fabriksbesitzer und die Fabriksarbeiter. Der Staat erhebt, etwa durch die Fabriksdirektionen, von den nicht schwer in Evidenz zu haltenden Fabriksarbeitern einen jährlichen »Beitrag für Sanitätszwecke«. Ein Jahresbeitrag von 2 fl. per Kopf (was, um nach der in Arbeiterkriesen üblichen Art zu rechnen, einer wöchentlichen Abgabe resp. einem Lohnrücklass von nicht ganz 4 kr., entspräche) ergibt für 25,000 Arbeiter eine Einnahme von 50,000 fl. Mit Bezug auf die obenberechneten 20% Erkrankungen dürfte es ferner nicht schwer fallen, die Fabrikbesitzer zu bewegen, einen jährlichen Beitrag von 40 fl. für jedes 100 der von ihnen beschäftigten Fabriksarbeiter zu leisten, wobei in jenen Fällen, in welchen die Arbeiteranzahl unter 100 beträgt, der ganze Betrag für ein volles 100 zu entrichten wäre. Die Fabriksherren dürften sich um so eher dazu verstehen, wenn man ihnen dagegen die schwer wiegende, auch nicht ganz

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zu rechtfertigende Pflicht abnimmt, für jene Arbeiter, welche zuletzt in ihren Diensten gestanden und welche nach ihrer Entlassung, oft lange Zeit später erkranken, die Spitalsverpflegskosten zuzahlen; diese letzteren, per Kopf und Monat mit 20 fl. angenommen, ergeben für einen Mann 240 fl. im Jahre.

Setzen wir den wahrscheinlichen, dabei noch günstigen Fall, dass Jahr aus Jahr ein in einer Fabrik von den darin beschäftigten Arbeitern nur einer per 100 erkrankte, so erwächst einer Fabrik mit 500 Arbeitern eine Jahresauslage von 1200 fl. für ihre Kranken, welche in diesem Falle nur 5 an der Zahl wären und wobei die Entlassenen und Vazirenden gar nicht in Betracht gezogen wurden.

Unter den ganz gleichen Annahmen, jedoch mit Zugrundelegung des oben vorgeschlagenen Modus, entfiele für die Fabrik ein Jahresbeitrag von 200 fl. Wenn auch die Anzahl der grösseren Fabriksunternehmungen (und nur bei solchen plaidiren wir selbstständige Fabriksärzte und Spitäler, während wir die kleineren den Gemeindebevölkerungen zugezählt wissen wollen), vielleicht gar nur die Hälfte der mit 50 angenommenen Gesammtzahl ausmacht, so hätte doch die vorgeschlagene Beitragspflicht ihre Geltung für Fabriksherren und Arbeiter und es blieben von sämmtlichen Fabriksherrn für 25.000 Arbeiter die Jahresbeiträge von 10.000 fl. einzuzahlen, welche mit dem von den Arbeitern abzugebenden 50.000 fl. eine Gesammteinnahme von 60.000 fl, im Jahre repräsentiren würden, welche für Erhaltung der Fabrikssanitäts-Organe und der Spitäler disponibel wäre.

Mit Bezug auf die eben willkührlich vorgenommene Reduzirung der grösseren Fabriken auf 25 bleibt gleichwohl die Nothwendigkeit der Kreirung von 25 Fabriksärzten und einer gleichen Zahl Fabriksspitäler bestehen. Den Jahresgehalt des Arztes mit 1000 fl. und die jährlichen Erhaltungskosten eines Fabriksspitals mit 20 Betten zu 3000 fl. angenommen, ergibt sich eine Jahresauslage von 100.000 fl., hievon die Einnahmen mit 60.000 fl. abgezogen, bleibt ein Rest von 40.000 fl, dessen Deckung aus Staatsmitteln zu erfolgen hätte; da es nichts mehr als billig erscheint, dass der Staat, der hiebei auch im eigenen Interresse handelt, welcher durch die vorgeschlagenen Massnahmen neuerdings die Leistungsfähigkeit der betheiligten Personen in Anspruch nähme, und welcher anderseits gewissermassen in die häuslichen Verhältnisse zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer eingreift, zur Erreichung des gemeinsamen wünschenswerthen Zweckes auch sein Schärflein beisteuere. Dieser Kostenantheil würde sich jedoch in Wirklichkeit um vieles niedriger stellen. Bei Berechnung des Kostenüberschlages für die Fabriksspitäler wurde das mögliche Maximum, nämlich der Fall angenommen, dass Tag für Tag durchs ganze Jahr sämmtliche 20 Betten belegt seien. Ferner können auch die Kräfte der Arbeiter selbst, welche derzeit zu Händen ihrer Krankenkasse wöchentlich 5–15 kr., also das Doppelte bis Vierfache des hier vorgeschlagenen Betrages, zurücklassen*), ohne Gefahr eine Unbill zu be-

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*) Da die Arbeiter hiefür von ihren Krankenvereinen derzeit nicht blos unentgeltliche ärztliche Behandlung und freie Medikamente geniessen, sondern auch Geldunterstützungen erhalten, so wären bei Bemessung der »Beiträge für Sanitätszwecke« zwar nicht die höchsten Ausmasse, wohl aber die Mittelzahlen gerechtfertigt.

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gehen, mehr in Anspruch genommen werden. Auch die Erhöhung der für die Fabriksbesitzer ausgesetzten Beiträge ist nicht ausgeschlossen mit Bezug auf den früher erwähnten und ihnen abzunehmenden Spitalskostenzahlzwang sogar zu empfehlen.

Bisher wurden nur die Fabriksarbeiter im engern Sinne im Auge behalten; eine Zuziehung der Angehörigen derselben – ein Vorgang, welcher die Evidenzhaltung und Kontrolle wohl etwas schwieriger machte, würde die Einnahme bei gleichbleibenden Ausgaben namhaft vermehren. Wenn die bisher berührten Punkte die Möglichkeit offen liessen, durch Vermehrung der Einnahmen ein günstigeres Resultat zu erzielen, so ist dasselbe indirekter Weise zum Theile auch durch Verminderung der Ausgaben zu erreichen und in Ansehung der Avancements- und Pensionsfähigkeit der vom Staate anzustellenden Zukunftsfabriksärzte würden sich dieselben gewiss auch mit kleineren Jahresgehalten zufrieden geben.

Es ist mir nicht unbekannt, dass in vorstehenden approximativen Voranschlägen die Kosten der Er- und Einrichtung der Spitäler ausser Berechnung geblieben, doch sollte für diesmal eben nur die Idee in ihrer Allgemeinheit in Anregung gebracht werden; die Ausarbeitung der Einzelheiten steht dann erst in zweiter Reihe. Durch eine Regelung der Fabriks-Sanitätspflege in der Weise, wie sie eben skizzirt wurde, wäre man allen Anschauungen und Rücksichten möglichst gerecht geworden.

Dass aber auch die Wissenschaft, voran die medizinische Statistik, der wir eine freie Entwicklung und Selbstständigkeit wünschen, nicht mit leeren Händen ausginge, wenn die besprochenen Einführungen zur That werden sollten, liegt in der Natur der Sache und die Dokumente der Fabriksspitäler, die Protokole der Fabriksärzte etc. würden manche, nicht uninteressante Aufschlüsse liefern über den Antheil z.B. den Arbeitsbetrieb mittelst Maschinen überhaupt auf Schädigung der Gesundheit nimmt, – über den Einfluss, den hiebei das Objekt der Arbeit übt, – über die vorherrschenden (»Berufs-«) Krankheiten, – über Lebensdauer, Motalitätsverhältnisse, Häufigkeit und Art bestimmter Gruppen von Krankheiten, Verletzungen, Unglücksfällen etc. etc.

Zur Zeit von Epidemien, die dem Arzte das sind, was dem Soldaten der Krieg, würden diese Filialspitäler die Bedeutung von Festungen gewinnen und mögen zuletzt die Bedrängnisse in und um dieselben noch so gross werden, so bietet doch weit und breit kein zweiter Platz so gute und zahlreiche Mittel der Verteidigung, der Abwehr, wie eben nur diese und sie sind es, die den Ausgangspunkt der fernen Unternehmungen bilden.

So scheint sich denn der diesmal behandelte Gegenstand in jeder Richtung von selbst einer entsprechenden Würdigung zu empfehlen und wir überlassen ihn somit getrost seinem ferneren Schicksale.