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Jacob Levy Moreno. Eine biografische Chronik
J. L. Moreno (Jakob Moreno Levy) in Österreich
1918–1925
Wien: 1919
1919
J. L. Moreno ist vom 5. Januar bis 21. Juni 1919 bei seiner Mutter
Pauline Levy (1873–1954) in Wien 2., Lilienbrunngasse 8, polizeilich
gemeldet und meldet sich dann nach Kottingbrunn, Niederösterreich, ab.

1919
J. L. Moreno optiert am 25. Januar 1919 für Österreich und erhält mit
30. Januar 1919 das Heimatrecht für Kottingbrunn, Niederösterreich, und
damit die österreichische Staatsbürgerschaft.

1919
J. L. Moreno setzt seine alte Zeitschrift »Daimon« im 2. Jahrgang unter
dem Titel »Der Neue Daimon. Eine Monatsschrift« (Wien) fort. J. L.
Moreno (er zeichnet wieder als »Jakob Moreno Levy«) ist Herausgeber der
Hefte 1/2 (Januar 1919) und 3/4 (April 1919). Die Zeitschrift erscheint
zunächst im Verlag der »Daimon-Schriften«, Wien, das Heft 3/4 im
Genossenschaftsverlag, Wien. Die Hefte 4/5 bis 11/12 zeichnen als
Herausgeber beziehungsweise Redakteure Fritz Lampl (Wien 1892 – London
1955) und Carl Ehrenstein (Wien 1892 – London 1971). Von J. L. Moreno
erscheinen in der Zeitschrift unter anderem die Texte »Die Gottheit als
Redner«, »Erklärung an Spartakus«, »Die
Gottheit als Komödiant«,
»Das Königreich der
Kinder«,
»Gespräche der
Königin Helle«,
»Kleiner Knabe
fragt«
und »Sprüche aus
dem Buche der Kinder«.

Kottingbrunn: 1919
1919
J. L. Moreno arbeitet vom März bis September 1919 als provisorischer
Gemeindearzt in Kottingbrunn, Niederösterreich.
1919
J. L. Moreno
ist Mitbegründer des Ende März 1919 gegründeten »Genossenschaftsverlags
registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung« mit Sitz in
Wien 1., Bauernmarkt 9; trotz des Namens wird der Verlag beim
Handelsgericht nicht registriert. Als Verlagsort wird zunächst nur Wien
angegeben, seit 1920 Wien–Prag–Leipzig. Als Gründungsmitglieder zeichnen
neben J. L. Moreno der Arzt und Individualpsychologe Alfred Adler (Rudolfsheim
[heute zu Wien] 1870 – Aberdeen, Schottland 1937), die Schriftsteller
Albert Ehrenstein (Ottakring [zu Wien] 1886 – New York 1945), Fritz
Lampl (Wien 1892 – London 1955), Hugo Sonnenschein (Gaya, Mähren [heute
Kyjov, Tschechien] 1889 – Mírov 1953) und Franz Werfel (Prag ‹Praha›
1890 – Beverly Hills, Kalifornien 1945). J. L. Moreno erscheint Anfang
1920 zum letzten Mal als Mitglied des Genossenschaftsverlags, der um
1921 eingeht.
Bad Vöslau: 1919–1925
1919
J. L. Moreno lässt sich im September oder Oktober 1919 in Vöslau (seit
1924: Bad Vöslau), Niederösterreich, nieder. Hier bewohnt er das
Schweizerhaus in Maital 4, wo er eine Arztpraxis eröffnet und wo er bis
November 1925 praktiziert. Im neben dem Wohnhaus liegenden Felsenkeller
hatte übrigens Robert Schlumberger, seit 1878 Edler von Goldeck
(Stuttgart 1814 – Vöslau [Bad Vöslau] 1879), 1843 den ersten nach der
Champagnermethode hergestellten österreichischen Schaumwein produziert.
Schild der Praxis in Bad Vöslau, Maital 4: »DR. MED. UNIV. /
J. Moreno Levy / em. Vorstand eines Kinderspitals / der N.Ö.
Statthalterei«.
1969 enthüllte Gedenktafel am Wohnhaus in Bad Vöslau, Maital 4: »DR.
JACOB L. MORENO / GEMEINDEARZT VON VÖSLAU / 1918 – 1925 / ENTWICKELTE
HIER / SOZIOMETRIE / GRUPPEN-PSYCHOTHERAPIE / PSYCHODRAMA«.

1919
J. L. Moreno arbeitet in Vöslau (seit 1924: Bad Vöslau) seit Oktober
1919 als medizinischer Direktor (Fabriksarzt) bei der »Vöslauer
Kammgarnfabrik Aktiengesellschaft« in Vöslau.

1919
J. L. Moreno arbeitet seit vermutlich 17. Oktober 1919 bis spätestens
November 1920 als provisorischer Gemeindearzt von Vöslau (seit 1924: Bad
Vöslau).

1919
Noch 1919 beginnt J. L. Morenos Beziehung zu seiner »Muse«, der
katholischen Lehrerin Maria Viktoria Stefanie Lörnitzo (1900–1984),
»Marianne« genannt, mit der er in Maital 4 zusammenlebt. Sie ist seine
Geliebte und seine medizinische Assistentin.

1919
J. L. Moreno fährt in den Jahren 1919 bis 1925 regelmäßig nach Wien, um
dort seinen literarischen und psychodramatischen Aktivitäten
nachzugehen.

1920
Als Fortsetzung der Zeitschrift »Der Neue Daimon« erscheint als 3. und
4. Jahrgang 1920 und 1921 »Die Gefährten. Eine Monatsschrift« (Wien bzw.
Wien–Prag–Leipzig), bei der J. L. Moreno allerdings nur mehr als
Mitarbeiter fungiert. Als Heft 2 der Zeitschrift »Die Gefährten«,
erscheint 1920 anonym J. L. Morenos Text »Das Testament des Vaters«, den
er in Trance an die Wände seines Hauses in Maital 4 geschrieben haben
soll.
Bei der publizierten Arbeit handelt es sich um eine gekürzte Fassung,
denn am Ende des Textes wird angekündigt:
»Die
vollständige Ausgabe dieses Werkes erscheint im Herbst.«

1920
J. L. Moreno arbeitet seit etwa November 1920 bis Dezember 1925
angeblich als Gemeindearzt in Vöslau (seit 1924: Bad Vöslau).

1921
J. L. Moreno inszeniert am 1. April 1921, 22 Uhr, im Wiener Komödienhaus
in Wien 9., Nußdorfer Straße 4–6, sein erstes öffentliches
Stegreiftheater-Experiment: »Das Narrentheater im Königsnarren«, auch
unter dem Titel »Das Narrenhaus des Herren der Welt von Jakob Levy«
angekündigt. Dabei gibt es weder ein Theaterstück noch Schauspieler im
herkömmlichen Sinn, sondern J. L. Moreno versucht, gemeinsam mit
Protagonisten und dem Publikum ein spontanes Spiel zu verwirklichen.
J. L. Moreno sieht später in dieser Veranstaltung den Beginn des
Psychodramas, die Tagespresse schreibt vom »Dadaismus im Komödienhaus«.

1921
In der »Wiener Mittags-Zeitung« (Wien) vom 2. April 1921 erscheint
anonym der Artikel »Dadaismus im Komödienhaus« über J. L. Morenos
Stegreiftheater-Experiment vom 1. April 1921.

1921
J. L. Moreno führt in Wien 1921 angeblich das gruppenanalytische
Diwan-Experiment zur Widerlegung der psychoanalytischen Regel der freien
Assoziation durch. Die Teilnehmer liegen jeweils auf einem eigenen Diwan
und assoziieren laut vor sich hin. Die dabei entstehenden gegenseitigen
Beeinflussungen sollen zu einer Gruppenproduktion werden, zur
Gruppenanalyse und Gruppentherapie führen.

1922
[J. L. Moreno]:
Das Testament des Vaters.
Potsdam: Verlag des Vaters / Gustav Kiepenheuer Verlag 1922 (= Die Reihe
der Einheiten. [1].);
stark erweiterte Fassung des Textes aus dem Jahr 1920.

1923
J. L. Moreno gründet im Januar 1923 mit finanzieller Unterstützung
seines Bruders
William L(evy) Moreno
(1892–1976)
»Das
Stegreiftheater« in Wien 1., Maysedergasse 2. In dem von ihm gemieteten
Saal sollen Protagonisten gleichsam als Schauspieler unter aktiver
Beteiligung des Publikums problematische Lebenssituation spontan
darstellen. Zu den initiierenden Protagonisten gehören Freunde J. L.
Morenos, unter anderem die Schauspielerin Elisabeth Bergner (Drohobycz,
Galizien [heute Drogobič ‹Дрогобич›, Ukraine] 1897 – London 1986), der
Schriftsteller Robert Blum (Wien 1881 – Paris 1952), der Schauspieler
Karl Forest (d.i. Karl Obertimpfler; Wien 1874 – Wien 1944), die
Schauspielerin und Malerin Anna Höllering (Wien 1895 –
Natschbach-Loipersbach, Niederösterreich 1987), der Schriftsteller Georg
Kulka (Weidling, Niederösterreich 1897 – Wien 1929), der Schauspieler
und spätere Theaterwissenschaftler sowie Filmregisseur Hans Rodenberg (d.i.
Hans Rosenberg; Lübbecke, Nordrhein-Westfalen 1895 – Ost-Berlin 1978)
sowie der spätere Schauspieler und Filmregisseur Peter Lorre (d.i.
László Loewenstein; Rózsahegy / Rosenberg, Ungarn [heute Ružomberok,
Slowakei] 1904 – Los Angeles, Kalifornien 1964), der von J. L. Morenos
Bruder William
L(evy) Moreno (1892–1976)
für das Theater entdeckt worden sein soll. Unter den Besuchern des
Stegreiftheaters befindet sich unter anderem der Psychoanalytiker
Theodor Reik (Wien 1888 – New York City,
New York
1969). J. L. Moreno betreibt das Stegreiftheater, in dem zwei- bis
dreimal pro Woche gespielt wird, bis mindestens April 1924. Der
Mietvertrag wird mit Ende Juni 1924 gekündigt.
»Das
Stegreiftheater«
gilt als Ursprung von J. L. Morenos Psychodrama.

1923
J. L. Moreno entwickelt gemeinsam mit dem HTL-Ingenieur
Franz Lörnitzo
(1906–?),
Bruder
seiner Muse Marianne,
und dem späteren Ingenieur Anton Haller (Baden bei Wien 1907 – Graz ?),
der später als Künstler (Foto, Tanz, Video) das Pseudonym »Antoine«
benutzt, seit 1923 ein Tonaufnahmegerät, »Selbsttätige
magnet-elektrische Lautsprechvorrichtung« genannt, dem J. L. Moreno
später den Namen »Radio-Film« gibt. Der Uhrmachersohn Haller ist
gleichsam der Chefkonstrukteur, Lörnitzo ist als Techniker für den Antrieb zuständig
und J. L. Moreno fungiert hauptsächlich als Geldgeber. Für das 1925
fertiggestellte Gerät wird angeblich 1926 in Wien ein Patent angemeldet.
J. L. Moreno überlegt 1925, die Erfindung der
»General Phonograph Company« in Elyria, Ohio, anzubieten.

1923
J. L. Moreno erörtert 1923 mit dem Architekten Rudolf Hönigsfeld (Auspitz
[heute Hustopeče] 1902 – Wien 1977) das Modell seiner Stegreifbühne
und fertigt im Dezember 1923 Entwürfe für den projektierten Bau an.

1924
[J. L. Moreno]: Das
Stegreiftheater (ein Regiebuch für Stegreifspiele). Potsdam:
Verlag des
Vaters / Gustav Kiepenheuer
Verlag [1924] (= Die Schriften des Vaters. / Die Reihe der reinen
Örter. 1.). Das Buch erscheint im März 1924.

1923
[J. L. Moreno]: Der
Königsroman. [Potsdam:
Verlag des Vaters /Gustav Kiepenheuer
Verlag 1923] (= Die Reihe der unendlichen Konflikte. 1.).

1923
[J. L. Moreno]:
Rede über den Augenblick.
Potsdam: Verlag des Vaters / Gustav Kiepenheuer
Verlag
1923 (= Die Reihe der Einheiten. 3. / Die Reden des
Vaters. Rede 1.).

1924
In der Zeitung »Neuigkeits-Welt-Blatt. Tageszeitung für den Mittelstand«
(Wien) vom 27. April 1924 erscheint anonym der Artikel »Das Theater von
Morgen. Das alte Stegreifspiel in neuer Belebung« über J. L. Morenos
Stegreiftheater.

1924
Vom 24. September bis 20. Oktober 1924 wird die vom Architekten und
Bühnenbildner Friedrich Kiesler (später Frederick Kiesler; Czernowitz,
Galizien [heute Černivzi
‹Чернівці›,
Ukraine] 1890 – New York City,
New York
1965)
organisierte »Internationale Ausstellung neuer Theatertechnik« im
Konzerthaus in Wien 3., Lothringerstraße 20, gezeigt, in der J. L.
Moreno sein Modell des »Theaters ohne Zuschauer« (»Stegreiftheater
Modell«)
präsentiert. Für den Katalog
fertigt der Architekt Rudolf Hönigsfeld (Auspitz [heute Hustopeče]
1902 – Wien 1977) auch eine Architekturskizze dieses Theaters an. Bei
der Eröffnung kommt es zu einem Eklat. J. L. Moreno beschuldigt
Friedrich Kiesler des Plagiats seines Bühnenmodells, indem er vor
versammeltem Publikum und der zahlreich anwesenden Presse laut in den
Saal hineinruft: »Ich erkläre hiermit vor aller Öffentlichkeit Herrn
Friedrich Kiesler für einen Plagiator und für einen Lumpen!«

1924
In der Zeitschrift »Das Zelt. Eine jüdische illustrierte Monatsschrift«
(Wien), 1. Jahrgang, Heft 10 ([Oktober] 1924) erscheint Seite 372
bis 273 anonym die Rezension »Das Stegreifspiel« des gleichnamigen Buchs
von J. L. Moreno aus dem Jahr 1924 mit den Illustrationen »Zentralbühne
mit Höhenentwicklung. Vier Nebenbühnen« und »Zentralbühne mit
Höhenentwicklung«.

1924
[J. L. Moreno]: Die Gottheit als Autor.
Potsdam:
Verlag des
Vaters /
Gustav Kiepenheuer Verlag [1924] (= Die Reihe der
Einheiten. 2. / Die Gespräche des Vaters. Gespräch 1.).

1924
[J. L. Moreno]:
Rede über die Begegnung.
Potsdam:
Verlag des Vaters / Gustav Kiepenheuer
Verlag
1924
(= Die Reihe der Einheiten. 3. / Die Reden des Vaters. Rede 2.).

1925
Die Zeitschrift »Ma. Internacionális aktivista művészeti Folyóirat«
(Wien), ein avantgardistisches Organ der Gruppe »Magyar aktivista«,
erklärt sich solidarisch mit J. L. Moreno in seinem Konflikt mit
Friedrich Kiesler und veröffentlicht im 10. Jahrgang, Heft 1 (15. Januar
1925), J. L. Morenos Stellungnahme »A rögtönző-szinház. (Théatre
immendiat.)« (»Das Stegreiftheater«) sowie die wohl vom Architekten
initiierten »Erklärungen II« der »Architekten für
Massenform (Scherer, Neuzil, Löwitsch)«
der Wiener Architekten
Rudolf Scherer (Wien 1891 – Wien 1973),
Walter Neuzil (Pozsony / Preßburg [Bratislava]
1894 – Innsbruck 1992) und
Franz Löwitsch (1894 – 1946).

1925
Am 19. Januar 1925 beginnt in Wien vor dem Strafbezirksgericht I der
sogenannte Plagiatsprozess von Friedrich Kiesler, vertreten durch
Rechtsanwalt Richard Preßburger (Wien 1862 – Wien 1938), gegen J. L.
Moreno wegen Ehrenbeleidigung und Verleumdung. Im Wesentlichen geht es
in der Verhandlung um das Urheberrecht am Raumbegriff. Der Prozess geht
durch alle Instanzen und endet erst 1930 mit dem Urteil des
Österreichischen Obersten
Gerichtshofes in Zivilsachen, das J. L. Moreno freispricht. Zu diesem
Zeitpunkt leben beide Kontrahenten bereits seit Jahren in den USA.

1925
[J. L. Moreno]:
Rede vor dem Richter.
Potsdam:
Verlag des
Vaters /
Gustav Kiepenheuer Verlag 1925 (= Einladung zu einer
Begegnung.).

1925
Im Oktober 1925 stirbt J. L. Morenos Vater Moreno Nissim Levy (um
1856–1925) in Bukarest ‹Bucureşti›.

1925
J. L. Moreno emigriert am 21. Dezember 1925 über Hamburg in die
Vereinigten Staaten von Amerika, wo er per Schiff im Januar 1926
eintrifft.
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Copyright © 2013 Reinhard Müller, Graz
Stand: Januar 2014

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