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Karl Kraus über Georg Jahoda Wien, Dezember 1926 bis Februar 1927Im letzten Heft (Nr. 735-742, Oktober 1926) hätte mitgeteilt werden sollen, daß bis zu diesem ein volles Vierteljahrhundert erfüllt war seit dem Tage, als der Druck der Fackel von der Druckerei Jahoda & Siegel übernommen wurde. Das erste Heft, das sie hergestellt hat, war die Nr. 82 (Anfang Oktober 1901). Es sind somit 661 Nummern aus dieser Druckerei hervorgegangen, ausnahmslos unter persönlichster Aufsicht und Mitwirkung Georg Jahodas. Nach seinem Hingang wird mir dieses wichtigste Datum in der Geschichte der Fackel gegenwärtig, auf das der stillste aller Wohltäter mich nicht aufmerksam gemacht hatte, mir so verwehrend, ihm die letzte Freude einer festlichen Erinnerung zu bereiten.[Karl Kraus]: Notizen, in: Die Fackel (Wien), 28. Jg., Nr. 743-750 (Dezember 1926), S. 64. Georg Jahoda † [...]. Doch er hat es beiweitem nicht dabei bewenden lassen, jeden Bogen vor dem Abdruck durchzulesen. Er hat den Leidensweg jedes Wortes dieser unzähligen Ausgaben, von der ersten Übersetzung in die Letternschrift, durch die vielen Korrekturen, bis in die Druckmaschine liebend mitgemacht und im selbstherrlichsten Anspruch stilistischen und kompositorischen Waltens die künstlerische Notwendigkeit achtend, ihm kein Opfer versagt. Feiner Bemerkungen eine Fülle, nebst dem unermüdlichen Bemerken des kleinsten fehlerhaften Buchstaben, findet sich auf den Tausenden von Abzügen, die seit etlichen Jahren erhalten werden; und wie oft hat seine gütige Hand, sie selbst und die der braven Helfer, noch Bogen für Bogen der großen Auflage einen nachträglich entdeckten Fehler beseitigt, der ihn mehr schmerzte, als Andere materieller Verlust. Ja, er hat »durch seine tief lebendige Beziehung zum Wort der Fackel mehr für die Literatur unserer Zeit getan als die meisten der heute lebenden Schriftsteller«, und, eben darum, blieb das Andenken solcher Treue, solcher Leistung vor jedem Mißton bewahrt jener Trauerglocken der öffentlichen Meinung, die ihr die geringeren Verluste künden. Wie weitab von dieser schnöden Zeitlichkeit hat doch ein Menschentum gelebt, dessen Hingang die Besten traurig macht und das Herz eines ebenbürtigen Bruders gebrochen hat. [Karl Kraus]: Georg Jahoda †, in: Die Fackel (Wien), 28. Jg., Nr. 751-756 (Februar 1927), S. 92-94. Wiedersehen des TagesWann hab zuletzt ich den Tag gesehn?Ich mußte an einem Grabe stehn. Dann ging ich ins Leben weit und breit und es war, als wär' es ein letztes Geleit, leidtragend ging es den Ring entlang und jegliches Ding den letzten Gang, dahin, wo sich alle versammelt haben, wie je und je, zum Graben, zum Graben. An den Häusern und Läden war alles erneut, die Waren lebendig, verblichen die Leut', kein Gefühl, kein Gedanke, kein wirkender Wille, nur Kinolarven mit starrer Pupille, vielirdische Hülle auf allen Wegen, kein Hinterbliebner kam mir entgegen; du lebst noch? schienen sie zu fragen und um Lebendiges zu klagen, im Zeitlupenmaß erstarrte der Fuß, doch die Hand erhob sich zum letzten Gruß. Von einem Grabe ging ich zum Grab, da ich den Tag gesehen hab. [Karl Kraus]: Wiedersehen des Tages, in: Die Fackel (Wien), 28. Jg., Nr. 751-756 (Februar 1927), S. 95. © Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006 |
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