Marie Jahoda über ihren Onkel Georg Jahoda

The third brother [of my father (i.e. Carl Jahoda)], George [Jahoda], was apprenticed in his father's printing shop, eventually took it over and developed it into a first-class small publishing house. Karl Kraus became his major author and his obsession. Given Karl Kraus's character, nobody but an obsessively devoted publisher could have produced the Fackel year in, year out without a printing error. The publishing house was just around the corner from my father's business, separated by a cafe in which the two brothers met daily for their morning coffee. They were very close. We do not even have to talk to understand each other, my father used to say. No wonder that Karl Kraus became our family god too. Only after Karl Kraus had, in 1928 [recte 1927; R.M.], a poster affixed all over Vienna after the police had killed 98 people who demonstrated against the acquittal of political murderers,1 saying: Mr. [Johannes] Schober2 (the Police President), I demand your abdication, signed Karl Kraus, Kraus's unabashed megalomania began to jar. I was then an activist in the social-democratic party, whose publications Kraus treated with contempt.
When my uncle died, a month before my father, Kraus published a beautiful poem in his memory. Both Georg and my father excelled in a wide-spread Viennese pastime: versifying for every conceivable occasion: birthdays, anniversaries and one-off family events.

Marie Jahoda Albu: Reconstructions. [Keymer, Sussex: Published by the author] 1996, S. 6.

1 Am 30. Januar 1927 kam es im burgenländischen Schattendorf zu einem Zusammenstoß zwischen Angehörigen des sozialdemokratischen »Republikanischen Schutzbundes« und der rechtsgerichteten »Frontkämpfervereinigung«, der zwei Tote und elf Verletzte forderte. Am 5. Juli 1927 begann in Wien der so genannte Schattendorfer Prozess, in dem sich drei Frontkämpfer wegen der beiden Todesfälle zu verantworten hatten. Als das Wiener Schwurgericht die drei Angeklagten am 14. Juli frei sprach, legte am nächsten Tag ein Großteil der Wiener Arbeiterschaft, vor allem die sozialdemokratisch orientierte, aus Protest gegen dieses Urteil die Arbeit nieder und zog spontan und weitgehend unorganisiert in die Innenstadt. Der Justizpalast am Schmerlingplatz wurde von den Demonstranten gestürmt und in Brand gesetzt. Die Wiener Polizei ging schließlich mit Waffengewalt (Einsatz von Säbel und Schusswaffen) gegen die Demonstranten vor. Am 16. Juli fanden die Unruhen trotz eines teilweise befolgten Generalstreiks ihr Ende. Die bis heute umstrittene Opferbilanz: 89 Tote (darunter vier Polizei- und Kriminalbeamte), 660 Schwer- und 1.000 Leichtverletzte. Der Wiener Polizeipräsident Johannes Schober, der den Einsatz der Waffen zu verantworten hatte, galt daraufhin nicht nur in sozialdemokratischen Kreisen als »Arbeitermörder«. Anmerkung Reinhard Müller.
2 Johannes Schober (Perg, Oberösterreich 1874 - Baden, Niederösterreich 1932): Jurist und nationalliberaler Politiker; nach dem Studium an der Universität Wien (Dr. jur. et rer. pol.) seit 1898 im Polizeidienst; seit 1913 Leiter der Staatspolizei, seit 1918 der Wiener Polizeidirektion und Polizeipräsident; Juni 1921 bis Mai 1922 Bundeskanzler und bis Januar 1922 auch Außenminister, Januar bis Mai 1922 auch Innenminister und im Mai 1922 Finanzminister; September 1929 bis September 1930 Bundeskanzler, bis Oktober 1929 auch Unterrichts- und Finanzminister, im Juni 1930 auch Minister für Handel und Verkehr; Dezember 1930 bis Januar 1932 Vizekanzler und mit der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten betraut, Mai bis Juni 1931 auch Justizminister; Dezember 1930 bis August 1932 Abgeordneter zum Nationalrat für den »Nationalen Wirtschaftsblock«. Schober erteilte am 15. Juli 1927 als Wiener Polizeipräsident den Schießbefehl auf die Demonstranten gegen die »Schattendorf-Mörder« und wurde daraufhin von Karl Kraus (1874-1936) in einer für ihn eher untypischen Aktion - vergebens - zum Rücktritt aufgefordert. Anmerkung Reinhard Müller.

© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006

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