[Michael Freund & János Marton]
Geschichten aus dem »Herrenpark«
in: Gramatneusiedler Gemeindeforum (Gramatneusiedl), 2. Jg., Nr. 3 (Dezember 1979).
Die Veröffentlichung auf dieser Website erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Freund, Wien, und János Marton, New York (N.Y.). Beachten Sie das Copyright!
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Die Arbeitsgruppe Marienthal berichtet:
Geschichten aus dem »Herrenpark«
»Komm in den totgesagten Park, und schau!«
(Stefan George)
In den Erinnerungen der Marienthalerinnen und Marienthaler taucht immer wieder der »Herrenpark« auf und alle sind ein bißchen traurig, dass der Park jetzt so verwildert ist und man ihn nicht mehr benutzen kann. Wir haben hier zusammengestellt, was wir über den Park in Erfahrung bringen konnten.
In dem Buch von Jahoda, Lazarsfeld, Zeisel »Die Arbeitslosen von Marienthal« (1933) wird der Park zweimal erwähnt: »Gegenüber der Fabrik liegt der große, einstmals herrschaftliche Park. Auf ihn waren die Marienthaler sehr stolz. Am Sonntag waren sie auf den Bänken in der Allee mit den sorgfältig geschnittenen Sträuchern gesessen, waren auf den gepflegten Wegen spazieren gegangen. Jetzt ist der Park verwildert: Unkraut wuchert auf den Wegen, die Rasenflachen sind zerstört. Obwohl fast jeder Marienthaler Zeit dafür hätte, kümmert sich niemand um den Park.« (S. 56) Ein Marienthaler Arbeiter, der wie die meisten um diese Zeit arbeitslos war, berichtet 1932 wie er tagsüber seine Zeit verbringt: »13 bis 14 Uhr: nach dem Essen wird die Zeitung durchgesehen; 14 bis 15 Uhr: bin ich hinunter gegangen; 15 bis 16 Uhr: bin ich zum Treer gegangen; 16 bis 17 Uhr: beim Baumfällen zugeschaut, schade um den Park.« (S. 86)
Um diese Zeit wurde der Park also schon teilweise abgeholzt. Noch heute schwärmen viele von dem schönen Park: »Der Herrenpark, das war ein wunderbarer Park und jetzt ist das eine Wildnis. Da war sogar ein Tennisplatz. Um die Kastanienallee ist es wirklich schade, die ging vom Tor bis ganz hinunter, und auf den Bänken haben immer Leute gesessen. Nach der Arbeit sind die Leute in den Park gegangen, das war dann ein bißchen Erholung. Jetzt gibt es so etwas nicht mehr. Der Park war so richtig ein Erholungszentrum, am Wochenende sind die Leute von Wien herausgekommen, um in den Park zu gehen. Außer den Tennisplätzen gab es eine wunderschöne Kegelbahn, ein Waffenmuseum, Obstbäume und einen schönen Teich.« Was ist dann mit dem Park geschehen? »Man hat den Park so richtig verschleudert. Wir wußten damals, dass in dem Todesco-Denkmal, das ist ja heute auch schon ›geköpft‹, hinter einer Platte eine Urkunde mit Widmung eingemauert war. Auf dieser Urkunde stand, dass der Park den Arbeitern von Marienthal gewidmet war. Aber die Platte war herausmontiert und die Urne war verschwunden. Noch heute sieht man die Schienen und den Rand,
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wo die Urne einmal gestanden hat. Der Park hat 1929/30 für nur 2000 Schilling den Besitzer gewechselt. Die Eschenbäume, die verkauft worden sind, haben das Tausendfache von dem Preis wieder eingebracht, für das Holz, das der Hitler für seine Gewehrkolben gebraucht hat.«
Der Teich ist dann zugeschüttet worden, dadurch ist eine andere wichtige Funktion des Parkes unterbunden worden: er war ein Teil des Marienthaler Kanalisationsnetzes: »Die Kanalisation wurde so gemacht, daß die öffentlichen Klos ständig mit Wasser durchspült wurden, und wenn das Wasser so etwa über einen Kilometer durch den Teich und die frische Luft geflossen ist, dann war das fast wie eine biologische Kläranlage. Die Brunnen, zum Beispiel, haben ja auch gleichzeitig zur Durchwässerung und zur Reinigung der Kanäle beigetragen und darum sind sie Tag und Nacht gelaufen.«
Der Park hat auch politisch eine bewegte Geschichte. Ein Marienthaler erzählt vom 1. Mai 1934: »Da haben wir auf dem Teich ein Boot schwimmen lassen, und zwar so, daß man es nicht gleich erreichen konnte. Da stand ein Galgen drauf mit einer Tafel ›DEM VOLKE‹, weil man ja damals die Leute, die beim Schutzbund mitgemacht haben, verfolgt hat. Das hat sich ganz schnell herumgesprochen in Marienthal. Und ein andermal haben wir auf die Dächer und auf die Bänke im Park und auf den Tennisplatz mit roten Buchstaben geschrieben: ›Es lebe die Vierte Internationale!‹ Die Gendarmen haben beordert, daß wir die Schrift. sofort entfernen. Und da haben wir die Schrift einfach sorgfältig mit schwarzer Farbe übermalt und man hat es natürlich immer noch lesen können.«
Der Park wurde also verkauft und parzelliert, einen Teil hat die Gemeinde erworben, der Teich wurde aufgefüllt, die Bänke sind zu allerletzt verschwunden, das Holz ist zum Teil in den Wohnungen zum Heizen benutzt worden. »Aber so bis 1945 war der Park noch halbwegs intakt, die Russen haben ihn dann zusammengedroschen. Aber eigentlich ist das ganze Gelände des Parks ja noch da!«
Eine Marienthalerin sagt: »Es wäre so schön, wenn wir eine Grünanlage in Marienthal hätten. Da ist nirgends eine Bank, oder nur direkt an der Straße. Aber wenn man weiter hinausgeht, kann man sich nirgends niedersetzen. Der Park könnte doch wieder hergerichtet werden, den müßte man ausholzen und wieder ganz neu anlegen.«
Die Kinder spielen natürlich nach wie vor im Park, wie ihre Eltern, als sie klein waren, »Fischergarten« nennen sie ihn jetzt. Die Kinder haben ein kleines Haus gebaut, und im Frühling wollen sie sogar ein Baumhaus in den Wipfeln bauen. Der Park ist noch immer wunderschön mit ein paar herrlichen, alten Bäumen. Kennen Sie die alte Birke, die mitten im Gelände steht? Natürlich gibt es auch viel unwegsames Gestrüpp, das ist schön für Abenteuerspiele, aber macht sonst den Park zu einer undurchdringlichen Wildnis. Ob man da etwas andern könnte?