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»Zum Treer
gegangen«
In einem
Zeitverwendungsbogen eines einunddreißigjährigen ehemaligen
Hilfsarbeiters heißt es in
»Die
Arbeitslosen von Marienthal« (Leipzig 1933), Seite 62:
»15–16 beim Treer gewesen […].«
In einem weiteren
Zeitverwendungsbogen, diesmal eines dreiunddreißigjährigen Arbeitslosen,
heißt es Seite 61:
»15–16 zum Treer1)
gegangen,«
und in der zugehörigen
Fußnote:
»1)
Der Name des Kaufmannes.«
Die Erläuterung in der
Marienthal-Studie,
dass es sich bei Treer (sprich:
’tre:r)
nur um einen Kaufmann handle, ist zwar richtig, aber irreführend. »Der Treer«, wie in Gramatneusiedl heute noch gesagt wird, war eine
Marienthaler Institution: ein Kaufhaus (Spezerei und Kolonialwaren),
eine Fleischhauerei und Selcherei sowie eine Alkoholausschank. Die
beiden zitierten Arbeiter waren beim Treer wohl kaum einkaufen, sondern
haben hier eher Alkohol konsumiert. Es gab zum Zeitpunkt der
Marienthal-Studie drei Gasthäuser in Marienthal: das
Fabrikgasthaus, das
Gasthaus Sam und das
Gasthaus »Zum Südpol«.
Dazu kam die Alkoholausschank des
Heinrich
Treer.
In dem 1878 errichteten
Gebäude des Treer, Mitterndorferstraße 2 (Gemeinde Reisenberg), befand
sich zunächst das so genannte Fabrikkaufhaus, welches seit 1893 von Franz Hollub (1824–1916) und nach dessen Tod von seiner Frau Josefa Hollub
(1854–1941) geführt wurde. 1918 erwarb das Ehepaar Elisabeth Treer
(1891–1973) und Heinrich Treer (1882–1961) das in der Siedlung
Neu-Reisenberg zentral gelegene Gebäude samt Nebengebäuden und richtete
hier ein Kaufhaus für Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs, eine
Fleischhauerei und Selcherei sowie eine bald in den Ruf des Berüchtigten
gekommene Alkoholausschank ein, deren Stellenwert am besten ein noch
heute in Gramatneusiedl kursierender Spruch charakterisiert:
»Vom Treer der Rum
Haut jeden um.«

Heinrich Treer
geb. Pischelsdorf (zu
Götzendorf), Niederösterreich, am 14. Mai 1882
gest. Gramatneusiedl,
Niederösterreich, am 15. Mai 1961
Kaufmann
und
Elisabeth Treer, geborene Meixner
geb. Wien, am 26. Dezember 1891
gest. Gramatneusiedl,
Niederösterreich, am 29. Dezember 1973
Kauffrau
Heinrich Treer kam 1918
mit seiner Ehefrau nach Marienthal, wo sie in der Siedlung
Neu-Reisenberg das ehemalige Fabrikkaufhaus,
Mitterndorferstraße 2, erwarben. Hier eröffneten
sie ein Kaufhaus (»Spezerei und Kolonialwaren«), eine Fleischhauerei und
Selcherei sowie eine Alkoholausschank. Teile des Hauses wurden bei einem
Brand 1924 schwer beschädigt, der gesamte Gebäudekomplex unmittelbar vor
der Befreiung durch die Rote Armee am 2. April 1945 durch eine Sprengung
der nahe gelegenen Brücke über die
Fischa durch die Deutsche Wehrmacht
sowie einem dadurch ausgelösten Brand schwer beschädigt. Nach dem Tod
Heinrich Treers 1961 führte seine Witwe Elisabeth das Geschäft weiter,
danach deren Sohn

Heinrich Treer
geb. Gramatneusiedl,
Niederösterreich, am 11. Mai 1921
gest. Gramatneusiedl,
Niederösterreich, am 29. Dezember 1983
Fleischermeister und
Kaufmann
Heinrich Treer
absolvierte eine Fleischerlehre, die er mit der Meisterprüfung
abschloss. Im Zweiten Weltkrieg zur Deutschen Wehrmacht eingezogen, trat
er nach Kriegsende in das Geschäft seiner Eltern ein und führte dieses
nach dem Tod seiner Mutter 1973 alleine weiter. 1982 wurde die
Alkoholausschank aufgelassen und der Raum
in das Kaufhaus integriert. Nach
Heinrich Treers Tod übernahm das Geschäft sein Sohn

Karl Treer
geb. Wien, am 29. Januar 1959
Fleischermeister und
Kaufmann
Karl Treer absolvierte die
Handelsschule und machte eine Fleischerlehre, die er mit der
Meisterprüfung abschloss. Nach dem Tod seines Vaters führte er das
Kaufhaus gemeinsam mit der Fleischhauerei und Selcherei weiter. 1988
wurde das Geschäft Treer endgültig geschlossen. Das Haus dient heute als
Wohnhaus, in dem auch die Zahnarztpraxis einer Schwester Karl Treers
untergebracht ist.
Siehe auch
die Bildergalerie:

Für Informationen danke ich Anneliese Annerl (geborene Treer),
Gramatneusiedl.
© Reinhard Müller
Stand: Juli 2011
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