|
um 1100 |
Entstehung der
Siedlung Gramatneusiedl. 1120 erste urkundliche Nennung als »Gezenniusidelen«
(Neue Siedlung des Gezo) und »Hademniusidelen«
(Neue Siedlung des Hadmar). Bis um 1520 im Besitz mehrerer
Herrschergeschlechter (Laaer, Ebersdorfer, Ladendorfer),
der Wiener Patrizierfamilie Tirna und seit 1398 auch des
Metropolitankapitels (Wiener Domkapitel) zu Sankt Stephan. |
|
1400 |
Weihe
der 1399 errichteten Kapelle Sankt Peter und Paul. Später mehrfach umgebaut und
erweitert zur heutigen Kirche. Bis Ende 1949 ist die Kirche in
Gramatneusiedl eine Filiale der benachbarten Pfarre Moosbrunn. |
|
1520–1840 |
Herrschaft
Gramatneusiedl im Alleinbesitz des Metropolitankapitels zu Sankt
Stephan in Wien, ausgenommen 1621 bis 1668 (Bonacina, seit 1642 Hartmann V.
Fürst von Liechtenstein). |
|
1529 |
Verwüstung des
Ortes durch türkische Truppen anlässlich der Belagerung Wiens. |
|
1560–1580 |
Höhepunkt der
Reformation in Gramatneusiedl: Ein Großteil der Bevölkerung ist
evangelisch. |
|
1683 |
Neuerliche
Verwüstung des Ortes durch türkische Truppen anlässlich der zweiten
Türkenbelagerung Wiens. |
|
1704 |
Verwüstung des
Ortes durch aufständische Ungarn, die Kuruzzen. |
|
1751 |
Ignaz Osmann
(1730–1778) lässt die alte Ladenmühle abreißen und an deren Stelle
eine neue aus Stein erbauen. |
|
1762 |
Gründung der
Schule in Gramatneusiedl. |
|
um 1773 |
Ignaz Osmann lässt
zwischen 1771 und 1774 eine zweite Mühle errichten: die Theresienmühle. |
|
1820–1827 |
Die erste Textilfabrik
Marienthal: Der pensionierte Polizeidirektor und
kaiserlich königliche Rat Leopold Pausinger
(1763–1848) kauft die Theresienmühle
und bestellt seinen Teilhaber, den Kärntner Erfinder Franz Xaver
Wurm (1786–1860), zum Direktor der von Wurm eingerichteten »k(aiserlich)
k(öniglichen) priv(ilegierten) Flachs- und Werg-Spinnfabrik zu
Marienthal«. Der Name »Marienthal« ist urkundlich erstmals für
Januar 1823 belegt. 1823
Inbetriebnahme und 1827 Schließung der Textilfabrik Marienthal aus
finanziellen Gründen. 1823 19, 1827 etwa 120 Beschäftigte. |
|
1830–1845 |
Die zweite Textilfabrik
Marienthal: Der Bankier und jüdische Philanthrop Hermann Todesco
(1791–1844) kauft die stillgelegte Fabrik von Leopold Pausinger und
Franz Xaver Wurm, die er
niederreißen lässt. Lässt an ihrer Stelle 1833 ein neues
Fabrikgebäude errichten, das spätere »Altgebäude«: die »k(aiserlich)
k(önigliche) priv(ilegierte) Marienthaler Baumwoll-Gespinnst und
Woll-Waaren-Manufactur-Fabrik« (abgerissen 2008). 1835 etwa 360, 1843 nur mehr 140 Beschäftigte. |
|
1833 |
Gründung der
Fabrikschule in Marienthal (1885 aufgelöst). |
|
1840 |
Ortsansässige
Bauern ersteigern die Herrschaft Gramatneusiedl, womit die
Gramatneusiedler Bauern schon vor der Bauernbefreiung in Österreich
(1848) freie Bauern werden. |
|
1845 |
Eröffnung der von
Hermann Todesco 1844 gestifteten Kinderbewahranstalt (eine Vorform
des Kindergartens) im Bauerndorf Gramatneusiedl (1931 von der Pfarre
Moosbrunn als »Kindergarten« übernommen, 1970 geschlossen, 1992 abgerissen). |
|
1845–1858 |
Die dritte
Textilfabrik Marienthal: Übernahme der Fabrik Marienthal durch Max Todesco (1813–1890); er kauft die Ladenmühle, die er 1846
niederreißen lässt. An deren Stelle Bau einer neuen Fabrik:
Spinnerei und Karderie (1847–1850; niedergebrannt 1945) sowie Weberei
(1855; abgebrannt 1945). 1858 etwa 1.000 Beschäftigte. Außerdem
Umbau des Altgebäudes 1845 zu einem Arbeiterwohnhaus (abgerissen
2008) und Bau eines
weiteren Arbeiterwohnhauses (Neugebäude; 1846): Beginn der Arbeiterkolonie
Marienthal. |
|
1846 |
Eröffnung der
Eisenbahnlinie Wien – Bruck an der Leitha. Bau einer
Lokomotivenremise, Reparaturwerkstätte, eines Heizhauses und eines
Wasserturms mit Wasserkran in Gramatneusiedl; 1900 etwa 75 Beschäftige.
Entstehung eines eigenständigen, von Marienthal unabhängigen
Proletariats. |
|
1850 |
Errichtung eines
Krankenzimmers und 1851 eines »Arbeiter-Unterstützungsfonds«
(Krankenkasse) durch die Textilfabrik Marienthal. |
|
1852 |
Errichtung einer
Postexpeditionsstelle (Postamt) in Gramatneusiedl. |
|
1858–1864 |
Übernahme der
Fabrik Marienthal durch Eduard von Todesco (1814–1887) und
Moritz von Todesco (1816–1873). |
|
1864 |
Fusionierung der
Textilfabrik Marienthal mit der 1838 gegründeten Baumwollspinnerei
Trumau zur »Marienthaler und Trumauer
Actien-Spinn-Fabriks-Gesellschaft«, später »Actien-Gesellschaft der Baumwoll-Spinnereien, Webereien, Bleiche, Appretur, Färberei und Druckerei zu Trumau und Marienthal« genannt. Inhaber der Aktienmehrheit sind
die Familien von Todesco und Miller zu Aichholz. Beständiger Ausbau
der Fabrik: Putzerei (1866; niedergebrannt 1945), Bleiche und Appretur (1869;
großteils abgerissen 1931), Färberei (1881; abgerissen 1930),
Druckerei (1882; abgerissen 1930) und Wäscherei (1887; abgerissen
1930). |
|
1864 |
Errichtung des
Hauses des Arbeiter-Consum-Vereins durch die Textilfabrik Marienthal
(abgerissen 2008; 2008/09 als Marienthal-Museum
rekonstruiert). |
|
1864 |
Errichtung des
alten Fabrikspitals mit Badeanlage (Wannenbäder und
Dampfbad) durch die Textilfabrik Marienthal. |
|
1865 |
Errichtung des
Direktorenwohnhauses Herrenhaus durch die Textilfabrik Marienthal. |
|
1866 |
Errichtung des
Hermann Todesco-Denkmals im Park Herrengarten. Der Park mit
Alleen, Spazierwegen und Sitzbänken, einem Teich, einem
Musikpavillon mit angeschlossener Kegelbahn (errichtet 1894,
abgerissen 1931), einer Badehütte am
Feilbach, zuletzt auch einem Tennisplatz,
ist später für die Angestellten, schließlich auch für die
Arbeiterschaft der Textilfabrik Marienthal zugänglich (1930
aufgelassen). |
|
1866 |
Errichtung der
Traiteurie (Fabrikgasthaus) mit angebautem Tanz- und Theatersaal
(1881; abgerissen 2004) durch die Textilfabrik Marienthal. |
|
1869–1882 |
Errichtung der
heute revitalisierten Arbeitersiedlung Marienthal entlang der Hauptstraße durch die
Textilfabrik Marienthal. |
|
seit etwa
1875 |
Entstehung der zur
Marienthal zählenden Siedlung Neu-Reisenberg (Gemeinde Reisenberg),
mit ihren Geschäften, Gewerbebetrieben und Gasthäusern das
Einkaufs- und Vergnügungszentrum von Marienthal. |
|
1882 |
Errichtung des neuen Fabrikspitals mit Apotheke und Badeanlage (Duschen, Wannenbäder, Dampfbad) sowie mit eigenem
Totenhaus durch die Textilfabrik Marienthal (1931 zu einem Wohnhaus der Gemeinde Gramatneusiedl umgebaut). |
|
1887 |
Errichtung des
Arbeiterwohnhauses Hinterbrühl, ein gemauerter Barackenbau (1985
abgerissen), durch die Textilfabrik Marienthal. |
|
1893 |
Errichtung der
drei Handwerkerwohnhäuser in der Dr. Löw-Gasse (1907 um das Stahl-Haus erweitert) durch die
Textilfabrik Marienthal (eines 2006 abgerissen). |
|
1901 |
Gründung der
»Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl«, das wichtigste
Unternehmen des Ortes seit den 1930er Jahren bis 1962. |
|
1915–1919 |
»K(aiserlich)
k(önigliches) Barackenlager« auf dem Boden der Gemeinden
Gramatneusiedl, Mitterndorf an der Fischa und Moosbrunn; hier
arbeitet unter anderem der
Psychiater und Psychologe
Jakob Moreno Levy
(später Jacob Levy Moreno; d.i. Iakov Moreno Levy; 1889–1974),
Begründer der Soziometrie, des Psychodramas und der
Gruppenpsychotherapie. |
|
1922 |
Einrichtung eines
Montessori-Kindergartens, genannt »Montessoriheim« (1929
aufgelassen, 2005 abgerissen). |
|
1925 |
Übernahme der
Aktienmehrheit der »Actien-Gesellschaft der Baumwoll-Spinnereien, Webereien, Bleiche, Appretur, Färberei und Druckerei zu Trumau und Marienthal« durch die »Vereinigte
Österreichische Textil-Industrie Mautner Aktiengesellschaft« von Isidor Mautner (1852–1930)
und seinem Sohn Stephan Mautner (1877–1944). |
|
1926 |
Bau des
Arbeiterheims Marienthal (1977 geschlossen, 1989 abgerissen; heute steht hier das
Gemeindezentrum Gramatneusiedl) und Aufstellung des Heims der Kinderfreunde (1945
niedergebrannt). |
|
1926 |
Errichtung des
Angestelltenwohnhauses Mautner-Haus sowie von vier hölzernen
Arbeiterbaracken (später »Stahls Wohnbaracken« genannt) im Bereich
der heutigen Straße Am Feilbach (abgerissen 1960 und 2000)
durch die Textilfabrik Marienthal. |
|
12.2.1930 |
Schließung der
Textilfabrik Marienthal vor allem wegen der Wirtschaftskrise.
Höchster Beschäftigungsstand war im Jahr 1929: 1.200 Arbeiterinnen
und Arbeiter sowie 90 Beamte (Angestellte). |
|
1931–1932 |
Zwischen November
1931 und Mai 1932 Feldforschung für die 1933 im Leipziger Verlag S. Hirzel veröffentlichte Marienthal-Studie »Die Arbeitslosen von
Marienthal«. |
|
1932 |
Eröffnung der
Bahnhaltestelle Reisenberg-Marienthal als sichtbares Zeichen für den
Wandel vom Industriedorf zur Pendlergemeinde. |
|
1933–1939 |
Inbetriebnahme
einer Vigogne-Spinnerei in der ehemaligen Spinnerei der Textilfabrik
Marienthal durch Walter Prade; 1933 cirka 35, seit 1934 etwa 40 Beschäftigte. |
|
1934–1939 |
Inbetriebnahme
einer Weberei und Appretur in der ehemaligen Weberei der
Textilfabrik Marienthal durch Kurt Sonnenschein (1906–195?); 1934 etwa 40, 1935 cirka 70 bis 100 und 1938
etwa 130 Beschäftigte. |
|
1938–1954 |
Eingliederung
Gramatneusiedls nach Wien 1938 durch Nationalsozialisten; nur die
Marienthaler Siedlung Neu-Reisenberg verbleibt bis 1945 beim Gau
Niederdonau. |
|
1939–1945 |
»Arisierung«, also
Raub der Sonnenscheinschen Fabrik. Neuer Besitzer ist seit April
1939 der deutsche »Arisierungs-König« Fritz Ries (1907–1977), seit
September 1940 der deutsche Unternehmer Adolf Ahlers (1899–1968).
1943 kriegsbedingte Stilllegung, ausgenommen eine kleine Näherei
(bis Ende 1944). |
|
1939–1949 |
Übersiedlung der
»Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« in die
ehemaligen Räumlichkeiten Walter Prades. Nutzung der Gebäude als
Getreidelager und Reparaturwerkstätte für landwirtschaftliche
Maschinen. |
|
1939–1942 |
Liquidierung der »Actien-Gesellschaft
der Baumwoll-Spinnereien, Webereien, Bleiche, Appretur, Färberei und
Druckerei zu Trumau und Marienthal« (begonnen 1939, beendet 1942). |
|
1943–1945 |
Einrichtung eines
Flugzeugbestandteile-Depots der »Wiener Neustädter Flugzeugwerke
Ges.m.b.H.« in den Räumlichkeiten der
»Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« auf dem ehemaligen Fabrikareal. |
|
2.4.1945 |
In der Nacht vor
der Befreiung Gramatneusiedls durch die Rote Armee brennen
Angehörige der Deutschen Wehrmacht fast alle Anlagen der ehemaligen
Marienthaler Textilfabrik nieder. |
|
1946–1958 |
Wiederaufnahme des
Betriebs der Marienthaler Textilfabrik Kurt Sonnenscheins, der
um 1953 sein Eigentum endgültig zurückerhält. |
|
1958–1961 |
Übernahme der
Sonnenscheinschen Fabrik durch den Wiener Textilfabrikanten
Justinian Karolyi. |
|
31.3.1961 |
Endgültige
Schließung der Marienthaler Textilfabrik. |
|
1960–1975 |
Im ehemaligen Direktorenwohnhaus Herrenhaus, seit 1962 im ehemaligen Tanz- und Theatersaal wird von Justinian Karolyi
eine kleine Näherei (anfangs etwa 50, zuletzt etwa 25 Beschäftigte)
eingerichtet, deren Besitzer rasch wechseln: 1960 bis 1961 »Manon,
Ges.m.b.H.«, 1961 bis 1969 »Felina Miederfabriken Wien«, 1969 bis 1973 »Chamella, Strickerei, Wirkerei, Konfektion« und 1973 bis 1975 »Bally, Wiener Schuhfabrik AG«. Am 16. Februar 1975 endgültige Schließung des letzten Textilunternehmens in Marienthal. |
|
1962 |
Eröffnung der »Para-Chemie«
(heute »Evonik Para-Chemie, Ges.m.b.H.«) auf einem Teil des Geländes der ehemaligen Textilfabrik Marienthal. Dieses seither bedeutendste Industrieunternehmen Gramatneusiedls produziert Acryl-Glas (2009 etwa
180 Beschäftigte). |
|
1974 |
Überführung der »Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« in das »Raiffeisen-Lagerhaus«, Filiale Gramatneusiedl (1991 etwa 120 Beschäftigte). |
|
1987 |
Dreharbeiten zu
»Einstweilen wird es Mittag…«, ein Film von Karin Brandauer (1945–1992),
veranlasst durch die Marienthal-Studie; Erstausstrahlung ORF, am
1. Mai 1988. |
|
1987–2002 |
Revitalisierung
der Arbeitersiedlung Marienthal in der Hauptstraße. |
|
21.9.2002 |
Enthüllung einer
Gedenktafel für Marie Jahoda (1907–2001) am Haus Hauptstraße 52. |
|
2004 |
Konferenz des
Forschungskomitees zur Geschichte der Soziologie der Internationalen
Soziologischen Vereinigung (ISA) in Gramatneusiedl-Marienthal, 20. bis 23. Mai, mit der Ausstellung »Rückblicke auf Marienthal«. |
|
26.9.2007 |
Eröffnung dieser
Website über Marienthal und die Marienthal-Studie, welche seit 2002
von Reinhard Müller konzipiert und entwickelt wurde. |
|
2008/09 |
Dreharbeiten zum
Dokumentarfilm »Die Arbeitslosen von Marienthal. Wie die
Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre einen blühenden Ort in den
Abgrund riss … und was die Nachwelt daraus lernen kann« von Günter
Kaindlstorfer (geb. 1963); Erstausstrahlung 3sat, am 13. Mai 2009. |
|
1.10.2011 |
Eröffnung des
Museums Marienthal in Gramatneusiedl. |