Fr[anz] Schweickhardt Ritter von Sickingen [d.i. Franz Schweickhardt]
Neusiedl (Gramat-)
in Fr. Schweickhardt Ritter von Sickingen: Darstellung des Erzherzogthums Oesterreich unter der Enns, durch umfassende Beschreibung aller Burgen, Schlösser, Herrschaften, Städte, Märkte, Dörfer, Rotten, etc. etc. topographisch-statistisch-genealogisch-historisch bearbeitet, und nach den bestehenden vier Kreis-Vierteln alphabetisch gereihet. Vierter Band: Viertel unterm Wienerwald. Wien: Gedruckt bei den PP. Mechitaristen 1832, S. 3–5.
[Titelblatt]
Darstellung
des
Erzherzogthums Oesterreich
unter der Ens,
durch umfassende Beschreibung
aller
Burgen, Schlösser, Herrschaften, Städte, Märkte, Dörfer, Rotten, etc. etc.
topographisch-statistisch-genealogisch-historisch bearbeitet, und nach den bestehenden vier Kreis-Vierteln alphabetisch gereihet.
Von
Fr[anz] Schweickhardt Ritter von Sickingen.
Vierter Band.
Viertel unterm Wienerwald.
Wien, 1832.
Gedruckt bei den PP. Mechitaristen.
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ein Dorf in 45 Häusern bestehend, welches eine eigene Herrschaft bildet, und wovon die nächste Poststation Lachsenburg [d.i. Laxenburg; Anm. R.M.] ist.
Eine Schule besteht im Orte, zur Kirche jedoch sind die hiesigen Einwohner nach dem nahen Moosbrunn angewiesen. – Das Patronat der dortigen Kirche ist landesfürstlich, und sie gehört in das Decanat Pottendorf. – Als Landgericht ist die Herrschaft Schwadorf, als Orts-, Grund- und Conscriptionsobrigkeit aber das Wiener-Domcapitel bezeichnet.
Gramat-Neusiedl zählt in 53 Familien 238 Personen; 77 Pferde, 26 Ochsen, 104 Kühe und 161 Schafe; 554 Joch, 1012/27 □ Klftr. [d.s. Quadratklafter; Anm. R.M.] Aecker, 309 Joch 564/78 □ Klftr. Wiesen, 18 Joch 931/92 □ Klftr. kleinere Gärten, 21 Joch 1243/81 □ Klftr. größere Gärten, 4 Joch 1028/65 □ Klftr. Weingärten, 194 Joch 177/73 □ Klftr. Hutweiden, 16 Joch 165/43 □ Klftr. Auen, 7 Joch 467/95 □ Klftr. Bauareal.
Von den Einwohnern – sie gehören in die Classe der Landbauern – werden 3 Ganzlehner, 31 Halblehner und 5 Kleinhäusler gezählt, die übrigen sind Fabriksarbeitsleute; sie beschäftigen sich allein nur mit Ackerbau, in Korn, Gerste und Hafer bestehend, nebst welchem ihre vorzüglichsten Erzeugungsproducte Kraut und Heu sind, die sie nach Wien zu Markte bringen und damit einen Handel treiben. – Grund und Boden sind hier mehrentheils sandig, untermengt mit Kies und Torf, die Wiesen und Hutweiden aber meist naß und sumpfig, überdieß gar oft den Ueberschwemmungen des Piestingflusses ausgesetzt.
Der Ort ist regelmäßig gebaut, die Häuser mit Stroh gedeckt, jenes der Flachsspinn- und Hechelfabrik (ein Eigenthum des Herrn Großhändlers Todesko [recte Todesco; Anm. R.M.]) im sogenannten Marienthal
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gelegen, mit Ziegeln, das herrschaftliche Schloß aber mit Schindeln. So liegt derselbe zwischen Ebergassing und Himberg, und den Communicationswegen nach Seibersdorf, Mitterndorf und Velm. – Das Klima ist ziemlich gesund, auch das Wasser gut. – Mit der Fischa vereinigt sich hier der Piestingfluß und der Jesuitenbach, an welchem ersteren zwei Wassermühlen [d.s. die Ladenmühle und die Theresienmühle; Anm. R.M.], eine mit sechs und eine mit einem Gange, stehen. Von den zwei Auen und dem ganzen hiesigen herrschaftlichen Bezirke gehört die Jagd und Fischerei der Herrschaft an. – Außer dem unbedeutenden herrschaftlichen Schlosse, mit 1 Joch 1070 □ Klftr. Grasgarten, 57 2/4 Tagwerk Wiesen und über 90 Joch Acker bestiftet, deren ganze Wirthschaft an die Unterthanen verpachtet ist, gibt es hier gar keine Merkwürdigkeiten; selbst die Gegend ist bei ihrer ziemlich großen Fläche nicht anmuthig zu nennen, daher finden wir wenig in pittoresker Hinsicht davon zu sagen.
Das Alter von Gramat-Neusiedl reicht übrigens bis zu Ende des XII. Jahrhunderts zurück, und wird in der Melker Bestätigungs-Urkunde der Grenzen der Pfarre Traiskirchen (dorthin gehörte der Ort damals) im Jahre 1120 schon Gehen-Nuisidelen [recte Gezenniusidelen; Anm. R.M.] genannt; es hat seinen Namen von den von Ungarn kommenden Heubauern, die von jeher hier Station hielten und im Orte übernachteten, wobei auch mit Heu und Grummet beträchtlicher Handel getrieben wird, erhalten, weßhalb auch in alten Documenten oft die Benennung: Krumetneusiedl oder Grumetneusiedl vorkömmt.
Was wir von den Besitzern desselben aus Urkunden entnommen haben, ist folgendes: Im Jahre 1318 vertauschte Wernher von Lach (Laa), der ehrbar Ritter seine Gülten zu Neusiedl gegen andere zu Leubestorf (vielleicht Leopoldsdorf?) an die Brüder Hanns und Rudolph von Ebersdorf. Nachdem solche durch viele Jahre bei dieser Familie verblieben waren, erscheint 1405 Ulrich von Trautmannsdorf als Besitzer von Neusiedl. Deßgleichen erscheinen als solche im Jahre 1428 Caspar und Wolfgang von Ladendorf, wovon letzterer seinen Antheil 1450 an Albrecht Herrn von Ebersdorf
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verpfändete, in dessen Händen der Ort wieder lange verblieb. Erst im Jahre 1628 erscheint im ständischen Gültenbuche Hartmann Fürst von Lichtenstein [recte Liechtenstein; Anm. R.M.] als Besitzer von Gramat-Neusiedl; nach diesem folgte 1660 Johann Baptist Edler von Cranne, dann Hermann von Detyrna, von welchem es im Jahre 1669 das Domcapitel in Wien erkaufte, welches diese Herrschaft noch besitzt.
An geschichtlichen Ereignissen ist der Ort zu keiner besonderen Celebrität gelangt.