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Das Metropolitankapitel zu Sankt Stephan
Inhaber der Herrschaft Gramatneusiedl 1398 bis 1621 und 1668 bis 1840
Das Metropolitankapitel (Wiener Domkapitel) zu Sankt Stephan wurde 1365 zum im Bau befindlichen Stephansdom verlegt. Eine erste Einschränkung seines Machtbereichs erfuhr es durch das 1469 bewilligte und 1480 errichtete Bistum Wien, blieb jedoch diesem
gegenüber autonom. 1554 wurden die vierundzwanzig Kanonikate des Metropolitankapitels auf sechzehn verringert, und 1729 wurde das Metropolitankapitel dem Bistum (seit 1723 Erzbistum) Wien unterstellt.
1398 kaufte das Metropolitankapitel zu Sankt Stephan die halbe Herrschaft Gramatneusiedl von den Tirna.
Besitzer der anderen Hälfte der Herrschaft Gramatneusiedl waren 1318 bis 1428 die Ebersdorfer, 1428 bis 1471 die
Ladendorfer und zuletzt 1520 die Liebfrauen-Bruderschaft in der Domkirche zu Sankt Stephan.
Mit dem 1520 durchgeführten Verkauf ihrer Besitzungen in Gramatneusiedl durch die Liebfrauen-Bruderschaft an das Metropolitankapitel bildete die Herrschaft Gramatneusiedl wieder einen einzigen, ungeteilten Besitzstand. Lediglich Splitterbesitz befand sich
noch in anderen Händen; so verkaufte Raimund Ehamb dem Metropolitankapitel 1616 seinen Hof in Gramatneusiedl samt Grund und die Mühle an der Fischa: die
spätere Ladenmühle.
1621 kaufte Hieronymus von Bonacina (?–1640) die Herrschaft Gramatneusiedl vom Metropolitankapitel zu Sankt Stephan. Gegen diesen Verkauf legte der damalige Bischof von Wien Melchior Khlesl (1553–1630) noch 1621 Protest ein, da er ohne sein Wissen durchgeführt worden sei, und er drohte dem
Metropolitankapitel mit der Exkommunikation. Das Metropolitankapitel wandte sich daraufhin 1622 an die niederösterreichische Landesregierung mit dem Gesuch, dass der Kauf annulliert und die
Herrschaft Gramatneusiedl rückerstattet werde. Dies war der Beginn eines jahrzehntelangen Rechtsstreits um die Herrschaft Gramatneusiedl.
Hartmann V. Fürst von Liechtenstein
(1613–1686), der die Herrschaft von Hieronymus von Bonacinas Söhnen, Anton und Karl von Bonacina, 1642 kaufte, wurde mit Urteil vom 29. April 1662 gezwungen, die Herrschaft gegen Erstattung des Kaufbetrags an das Metropolitankapitel zurückzugeben. Hartmann strengte jedoch ein
Revisionsverfahren an, an dessen Ende am 15. Mai 1668 Kaiser Leopold I. von Habsburg (1640–1705) das Urteil aus dem Jahr 1662 bestätigte und Hartmann bei Nichterfüllung mit Arbeit im Wiener Stadtgraben drohte. Damit gelangte im Juni 1668 das Metropolitankapitel wieder in den Besitz der Herrschaft
Gramatneusiedl, das sie dann bis zum Verkauf 1840 behielt.
Wegen des 1837 bis 1842 ausgeführten Neubaus des Domherrenhofs (Wien 1., Stephansplatz 5) benötigte das
Metropolitankapitel Geld und schrieb die Herrschaft Gramatneusiedl zur öffentlichen Versteigerung aus. Gramatneusiedler Bauern
ersteigerten diese am 12. November 1840 um 60.100 Gulden. Der Verkauf wurde von der Regierung am 21. März 1841 bestätigt. Seiher wurde die Herrschaft Gramatneusiedl bis zur
Bauernbefreiung von 1848 als »Freie Gemeinde-Herrschaft Gramatneusiedl« von der Bewohnerschaft Gramatneusiedls selbst verwaltet weitergeführt.
© Reinhard Müller
Stand: Juni
2010
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