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Die Herrschaft Gramatneusiedl
»Herrschaft« (lateinisch dominium) bezeichnete vom Hochmittelalter bis 1848 die aus dem Besitz von Grund und Boden abgeleitete Befugnis, von den Bewohnern solch eines Territoriums finanzielle und persönliche Leistungen einzufordern:
Abgaben in Geld und Naturalien sowie Robot. An der Spitze der politisch-sozialen Hierarchie stand die Reichsherrschaft des Reichsoberhauptes (König beziehungsweise Kaiser), darunter die Landesherrschaft
der vom Reichsoberhaupt belehnten weltlichen und geistlichen Fürsten, am unteren Ende befanden sich die Grundherrschaften, die von den Landesherren (Markgrafen, Herzöge, Erzherzöge) an Gefolgsleute verliehen oder geschenkt wurden. Solch eine Grundherrschaft war auch Gramatneusiedl, die wie viele
Herrschaften zeitweise unter mehreren Besitzern aufgeteilt war.
Bekannt sind zunächst die
1120 genannten Gründer von
Gramatneusiedl
namens Gezo und Hadmar, wohl zwei Ministerialen (im kaiserlichen Dienst stehende
Beamte). 1203 wechselte der Besitz der Herrschaft Gramatneusiedl von den Babenbergern zum Bistum von Passau, doch ist unbekannt, an wen es dieses als Lehen weitergab. Die ersten urkundlich belegten Inhaber der Herrschaft Gramatneusiedl sind die Laaer, die mit den Ebersdorfern 1318 ihre Herrschaft tauschten. Unter den Ebersdorfern wurde die Herrschaft Gramatneusiedl vermutlich 1373 in zwei halbe
Herrschaften geteilt.
Dazu kamen Splitterbesitzungen, meist einzelne Äcker und Wiesen; einige Inhaber solcher Kleinbesitzungen sind namentlich bekannt: Maria von Wallsee (geborene
von Kuenring;
?–1320), Heinrich von Polheim (belegt 1320), Marchart von Mistelbach (belehnt 1320 bis 1333), der Wiener
Bürger Hans Smeltz (belehnt 1458), Raimund Ehamb (belegt 1616). Franz Schweickhardt (1794–1858) nennt in seiner »Darstellung des Erzherzogthums Oesterreich unter der Ens« ohne Quellennennung für 1405 Ulrich von Trauttmansdorff (?–um 1448) als Inhaber der Herrschaft Gramatneusiedl und –
allerdings wenig wahrscheinlich – für 1660 den Wiener Johann Baptist (seit 1652: Edler von) Crane (um 1600–um 1672). Dazu kommen Personen, die Anteile am Zehent von Gramatneusiedl hatten. Nachgewiesen sind Anna Würffel (belegt 1371), Wolf der Krämer aus Herzogenburg (belegt 1371), das Wiener
Bürgerspital vor dem Kärntnertor (belegt um 1371) und Ulrich von Inprugg (belegt 1419).
Erst um 1520 wurde die Herrschaft wieder in einem Besitzstand geeint, nämlich jenem des Metropolitankapitels zu Sankt Stephan. Dieses hatte die
Herrschaft bis 1840 inne, allerdings mit einer Unterbrechung 1621 bis 1668. Mit dem Verkauf der Herrschaft Gramatneusiedl durch das Metropolitankapitel an ortsansässige Bauern am 12. November 1840 – von der Regierung am 21. März 1841 bestätigt – fand die Herrschaft Gramatneusiedl ihr Ende, also einige
Jahre vor der allgemeinen Bauernbefreiung von 1848. Nunmehr wurde sie bis zur Ablöse des Herrschaftssystems 1848 als »Freie Gemeinde-Herrschaft Gramatneusiedl« weitergeführt.
Urkundlich belegte Inhaber der Herrschaft Gramatneusiedl
© Reinhard Müller
Stand: Juni
2011
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