Die Aufbauarbeit der Gemeinde in den Jahren 1919–1929. Bericht der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl über die Tätigkeit in der Funktionsperiode 1919–1929. Verfaßt und zusammengestellt im Auftrage des Gemeinderates von Rudolf Theuer, Finanzreferent der Gemeinde.
[Gramatneusiedl]: Im Selbstverlag der Gemeinde [1929], 19 S.
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[Umschlagblatt 1]
Die
Aufbauarbeit
der Gemeinde
in den Jahren 1919–1929
Bericht der Gemeindevertretung von
über die Tätigkeit in der Funktionsperiode 1919–1929
Verfaßt und zusammengestellt
im Auftrage des Gemeinderates von
Finanzreferent der Gemeinde
Im Selbstverlag der Gemeinde
Druck »Gutenberg«, W[iene]r-Neustadt
[Umschlagblatt 2]
1
Vorwort.
Nach zehn Jahren aufopferungsvoller Arbeit tritt die Gemeindeverwaltung von Gramatneusiedl mit einem Bericht über ihre Tätigkeit vor das öffentliche Urteil der Wählerschaft und Gemeindeinsassen.
Der Bericht umfaßt kurt die zehn Jahre schweren Ringens um die Aufrechterhaltung der Gemeindewirtschaft, besonders aber der Gemeindefinanzen, und soll gleichzeitig die Arbeiten, beziehungsweise die Wirksamkeit der Gemeindevertretung aufzeigen. Es ist klar, daß nicht alles, was nützlich und notwendig gewesen wäre, geschaffen werden konnte. Jedoch wurde im Rahmen der finanziellen Leistungsmöglichkeit vieles instandgesetzt, vieles Neue geschaffen und besonders große Versäumnisse früherer Verwaltungen gutgemacht.
Dies darzustellen ist, durch einige Illustrationen ergänzt, die Aufgabe dieses Berichtes.
[2]
3
Bericht.
Eine Beobachtung der Entwicklung des Gemeindewesens in der Berichtsperiode wäre in drei Abschnitte zu teilen, u[nd] zw[ar]:
1. Vom Juli 1919 bis 1922 der Kampf um die Aufrechterhaltung der Gemeindewirtschaft infolge der Geldinflation und Arbeitslosigkeit der Bewohner.
2. Von 1922 his 1923 die Reorganisation der Gemeindefinanzen, des Gemeinwesens und der Verwaltung.
3. Ab 1923 der Aufbau im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten.
Zusammenfassend ergibt sich nachstehendes Bild:
Personalangelegenheiten und Gemeindevertretung.
Im Jahre 1919 schritten Männer und Frauen zur Wahlurne um zum erstenmale auf Grund des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechtes zu entscheiden, wer in Hinkunft die Verwaltung in der Gemeinde führen sollte.
Es wurden gewählt:
12 Christlichsoziale
12 Sozialdemokraten
16 Mandate.
Zum Bürgermeister wurde Herr Josef Bilkovsky, Weber, zum Vizebürgermeister Herr Ferdinand Liebhart, Lehrer, zum Gemeindekassier Herr Rudolf Theuer, Legmeister, gewählt. Zu geschäftsführenden Gemeinderäten: Herr Matthias Spiegelgraber, Landwirt, Herr Ferdinand Bleier, Weber, Frau Karoline Taschke, Weberin.
Das Ergebnis der Nationalratswahlen 1920 meinte man dahin ausnützen zu müssen, neuerdings im Jahre 1921 Gemeinderatswahlen vornehmen zu lassen.
Es wurden gewählt: 1921
12 Sozialdemokraten
4 Christlichsoziale
16 Mandate.
Zum Bürgermeister Herr Josef Bilkovsky, Privatbeamter, zum Vizebürgermeister Herr Rudolf Theuer, Industrieangestellter, zum Finanzreferenten Herr Rudolf Theuer, Industrieangestellter; zu geschäftsführenden Gemeinderäten: Herr Franz Grießmüller, Nr. 31, Landwirt, Herr Josef Dolecek. Bundesbahnangestellter, Frau Karoline Taschke, Weberin.
4
Die verfassungsmäßige Wahl im Jahre 1924 zeigt folgendes Ergebnis:
Es wurden gewählt:
11 Sozialdemokraten
5 Vertreter der Einheitsliste
16 Mandate.
Zum Bürgermeister Herr Josef Bilkovsky, Privatbeamter, zum Vizebürgermeister Herr Josef Dolecek, Bundesbahnbeamter, zum Finanzreferenten Herr Rudolf Theuer, Industrieangestellter; zu geschäftsführenden Gemeinderäten: Herr Matthias Spiegelgraber, Landwirt, Frau Karoline Taschke, Weberin, Herr Rudolf Theuer, Industrieangestellter.
In die Kommissionen wurden entsendet:
Finanzkommission: Herr Rudolf Großmann, Herr Josef Dedek. Herr Josef Moltaschl.
Sanitätskommission: Herr Anton Haudek, Herr Alfred Pachta, Frau Karoline Taschke.
Baukommission: Herr Ludwig Jilek, Herr Franz Grießmüller, Herr Reinhart Haas.
Flur- und Wegerhaltungskommission: Herr Josef Dolecek, Herr Matthias Spiegelgraber, Herr Franz Ceyna.
Heimatsrechtskommission: Herr Franz Grießmüller, Herr Rudolf Großmann, Herr Rudolf Theuer.
Wohnungs- und Mietkommission: Herr Josef Dolecek, Herr Josef Moltaschl, Herr Wenzel Petsch.
In die Friedhofsverwaltung: Herr Ludwig Jilek, Herr Karl Pecha, Herr Josef Dedek.
Von den Mitgliedern des Gemeinderates sind in der Berichtsperiode gestorben: Herr Gustav Reithmayer, Hutmacher, Herr Ferdinand Liebhart, Schuldirektor.
Verzeichnis der Mitglieder des Gemeinderates im Berichtsjahre 1929.
Gehört der Gemeinde-
vertretung an seit
1.
Josef Bilkovsky, Privatbeamter, Sozialdemokrat
1918
2.
Josef Dolecek, Bahnbeamter, Sozialdemokrat
1919
3.
Rudolf Theuer, Industrieangestellter, Sozialdemokrat
1919
4.
Karoline Taschke, Weberin, Sozialdemokrat
1919
5.
Ludwig Jilek, Webmeister, Sozialdemokrat
1919
6.
Rudolf Großmann, Graveur, Sozialdemokrat
1919
7.
Anton Haudek, Weber, Sozialdemokrat
1924
8.
Franz Ceyna, Spinner, Sozialdemokrat
1924
9.
Josef Dedek, Warenübernehmer, Sozialdemokrat
1919
10.
Reinhart Haas, Heizer, Sozialdemokrat
1924
11.
Johann Thim, Bahnbediensteter, Sozialdemokrat
1924
12.
Matthias Spiegelgraber, Landwirt, Einheitsliste
1900
13.
Franz Grießmüller, Landwirt, Einheitsliste
1900
14.
Josef Moltaschl, Grundpächter, Einheitsliste
1919
15.
Karl Pecha, bürgerl[icher] Fleischhauer, Einheitsliste
1919
16.
Alfred Pachta, Werkmeister, Einheitsliste
1918
5
Als Gemeindesekretär war bis zum Jahre 1920 Herr Ferdinand Liebhart, Oberlehrer, seit 1921 Herr Johann Posch, Lehrer, angestellt, der auch heute noch dieses Amt versieht.
Als Gemeindedienerin ist Frau Johanna Nichtenberger, als Totengräber und Nachtwächer [!] Herr Johann Nichtenberger tätig, die ebenfalls noch im Dienste der Gemeinde stehen.
Sicherheitsorgane und Polizei hat die Gemeinde derzeit keine, jedoch ist im Orte ein Gendarmerieposten.
Infolgedessen ist der Personalaufwand der Gemeinde im Verhältnis zur Einwohnerzahl sehr minimal.
Sämtliche Funktionäre haben ohne Unterschied der Parteistellung ihre Aemter und Funktionen in der Hauptsache als Ehrenstellen betrachtet und ausgeführt.
Die Verwaltungsausgaben betrugen einschließlich der Entlohnung der Angestellten (Ehrenhonorare, Amtsgänge, Kommissionsgebühren, Remunerationen, Entschädigungen für Verdienstentgang, Fahrtspesen u[nd] s[o] w[eiter]) laut überprüften und genehmigten Rechnungsabschlüssen:
Im
Jahre
1919
K[ronen] 8.800.– = 14 %
} der Gesamteinnahmen der Gemeinde
“
“
1920
K 23.000.– = 16 %
“
“
1921
K 26.000.– = 16 %
“
“
1922
K 28.000.– = 24 %
“
“
1923
K 25.000.– = 21 %
“
“
1924
K 36.000.– = 14 %
“
“
1925
S[chilling] 4.600.– = 10 %
“
“
1926
S 7.000.– = 10 %
“
“
1927
S 9.000.– = 10 %
“
“
1928
S 9.000.– = 8 %
“
“
1929
S 10.000.– = 8 %
Vergleicht man die vorstehenden Ziffern mit nachstehender Tabelle über die geleistete Arbeit der Gemeindefunktionäre und Angestellten, so kommt in diesen Ziffern die Opferwilligkeit und Sparsamkeit ungeschminkt und unwiderleglich zum Ausdrucke.
Es fanden in der Berichtsperiode statt: 84 Sitzungen des Gemeindevorstandes; 72 Sitzungen des Gemeinderates (Plenum);
184 Sektions- und Kommissionssitzungen.
Die Anzahl der zu erledigenden Geschäftsstücke und Akten betrug durchschnittlich gerechnet 2000 im Jahre.
Diese Arbeit im Verhältnis zu den geringen Verwaltungsausgaben zu leisten, war nur möglich, weil sämtliche Gemeinderäte und Gemeindeausschüsse sich jederzeit selbstlos und unter Verzicht auf ihre freie Zeit in den Dienst des Gemeinwohles gestellt haben, was von allen Funktionären, ohne Unterschied der Partei gesagt werden muß.
Die Referate und einzelnen Agenden wurden bestritten:
Allgemeines und Leitung: Bürgermeister Bilkovsky, Vizebürgermeister [Josef] Dolecek und Gemeinderat [Matthias] Spiegelgraber.
6
Finanzwesen: Gemeinderäte Theuer, [Rudolf] Großmann, [Josef] Moltaschl und [Josef] Dedek.
Bauwesen, Fluren und Friedhof: Gemeinderäte [Ludwig] Jilek, [Franz] Ceyna, [Reinhart] Haas und Franz Grießmüller, Nr. 31.
Finanzwirtschaft der Gemeinde.
Bei der Uebernahme der Gemeindeverwaltung im Jahre 1919 waren es überall noch die Folgen und Auswirkungen des Krieges und der Nachkriegszeit, die zwar große Anforderungen an die Gemeindeverwaltung stellten, die aber infolge der zerrütteten Finanzverhältnisse der Geldinflation und ihrer Auswirkungen, die sich besonders in einer immerwährenden Arbeitslosigkeit äußerten, die eine ersprießliche Tätigkeit in der Gemeindestube unmöglich machten.
Die Gemeindehäuser waren alle in baufälligem Zustande, die Straßen stellenweise bei schlechtem Wetter unpassierbar; keine Straßenbeleuchtung; das Schulwesen, die Santitäts- [!] und Armenpflege lagen vollkommen darnieder, desgleichen auch die Gemeindefinanzen.
Hier mußte nun zunächst die Tätigkeit der Gemeindeverwaltung einsetzen, es galt vor allen anderen Dingen, Ordnung in den Gemeindehaushalt, bez[iehungs]w[eise] in die Gemeindefinanzen zu bringen, was sehr viel Mühe und besonders viel Zeit erforderte.
Hier mögen wieder einige Ziffern aufklärend wirken.
Im Jahre 1919 betrugen die
Einnahmen der Gemeinde
K 80.000.–
Ausgaben der Gemeinde
K 122.000.–
somit in Passivsaldo von
K 42.000.–
In den Jahren 1920 bis 1923, zur Zeit der Geldinflation, stieg dieses Defizit auf K 92.000.–, so daß ein Darlehen aufgenommen werden mußte, um nur den Haushalt der Gemeinde und das Allernotwendigste bestreiten zu können. Im Jahre 1924 kann bereits ein Aktivsaldo von K 9.000.– in der Bilanz festgestellt werden und im Jahre 1925 erscheint die Gemeinde vollkommen schuldenfrei.
Im Jahre 1925 betrugen
die Einnahmen
S 98.700.–
die Ausgaben
S 86.000.–
Somit ein Saldo
S 12.700.–
Im Jahre 1926:
Einnahmen
S 80.200.–
Ausgaben
S 61.400.–
Somit Saldo
S 18.800.–
Im Jahre 1927:
Einnahmen
S 98.800.–
Ausgaben
S 60.200.–
Saldo
S 28.600.–
Im Jahre 1928:
Einnahmen
S 174.500.–
Ausgaben
S 130.400.–
Saldo
S 44.100.–
7
Projekt des neuen Hauptschulgebäudes.
Im Berichtsjahre 1929 hält der Stand der Gemeindefinanzen bei einem Aktivsaldo von S 74.000.–, wovon S 65.000.– als Baufonds für ein neues Hauptschulgebäude bewilligt und pupillarsicher angelegt wurden. Auch ist die Gemeinde vollkommen schuldenfrei.
Diese Ziffern sprechen eine so deutliche Sprache, daß jedes weitere Wort überflüssig erscheint, wenn man die Tätigkeit der Gemeindeverwaltung in diesen Jahren objektiv und ehrlich beurteilt.
Was hat nun die Gemeindeverwaltung geleistet?
Ihr Hauptaugenmerk galt vor allem der Erziehung der Kinder und der Jugendfürsorge, also der Schule und allen im Orte befindlichen Korporationen und Vereinigungen, die sich mit der Erziehung und Fortbildung der Jugend befassen,
Das Schulgebäude, das eine Ruine war, wurde vollkommen restauriert und sowohl innen, wie außen instandgesetzt. Der Turnsaal neu eingerichtet; mit einem Kostenaufwand von S 6.800.– wurden vier Klassen mit neuen Bänken ausgestattet, ferner werden an alle Kinder unentgeltliche Lernmittel abgegeben.
Die Errichtung einer Hauptschule wurde angebahnt und durchgeführt, so daß eine Klasse Hauptschule bereits besteht und die zweite eingerichtet wird.
Der im Berichtsjahre geplante Neubau eines Hauptschulgebäudes konnte aus wirtschaftlichen Gründen leider nicht in
8

Grund- und Hauptschule
Angriff genommen werden, da der im Orte befindliche Großbetrieb beinahe zu zwei Dritteln stillgelegt wurde.
Auch hier mögen wieder die Ziffern sprechen:
Die Ausgaben für die Schule betrugen:
Im
Jahre
1919
K 17.500.–
“
“
1920
K 89.000.–
“
“
1921
K 94.000.–
“
“
1922
K 115.000.–
“
“
1923
K 130.000.–
“
“
1924
K 164.000.–
“
“
1925
S 11.800.–
“
“
1926
S 13.200.–
“
“
1927
S 19.000.–
“
“
1928
S 22.000.–
Im Berichtsjahre 1929 vorläufig S 65.000.–
Hiezu kommen noch die Beiträge zum Landesschulerfordernis mit jährlich S 2.200.–, und Subventionen für Schul- und Lehrausflüge mit rund S 1.600.– in den letzten fünf Jahren.
Die Gemeinde subventioniert außerdem das von der Fabriksleitung und dem Arbeiterbetriebsrat errichtete Kleinkinderheim (Montessoriheim) mit jährlich S 720.–, und einer Weihnachtsaktion von S 300.– bis S 400.–, außerdem Vereine mit Fürsorgetätigkeit und Bildungsbestrebungen nach Maßgabe ihres Mitgliederstandes zur Bevölkerungsziffer.
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II. Hauptschulklasse
10

Montessoriheim, Innenansicht.
Die Schülerzahl betrug im Jahre:
|
1919 |
449. |
Ausgaben |
pro |
Schüler |
K 40.– |
|
1920 |
428. |
“ |
“ |
“ |
K 200.– |
|
1921 |
414. |
“ |
“ |
“ |
K 250.– |
|
1922 |
343. |
“ |
“ |
“ |
K 310.– |
|
1923 |
295. |
“ |
“ |
“ |
K 380.– |
|
1924 |
275. |
“ |
“ |
“ |
K 700.– |
|
1925 |
274. |
“ |
“ |
“ |
S 42.– |
|
1926 |
306. |
“ |
“ |
“ |
S 40.– |
|
1927 |
236. |
“ |
“ |
“ |
S 82.– |
|
1928 |
255. |
“ |
“ |
“ |
S 93.– |
|
1929 |
287. |
“ |
“ |
“ |
S 90.– |
Der Ortsschulrat besteht aus sechs Mitgliedern der sozialdemokratischen Partei, drei Mitgliedern der Einheitsliste.
Obmann: Rudolf Großmann, Graveur. Schulaufseher: Josef Felix, Beamter.
Mitglieder des Ortsschulrates: Josef Bilkovsky, Bürgermeister, Josef Dedek, Warenübernehmer, Ludwig Jilek, Webmeister, Anton Katzenschlager, Bahnbediensteter, Franz Fryba, Weber, Emil Kirchner, Obermeister, Friedrich Pösl, Pfarrer, Karl Dumert, Bahnbeamter, Josef Baron, Landwirt.
Schulleitung: Oberlehrer Matthäus Mayer.
Lehrkörper: Sechs Volksschullehrer, ein Hauptschullehrer, zwei Lehrerinnen, eine Handarbeitslehrerin, welche sich wieder auf acht Klassen Volksschule und eine Klasse Hauptschule verteilen.
In der Lehrerbibliothek sind 197 Bände, in der Schülerbibliothek 516 Bände vorhanden.
Im Lehrerhause sind fünf Wohnungen für Lehrer.
11
Straße nach Marienthal.
Verkehrsverhältnisse und öffentliche Beleuchtung.
Die Gemeinde war in der Zeit vom Jahre 1919 bis 1924 ohne Straßenbeleuchtung. Einige einzelne Laternen mit Petroleumlicht waren wohl vorhanden, doch selten zu gebrauchen. Es war deshalb eine unbedingte Notwendigkeit, elektrisches Licht, das bisher nur die Fabrikskolonie Marienthal hatte, auch im Orte einzuleiten.
Nach langen Unterhandlungen und Kämpfen, sowie sehr mühevoller Vorarbeit, wurde auch diese Frage im Jahre 1925 dadurch gelöst, daß mit einem Kostenaufwande von rund S 100.000.– eine Ortsnetz- und eine Fernleitung von Schranawand ausgehend, gebaut wurde, wodurch der Ort von dem dort befindlichen Mödlinger Elektrizitätswerk mit elektrischer Energie beliefert werden konnte.
12
Straße zum Bahnhof.
Seit 1. November 1925 hat der Ort ein tadellos funktionierendes Elektrizitätsnetz, sämtliche Interessenten sind mit Zählern versehen.
Die Straßen, der Bahnhof, die öffentlichen Gebäude, Schule, Kirche und 99 Prozent der Ortsbewohner haben elektrisches Licht.
Als Verwalter des Elektrizitätswerkes fungiert Herr Oberlehrer Matthäus Mayer und steht dasselbe auch sonst auf guter finanzieller Grundlage. Der Strompreis inklusive aller Verwaltungs- und Instandhaltungskosten, sowie aller sonstigen Lasten und Amortisation des Baukapitales beträgt 70 Groschen pro Kilowattstunde; Zählerleihgebühr 50 Groschen pro Monat.
Die Straßen im Ausmaße von zirka 4 Kilometer wurden ausgebessert. 3.2 Kilometer Ortsstraße wurden mit einem Kostenaufwande von S 90.000.– neu gepflastert, die Abwässerleitungen und Kanäle, so weit als möglich, verbessert.
Heute hat der ganze Ort mit Einschluß der Fabrikskolonie guterhaltene, gepflasterte Straßen.
Ferner wurden für Flußregulierungen, Gräbenaushebungen, bedeutende Beträge bewilligt (S 18.000.–).
Feuerwehrwesen.
Die Ortsfeuerwehr besteht aus 25 Mann und ist eine freiwillige Feuerwehr. Dieselbe wird von der Gemeinde seit 1925 jährlich mit S 2.000.– subventioniert. Außerdem wurde in der Berichtsperiode eine neue, moderne Steigerleiter, sowie eine neue
13

Straße nach Moosbrunn.
Motorspritze angeschafft, was alles zusammen einen Betrag von rund S 12.000.– erforderte.
Die Beschaffung des Wassers bei Feuersgefahr war von jeher ein Sorgenkind der Gemeinde, da die Flußläufe vom Orte weit entfernt sind. Auch hier hat die Gemeindeverwaltung durch Renovierung und Instandsetzung der sogenannten Pferdeschwemme einen Wasserteich geschaffen, der für den Ortsteil nach Marienthal Wassermöglichkeiten bietet.
Im Orte selbst wurden zwei Brunnen (Zisternen); je einer im Ober- und Unterorte angelegt, so daß bei einem Brande für Wasser genügend gesorgt ist. Das erforderte wieder einen Geldaufwand von zirka S 16.000.–.
Das Gerätehaus der Feuerwehr wurde instandgesetzt, ebenso wurde der Feuerwehr das nötige Schlauchmaterial für die Motorspritze angeschafft, so daß auch in diesem Verwaltungszweig der Gemeinderat seine Pflicht voll und ganz erfüllt zu haben glaubt.
Feuerwehrhauptmann ist Herr Matthias Spiegelgraber, Landwirt.
Alters-, Kranken- und Arbeitslosenfürsorge.
Der Ortsfürsorgerat besteht aus sechs Mitgliedern. Obmann: Herr Johann Posch, Lehrer.
In offener Fürsorge stehen: 10 Männer und 26 Frauen; in geschlossener Fürsorge 9 Personen. Die monatlichen Unterstützungen betragen derzeit durchschnittlich S 12.– bis S 15.–.
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Die Gemeinde verteilt ferner alljährlich im Rahmen der Weihnachtsaktion an alte, arbeitsunfähige Leute S 1.200.– durch den Ortsfürsorgerat.
Auch unterstützt die Gemeinde die Landeshilfsaktion für kranke oder schwache Kinder mit jährlichen Beiträgen von S 600.– bis S 900.–.
Die Verpflegskostenbeiträge für Spitäler, Irrenhäuser betrugen durchschnittlich S 3.600.– im Jahre.
In sanitärer Hinsicht wurde ein Rettungswagen angeschafft, für die Erbauung eines lnfektionspavillons in Mödling – alles in allem – Beträge bis S 12.000.– ausgegeben.
Die Arbeitslosigkeit war in der Berichtsperiode besonders in den ersten fünf Jahren sehr stark.
1919
waren
620
Personen,
das
sind
23 %
} der Gesamtbevölkerung arbeitslos
1920
“
360
“
“
“
15 %
1921
“
286
“
“
“
12 %
1922
“
220
“
“
“
14 %
1923
“
860
“
“
“
42 %
1924
“
760
“
“
“
44 %
1925
“
140
“
“
“
5 %
1926
“
80
“
“
“
4 %
1927
“
96
“
“
“
4 %
1928
“
112
“
“
“
4 %
1929
“
614
“
“
“
23 %
Auch hier hat die Gemeindeverwaltung aus den Erträgnissen der Fürsorgeabgabe jährliche Beiträge von S 6.000.– bis S 12.000
15

[Arbeiterheim Marienthal; Anm. R.M.]
beigesteuert, obwohl auch die Finanzen der Gemeinde durch diese Arbeitslosigkeit stark in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Produktive Arbeitslosenfürsorge konnte mit Rücksicht auf die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in diesen Jahren wenig oder nur in ganz kleinen Ausmaßen gepflegt und ausgeführt werden.
Jedoch hat die Gemeinde durch Einrichtung einer eigenen Auszahlungsstelle für die Arbeitslosenunterstützung, sowohl für die Gemeindebewohner, als auch für die Arbeitslosen der Umgebung wesentliche Erleichterungen für diese geschaffen, was wieder einen jährlichen Beitrag von zirka S 600.– erfordert.
Auf dem Gebiete der
Wohnungsfürsorge
waren ebenfalls die trostlosen wirtschaftlichen Verhältnisse und die Arbeitslosigkeit ein Hindernis, Größeres zu leisten; die Gemeinde hat aber zur Linderung der Wohnungsnot für Siedlungszwecke einen Baugrund im Ausmaße von 8.000 Quadratmeter zur Verfügung gestellt, auf dem bereits fünf Siedlungshäuser mit zehn Wohnungen erbaut wurden.
Der Arbeiterschaft wurden zur Erbauung eines eigenen Heimes zirka 5.600 Quadratmeter Baugrund bewilligt, auf dem ebenfalls bereits ein selbsterbautes Arbeiterheim und ein Heim der Kinderfreunde stehen.
16
Siedlung
Beim Marktwesen.
wurde durch Bewilligung der Aufstellung von Markthütten und beigestellten provisorischen Marktständen insoweit ein Fortschritt erzielt, daß jedem Gewerbetreibenden und Landwirt dadurch die Möglichkeit gegeben ist, seine Waren oder landwirtschaftlichen Produkte selbst an den Käufer zu bringen, eine Einrichtung, die sich in der Praxis sehr gut bewährt hat, und sich auch infolge der Konkurrenz in den Verkaufspreisen fühlbar macht.
Marktkommissär ist Herr Vizebürgermeister [Josef] Dolecek.
Friedhofsverwaltung.
Als Friedhofsverwalter fungiert Herr Gemeinderat Ludwig Jilek. Auf dem Friedhofe wurde durch Errichtung eines Brunnens zunächst ein langgehegter Wunsch der Bevölkerung erfüllt. Der Bau desselben erforderte viel Mühe da er infolge des bergigen Terrains 18 Meter tief gemauert werden mußte. (Kostenpunkt S 2.100.–.)
Ferner wurde, dem Zeitgeist Rechnung tragend, ein Urnenhain für Feuerbestattung mit 24 Urnen und einer schönen Anlage mit tätiger Beihilfe der in Betracht kommenden Bevölkerungsschichte errichtet.
Die Friedhofsgebühren sind äußerst niedrig bemessen und gibt auch hier die Gemeinde eine jährliche Beihilfe von S 1.200.– für die Erhaltung des Friedhofes.
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Gestorben sind:
1919
40
Personen
1920
44
“
1921
26
“
1922
38
“
1923
26
“
1924
25
“
1925
26
“
1926
28
“
1927
21
“
1928
41
“
und bis September 1929 18 Personen, das sind 1.6 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Bevölkerungsbewegung.
Die Gemeinde hat ein Flächenausmaß von zirka 1.100 Joch und zählt derzeit 2.926 Einwohner, die wieder in 178 Häusern wohnen.
Im Jahre 1919 waren in der Gemeinde 2.100 Einwohner und 128 Häuser; es wurden also 50 Häuser von privater Seite neu gebaut.
Die Bevölkerungsbewegung drückt sich vor allem in einem stetigen Ansteigen der Bevölkerungsziffer aus; die Gemeinde zählte:
18
1919
2.100
Einwohner
1920
2.160
“
1921
2.050
“
1922
2.020
“
1923
2.260
“
1924
2.430
“
1925
2.560
“
1926
2.620
“
1927
2.680
“
1928
2.700
“
1929
2.920
“
Die wirtschaftliche Schichtung der Bevölkerung ist ungefähr folgende:
Landwirte und landwirtschaftliche Arbeiter
160
Personen
Industrieangestellte und Fabriksarbeiter
1320
“
Bundesbahnbedienstete
75
“
Geschäftsleute und Gewerbetreibende
92
“
Oeffentlicher Dienst
18
“
Freie Berufe und Berufslose
18
“
Weibliche Haushalte i[n] d[er] Industrie
410
“
Weibliche Haushalte i[n] d[er] Landwirtschaft
50
“
Kinder unter sechs Jahren
420
“
Schulpflichtige Kinder
310
“
Sonstige
60
“
In den Heimatverband wurden in der Berichtsperiode 240 Ansuchen um Aufnahme in zustimmendem Sinne erledigt, wodurch zirka 600 Personen das Heimatrecht in der Gemeinde neu erlangten. Ansuchen um Zusicherung der Aufnahme in den Heimatverband wurden sechs gestellt und bewilligt.
An industriellen Betrieben ist in der Gemeinde zunächst der Großbetrieb der Trumau-Marienthaler A[ktien]-G[esellschaft], mit 90 Angestellten, 1300 Arbeitern und ihren Familien zu nennen, der in wirtschaftlicher Hinsicht den wichtigsten Faktor in der Gemeindewirtschaft insoferne darstellt, weil das Schicksal dieses Betriebes auch das Schicksal der Gemeinde ist, da zirka 70 Prozent aller Gemeindezuschläge von diesem Betriebe, bezw. dessen Angestellten und Arbeitern geleistet werden.
Ferner ist im Orte das Landwirtschaftliche Kasino (Lagerhausgenossenschaft), dann 24 handwerkliche Betriebe.
Der Ort hat vier Gasthäuser und ein Kaffeehaus.
Die letzten Wahlen 1924 hatten folgendes Ergebnis:
Wahlberechtigte
1403
Personen
Abgegebene Stimmen
1326
Davon:
866
Stimmen f[ür] d[ie] sozialdemokr[atische] Partei
450
Stimmen für die Einheitsliste
Ungültige Stimmen
10
19
Schlußwort.
Der abtretende Gemeinderat, der mit vorliegendem Bericht Rechenschaft über seine Tätigkeit ablegt, ist sich vollkommen bewußt, daß nicht die Wünsche aller Gemeindebürger und Gemeindeinsassen erfüllt werden konnten.
Der Bericht bezweckt vor allem anderen, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die Arbeiten in der Gemeindestube zu lenken, da die Erfahrung gezeigt hat und immer wieder lehrt, daß ein Großteil der Bevölkerung dem Wirken des Gemeinderates wesensfremd, wenn nicht gar interesselos gegenübersteht.
Er ist objektiv gehalten und will ohne Rücksicht auf die politische Einstellung des Lesers aufzeigen, was in der Berichtsperiode geleistet wurde bezw. geleistet werden konnte, weil alle Funktionäre bemüht waren, in gemeinsamer Arbeit das Beste und Notwendigste für die Interessen der Gemeinde zu tun oder zu schaffen.
Eine genaue und gerechte Prüfung wird ergeben, daß der Gemeinderat im Bewußtsein strenger Pflichterfüllung gehandelt, und somit das in ihn gesetzte Vertrauen der Wählerschaft gerechtfertigt hat.
Gramatneusiedl, im Oktober 1929.
Josef Dolecek,
Vizebürgermeister
Bürgermeister
N[ach] B[emerkung]. Die vorstehenden Ausführungen sind durch einige Bilder des Ortes Gramatneusiedl ergänzt.
[20]
[Umschlagblatt 3]
[Umschlagblatt 4]