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Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl, registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung

1935–1938 auch: Landwirtschaftliche und Müllereigenossenschaft in Gramat-Neusiedl

1938–1974: Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl

seit 1974: Raiffeisen-Lagerhaus Wiener Becken, Filiale Gramatneusiedl

Vereinssitz: Gramatneusiedl

gegründet 1901

Aus dem 1897 gegründeten »Landwirthschaftlichen Casino Gramatneusiedl« ging die am 6. April 1901 gegründete »Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl, registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung« hervor. Die anfänglich 150 Landwirte dieser Genossenschaft, welche aus insgesamt 15 Gemeinden kamen, kauften noch im Juli 1901 die Lagerhausanlage von Moritz Reif am Bahnhof Gramatneusiedl um 130.000 Kronen. Zunächst war das Unternehmen wenig erfolgreich, und im Dezember 1904 erörterte man sogar dessen Auflösung. Doch dann ging es mit der Genossenschaft wirtschaftlich bergauf. In den zehn Jahren bis 1914 wurden die Dampfantriebskraftanlage auf motorischen Antrieb umgestellt, die Putzerei erneuert, eine Schrotmühle (Schroterei) aufgestellt und elektrisches Licht eingeleitet. Seit Februar 1915 fungierte die Genossenschaft als offizielle Übernahmsstelle für die »Kriegs-Getreide-Verkehrsanstalt«.

In den 1920er Jahren wurde die »Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl« zum nach der Textilfabrik Marienthal wichtigsten Wirtschaftsunternehmen des Ortes. Vom Kriegsende bis 1922 gab es zahlreiche Investitionen: Es wurden eine Brückenwaage errichtet, das Verwalterwohnhaus aufgestockt, neue Kanzleiräume gebaut, Grundzukäufe im Lagerhausbereich getätigt, Brückenwaage und Verladerampe überdacht und ein 100 PS-Dieselmotor angeschafft. 1926 folgte der Bau einer Roggenmühle, Gramatneusiedl 102 (ab 1961: Bahnstraße 66), welche täglich 3.000 Kilogramm Roggen mahlen konnte. Zunächst als Lohnmüllerei betrieben, wurde sie 1929 auf Handelsmüllerei umgestellt und Leistung steigernd ausgebaut. Der große wirtschaftliche Aufschwung dieses Unternehmens kam jedoch erst 1929/30, und 1930 bis 1962 war es das einzige wirtschaftlich bedeutende Unternehmen Gramatneusiedls.

In unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Genossenschaft stand der 1925 gegründete »Spar- und Darlehensverein, registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung«, aus welchem später die »Raiffeisenkasse« (die heutige »Raiffeisenbank«) hervorging. Die »Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl« stellte der Kasse Personal und Räumlichkeiten zur Verfügung.

Die »Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl« ließ 1932 beim Bahnhof Gramatneusiedl einen Zubau zum Lagerhaus errichten, ein dreistöckiges Gebäude (30 X 7 Meter Grundfläche), 1934 ergänzt durch einen nach einer Seite hin offenen Kunstdüngerschuppen mit einem für Mehllagerung ausgebauten Dachboden (38 X 7 Meter Grundfläche). 1935 wurde die Roggenmühle beim Bahnhof grundlegend umgebaut, so dass nunmehr täglich 150 Meterzentner Roggen oder 80 Meterzentner Weizen gemahlen werden konnten. Im Mai 1936 wurde sogar die Gründung einer Lagerhaus-Zweigstelle in Himberg (Niederösterreich) beschlossen, wofür die Raabmühle gepachtet und nach Adaptierungen 1937 eine Mischfutterproduktion eröffnet wurde; 1951 wurde die Mühle schließlich gekauft. Ebenfalls 1936 erfolgte die Inbetriebnahme der Filiale Mannersdorf am Leithagebirge (Niederösterreich), wo die Gubiermühle gepachtet wurde; erst 1950 konnte ein eigener Neubau eröffnet werden. In Gramatneusiedl selbst wurden 1937 beim Lagerhaus am Bahnhof ein nach einer Seite hin offener Schuppen (35 X 7 Meter) sowie ein Wohnhaus mit darunter gelegener Garage errichtet.

Nach dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich wurde am 29. Juni 1938 auch die »Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl« durch Neuwahl des gesamten Vorstandes gleichgeschaltet. Bereits im November 1938 erwirkte die Genossenschaftsleitung die Überlassung des von Walter Prade gepachteten, jedoch ungenutzten Spinnerei-Hauptgebäudes der ehemaligen Textilfabrik Marienthal zur Getreidelagerung für die »Reichsstelle für Getreide, Futtermittel und sonstige landwirtschaftliche Erzeugnisse«. Walter Prade, dessen Pachtvertrag eigentlich noch bis Ende Juni 1940 gegangen wäre, wurde »bewegt«, die Pacht vorzeitig zu kündigen und auf sein Vorverkaufsrecht zu verzichten. Damit konnte die Genossenschaft das gesamte Gelände der ehemaligen Textilfabrik Marienthal – ausgenommen den von Fritz Ries (1907–1977) »arisierten«, also geraubten Webereikomplex samt Direktorenwohnhaus Herrenhaus –, das Elektrizitätswerk und einige andere Baulichkeiten von der »Actien-Gesellschaft Baumwoll-Spinnereien, Webereien, Bleiche, Appretur, Färberei und Druckerei zu Trumau und Marienthal« am 18. April 1939 käuflich erwerben; kurz darauf kaufte sie auch das Arbeiterwohnhaus Neugebäude, das damals 80 Wohnungen beherbergte, samt anschließendem Lagergebäude (Kistenschuppen mit angebautem Garnmagazin) und rund 3.000 Quadratmetern unbebautem Grund. Da es am Bahnhofsgelände keine Ausdehnungsmöglichkeit mehr gab, verlegte die »Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl« zwischen August 1939 und Juli 1940 ihren Hauptbetrieb auf das Areal der ehemaligen Textilfabrik Marienthal und richtete hier das Lagerhaus Marienthal ein, welches aus mehreren Abteilungen bestand: ein Kanzleiraum im ehemaligen Alten Kanzleianbau, ein Kanzleiraum im ehemaligen Neuen Kanzleianbau, Kanzleiräume in der ehemaligen Spinnerei-Kanzlei, Verwaltungsräume im Erdgeschoss der ehemaligen Karderie und Spinnerei, Getreide- und Mehllager im ehemaligen Spinnerei-Hauptgebäude, ein Lagerraum im Dachboden des ehemaligen Nördlichen Stiegenhauses, ein Lagerraum im Dachboden der ehemaligen Vorspinnerei, Schlichterei, Schärerei und Zettelei, ein Lagerraum im ersten und zweiten Stock sowie im Dachboden des ehemaligen Südlichen Stiegenhauses, ein Lagerraum in der ehemaligen Putzerei und Mischerei, ein Magazin im ehemaligen Spinnerei-Hauptgebäude, ein Magazin im Dachboden der ehemaligen Putzerei und Mischerei, Sackmagazine im ersten und zweiten Stock der ehemaligen Spinnerei-Aborte, ein Depotraum im Dachboden der ehemaligen Karderie und Spinnerei, ein Kesselhaus im ehemaligen Reißmaschinenlokal sowie ein Kesselhaus im ehemaligen Kistenschuppen, ein Getränkelager im ersten und zweiten Stock der ehemaligen Karderie und Spinnerei, eine Kantine im ehemaligen Feuchtlokal, ein Gefolgschaftsraum in der ehemaligen Garnlegerei, ein Aufenthaltsraum im Erdgeschoss des ehemaligen Südlichen Stiegenhauses, eine Badanlage im ehemaligen Feuchtlokal und Aborte im Erdgeschoss der ehemaligen Spinnerei-Aborte. Außerdem wurden hier eine Reparaturwerkstätte für landwirtschaftliche Maschinen und Traktoren errichtet, weil sie nun auch die nahe gelegenen Schwesterngenossenschaften Guntramsdorf (Niederösterreich), Schwadorf (Niederösterreich) und Ebreichsdorf (Niederösterreich) bediente, sowie eine Schroterei eröffnet. Das 1890 errichtete Elektrizitätswerk der Fabrik wurde grundlegend renoviert, ein neuer Generator aufgestellt. Am Bahnhof Gramatneusiedl verblieb nur der Mühlenbetrieb und seit 1940 der von der Filiale Himberg hierher verlegte Mischfutter-Erzeugungsbetrieb (Mischerei für Milchvieh-, Schweinemast- und Hühnerfutter). 1941 beschäftigte die Genossenschaft rund 100 Personen, darunter knapp 30 bei den Werkstätten. Mit fortschreitender Kriegsdauer musste auch die Genossenschaft, die 1942 den vorletzten Fabrikschlot der ehemaligen Textilfabrik Marienthal, den Spinnerei-Dampfschornstein II, umlegen ließ, den Betrieb zunehmend einschränken.

Alle Anlagen der Genossenschaft in Marienthal wurden gegen Kriegsende 1945 von Angehörigen der Deutschen Wehrmacht unmittelbar vor der Befreiung Gramatneusiedls durch die Rote Armee zerstört. Am 2. April 1945, um etwa 22 Uhr, sprengten Angehörige der Deutschen Wehrmacht die Fischabrücke, wobei auch das Arbeiterwohnhaus Neugebäude, Reisenberg 114 (heute An der Fischa 1), samt Nebengebäuden und das Elektrizitätswerk Marienthal schwer beschädigt wurden. Kurz darauf steckten Soldaten der Deutschen Wehrmach das Depot für Flugzeugbestandteile der »Wiener Neustädter Flugzeugwerke« im ehemaligen Spinnereikomplex sowie den gesamten Lagerhauskomplex Marienthal der »Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« mittels Benzinfässern in Brand, um die dort lagernden Vorräte, insbesondere die großen Mengen an Früchten und Lebensmitteln, zu vernichten. Das Feuer breitete sich unkontrolliert aus und zerstörte fast alle Fabrikgebäude der ehemaligen Textilfabrik Marienthal: den ehemaligen Spinnereikomplex vollständig, den Webereikomplex zum allergrößten Teil. Noch 1946 gab es Schwelfeuer im Lagerhausgebäude des einstigen Spinnerei-Hauptgebäudes.

Bereits am 10. Juli 1945 übergab die sowjetische Besatzungsbehörde der »Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« ihre Anlagen am Bahnhof Gramatneusiedl einschließlich der Mühle. Noch im Herbst 1945 begann man mit den Wiederaufbauarbeiten der Marienthaler Anlagen, welche 1951 abgeschlossen wurden. Bis 1949 wurden das Arbeiterwohnhaus Neugebäude renoviert und auf dem Gelände der einstigen Textilfabrik Marienthal die durch Beschuss und Brand beschädigten Werkstätten wiederhergestellt: Kanzleiraum, Magazinräume und Ersatzteillager, Reparaturwerkstätte für Traktoren, Schweißerei, Schmiede, Dreherei, Tischlerei, Eisenlager, Bade- und Belegschaftsraum, Keller, Heizhaus mit Dampfkesselanlage, Landmaschinenabstellraum. Außerdem konnte im Oktober 1949 das Elektrizitätswerk Marienthal, in welches nun auch eine Wohnung eingebaut war, im vollen Umfang wieder in Betrieb gehen. Der gesamte Lagerhausbetrieb wurde jedoch vom Gelände der ehemaligen Textilfabrik Marienthal auf die alte Anlage beim Bahnhof verlegt. Dort wurden 1949 eine neue Großtankanlage und die alte Mischerei (Mischfuttererzeugung), die nach Kriegende aus Mangel an Ölkuchen stillgelegt werden musste, eröffnet. Außerdem wurde hier 1950 eine neue Saatgutputzerei errichtet.

1947 erfolgte die Gründung der »Obst- und Gemüsegenossenschaft Gramatneusiedl«, welche gemeinsam mit der »Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« die Übernahme des Frischkrauts durchführte, wofür auf dem Gelände der ehemaligen Textilfabrik Marienthal, teils auf den Fundamenten des abgebrannten ehemaligen Spinnerei-Hauptgebäudes, 1949 eine Frischkrautlagerhalle (62 X 23 Meter) und 1950 westlich des Arbeiterwohnhauses Neugebäude die 600 Quadratmeter große Kraut- und Gemüseverarbeitungshalle, Reisenberg 229 (heute An der Fischa 2), errichtet wurden.

1949 wurde zwar der Lager- und Hauptbetrieb von Marienthal wieder auf das Gelände beim Bahnhof Gramatneusiedl verlegt, doch verblieb der Werkstättenbetrieb auf dem ehemaligen Fabrikgelände. In diesem Jahr trat auch der »Gartenbau- und Siedlerverein Gramatneusiedl« der Genossenschaft bei. 1951 begann die »Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl« mit dem Bau einer Maschinenhalle zur Unterbringung von Leihmaschinen und Leihgeräten. Die Genossenschaft, die 1955 rund 80 und 1991 bereits 120 Beschäftigte zählte, entwickelte eine außerordentliche Expansionspolitik. 1956 wurden ein 36 und 1965 ein 50 Meter hoher Getreidesilo gebaut, welche zusammen über einen Lagerraum von 8.000 Tonnen verfügten, des weiteren eine zweigeschossige Halle mit einer Schroterei- und Mischereianlage. Dazu kamen ein neues Verwaltungsgebäude und mehrere Lagerhallen, die 1975 ein Lagervermögen von 5.300, im Jahr 1990 bereits von 20.000 Tonnen besaßen. Nach dem Umbau der Mühle 1968/69 wurde 1974 auch die Errichtung eines Mehlsilos mit einem Fassungsvermögen von 600 Tonnen notwendig.

1974 wurde die »Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl« übergeführt ins »Raiffeisen-Lagerhaus Wiener Becken, Filiale Gramatneusiedl«. 1975 wurde ein Verkaufs- und Schauraum gebaut, 1979 die Landwirtschaftliche Maschinen-Werkstätte Gramatneusiedl, 1980 das Auto-Haus (Audi-VW) Gramatneusiedl, 1983 eine Düngermischanlage, 1985 der Haus-, Garten- und Baumarkt Gramatneusiedl, 1987 und 1990 wurden je eine Mehrzweckhalle eröffnet.

Weitere Informationen auf dieser Website:

Gramatneusiedl: Elektrizitätswerk Marienthal, Frischkrautlagerhalle, Kraut- und Gemüseverarbeitungshalle, Lagerhaus Gramatneusiedl, Lagerhaus Marienthal, Mischerei, Putzerei, Reparaturwerkstätte für landwirtschaftliche Maschinen und Traktoren, Schroterei, Silos, Spar- und Darlehensverein Gramatneusiedl, Walzmühle.

Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg:

Bilder: Gramatneusiedl – Das Bauerndorf, Die Fabrik während des Zweiten Weltkriegs.

Häuserbuch Marienthal 1930: Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl.

Bibliothek:

● M.R. [d.i. Michael Reiner]: Geschichte und Entwicklung der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl 1901–1941. [Wien–Gramatneusiedl]: Im Selbstverlage der landwirtschaftlichen Genossenschaft reg. G.m.b.H. in Gramatneusiedl [1941], 31 S.:

● St.u.B. [d.s. Leopold Stöckl (1907–1962) und Josef Böhm]: Festschrift anläßlich des 50jährigen Bestehens der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl. [Gramatneusiedl: Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl 1951], 41 S. Umschlagtitel: 50 Jahre Landwirtschaftliche Genossenschaft in Gramatneusiedl:

● [Stoitzner, Josef]: 75 Jahre Raiffeisen-Lagerhaus Gramatneusiedl 1901–1976. [Gramatneusiedl: Raiffeisen-Lagerhaus Gramatneusiedl 1976], unpaginiert (40 S.):

● Höppel, Leo (1932–1998) / Maurer, Herbert: 90 Jahre. Lagerhaus Gramatneusiedl wird 90 Jahre. [Gramatneusiedl: Raiffeisen-Lagerhaus Gramatneusiedl 1991], unpaginiert (4 S.):

Bildarchiv:

© Reinhard Müller
Stand: Juni 2010

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