Marie Jahoda über die Anfänge ihrer Untergrundarbeit

Wien, 1933 bis 1934

Mit [Adolf] Hitlers Machtergreifung1 ist es sogar uns Idealisten und Illusionsbehafteten klar geworden, dass das Schicksal Österreich wahrscheinlich bald in so eine Katastrophe führen wird. 1933 hat [Engelbert] Dollfuß2 das Parlament aufgelöst. Ich bin damals mit einem Mitglied [d.i. Karl Frank] der Gruppe »Neu Beginnen« befreundet gewesen. Das war ein Deutscher, Oskar Umrath,3 der zur gleichen Zeit mit mir am Gesellschaft- und Wirtschaftsmuseum von Otto Neurath gearbeitet hat. Die Ideen von »Neu Beginnen« mit ihrem sozial-radikalen und antikommunistischen Grundgedanken waren mir außerordentlich eindrucksvoll. Von ihm habe ich auch zum ersten Mal über die Organisation von illegaler Arbeit erfahren. Im Jahr 1933 war uns allen klar, dass es nicht lange so weitergehen kann. Es war damals schon eine fantastische [!] Zensur der »Arbeiterzeitung« und das Beginnen des österreichischen Faschismus. Trotz aller dieser Vorbereitungen, trotz der Schulung in illegaler Arbeit, trotz der Organisierung von kleinen Zellen und dem Zusammenhalten von einer Menge Menschen, die interessiert waren daran, den Gedanken des Sozialismus nicht aufzugeben, trotz dem Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen kann, war der Bürgerkrieg im Jahr 1934 ein vernichtendes Ereignis. Es war wirklich schauerlich.

Robert Knight: Interview mit Marie Jahoda am 28. August 1985. Quelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien.

1 Adolf Hitler wurde nach einer demokratischen Wahl am 30. Januar 1933 deutscher Reichskanzler einer Koalitionsregierung, regierte aber seit 24. März 1933 mit diktatorischen Vollmachten. Anmerkung Reinhard Müller.
2 Engelbert Dollfuß (Texing, Niederösterreich 1892 – Wien 1934): christlichsozialer Politiker; 1931 Minister für Land- und Forstwirtschaft, seit 20. Mai 1932 Bundeskanzler; nach der so genannten Selbstausschaltung des Parlaments, einem unblutigen Staatsstreich, am 5. März 1933 regierte er mit dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz von 1917 und proklamierte am 7. März 1933 die autoritäre Führung der Staatsgeschäfte, verantwortete die blutige Niederschlagung des Februaraufstands 1934, löste am 30. April 1934 das ohnedies nur mehr formal bestehende Parlament auf und proklamierte mit der berufsständisch-autoritären Verfassung vom 1. Mai 1934 die Beseitigung aller noch vorhandenen demokratischen Relikte. Er wurde im Zuge eines Aufstands österreichischer Nationalsozialisten am 25. Juli 1934 ermordet. Anmerkung Reinhard Müller.
3 Oskar Umrath (Chemnitz, Sachsen 1913 – Berlin 1943): Jurist und Publizist, sozialdemokratischer Widerstandskämpfer; schon früh Mitglied der »Sozialdemokratischen Partei Deutschlands« (SPD), wurde er im November 1938 wegen Betätigung gegen das nationalsozialistische Regime verhaftet und im September 1939 vom Volksgerichtshof zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt; er verstarb im Haftkrankenhaus. Anmerkung Reinhard Müller.

© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006

UNTERGRUNDARBEIT
Februaraufstand
Kritik an der Parteiführung
Entlassung
Im Untergrund
Aufgaben
Karl Frank
Joseph Buttinger
"Der Funke"
"Revolutionäre Sozialisten"
Ziele der Illegalen
Banksafe für illegale Papiere