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Marie Jahoda über die sozialdemokratische Parteiführung 1934 Wien, Februar 1934 Sie haben recht damit, daß die Partei1 nicht vorbereitet war. Das hängt zusammen mit den Komplikationen des Parteiführers Otto Bauer, der ein zutiefst kultivierter Intellektueller war und nur durch den Zufall der Geschichte der Führer einer Arbeiterbewegung geworden ist. Es war ihm die Vorstellung der Gewalt, des Tötens und des Schießens persönlich so untragbar, daß er, obwohl er dafür vorbereitet hat, nicht in Wirklichkeit damit gerechnet hat. Das war seine eigene große persönliche Tragödie. [...]Am ersten Tag des Aufstands hat mein Bruder [d.i. Eduard Jahoda] – er war immer ein Sozialist, aber er hatte das Geschäft meines Vaters [d.i. Carl Jahoda] übernehmen müssen, als der gestorben war, und er hatte damals, was sehr selten war in Österreich, ein Auto – in der Nacht den Julius Deutsch2 an die tschechische Grenze gebracht und hat im Auto gewartet, bis Deutsch über die Grenze war. Vier Tage später ist ein Bild von Julius Deutsch veröffentlicht worden, das ihn mit einem Kopfverband gezeigt hat, weil er bei den Kämpfen in Wien verwundet worden war, während mein Bruder und ich gewußt haben, wie es wirklich war. Mathias Greffrath: »Ich habe die Welt nicht verändert.« Gespräch mit Marie Jahoda, in: Die Zerstörung einer Zukunft. Gespräche mit emigrierten Sozialwissenschaftlern. Aufgezeichnet von Mathias Greffrath. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1979 (= das neue buch. 123.), S. 103–144, hier S. 126–128.
1 Gemeint
ist die »Sozialdemokratische Arbeiterpartei
Deutschösterreichs« (SDAP). Anmerkung
Reinhard Müller.
2 Julius
Deutsch (Lakompak, Ungarn [Lackenbach, Burgenland] 1884 – Wien
1968): sozialdemokratischer Politiker und Militär; er war seit
1924 Führer des sozialdemokratischen »Republikanischen
Schutzbunds« und flüchtete am 13. Februar 1934 –
wie auch Otto Bauer und andere führende Funktionäre der
österreichischen Sozialdemokratie – in die
Tschechoslowakei; General der Interbrigaden während des
Spanischen Bürgerkrieges. War seit 1923 mit Maria
Deutsch
(1884–1973)
verheiratet, welche an der Marienthal-Studie
beteiligt war. Anmerkung
Reinhard Müller.
© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006 |
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