Herbert Matis
Die Manufaktur und frühe Fabrik im Viertel unter dem Wiener Wald. Eine Untersuchung der großbetrieblichen Anfänge vom Zeitalter des Merkantilismus bis 1848. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien eingereicht von Herbert Matis.
Wien 1964, 417 Bl., hier Bl. 317–318 & 332; Philosophische Dissertation an der Universität Wien; Maschinenschrift.
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[Titelblatt]
Die Manufaktur und frühe
Fabrik im Viertel unter dem Wiener Wald.
Eine Untersuchung der großbetrieblichen Anfänge
vom Zeitalter des Merkantilismus bis 1848.
Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades
an der
Philosophischen Fakultät
der
Universität Wien
eingereicht von
Herbert Matis
Wien 1964
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Baumwollspinnerei zu Marienthal bei Gramatneusiedl:
1830 kaufte Hermann Todesco, ein bekannter jüdischer Großhändler und Kunstmäzen, die Baulichkeiten der alten Flachsspinnerei von [Franz Xaver] Wurm und [Leopold] Pausinger und errichtete eine Baumwollspinnerei. Der seit 1819 gebräuchliche Name »Marienthal« wurde auch für diesen Betrieb beibehalten. Das Unternehmen weitete sich bald weiter aus. So kaufte Todesco[1] um 70.000 fl[orin] die »Ladenmühle« und errichtete an ihrer Stelle ein neues Fabriksgebäude. Das alte Gebäude der Flachsspinnerei, die sogenannte »Theresienmühle« diente fortan als Arbeiterwohnhaus. Ab 1844 war der Sohn des Gründers Max Todesco im Alleinbesitz des Unternehmens.
Baulichkeiten:
Die Spinnerei übernahm die Baulichkeiten der alten Flachsspinnerei. Dieses Gebäude wurde dann, nach der Errichtung eines neuen Spinnereigebäudes, zu einem Arbeiterwohnhaus. 1833 wurde auch eine eigene Fabriksschule errichtet. Für die Fabriksarbeiter und die Einwohner der Gemeinde baute Todesco 1844 den Stiftskindergarten zu Gramatneusiedl. Beim Neubau der Spinnfabrik wurde 1845–46 u[nter] a[nderem] auch ein Verbindungskanal zwischen Piesting und Fischa geschaffen.
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Die neue Spinnerei entstand an Stelle der alten »Ladenmühle« die damals abgerissen wurde. Im gleichen Jahr wurde für die Fabriksarbeiter beiderseits der Straße nach Gramatneusiedl eine Wohnkolonie angelegt.[2] Die Fabriksgebäude und die Arbeiterwohnsiedlung bildeten zusammen ein eigenes Fabriksviertel, das den Namen »Marienthal« führte.
Produktionsapparat:
1835 waren 6.500 Spindeln in Betrieb. 1841 erzeugten c[irk]a 7000 Spindeln 152.740 Wiener Pfund Garne und Zwirne. 1843 betrug die Erzeugung bei gleicher Spindelzahl 200.612 Wiener Pfund. 1845 hatte man 7500 Spindeln in Betrieb, die sämtliche durch Wasserkraft abgetrieben wurden.
Beschäftigtenziffern:
1835: 286 Arbeiter, 1841: 137 Arbeiter, 1843: 123 Arbeiter und 1845: 140 Arbeiter, davon 22 Kinder.
Standort:
Die Baumwollspinnerei schließt baulich an die eingegangene Flachsspinnerei an und hatte die gleichen Standortsbedingungen aufzuweisen. Die günstige Erwerbsmöglichkeit der Baulichkeiten mag ein weiterer Anreiz zur Errichtung der Spinnerei gewesen sein.
Quellen und Literatur:
Stiftsbrief im Pfarrstiftungsbuch N[umme]r 8 ex 22. Aug[ust] 1846.
Merkantilrepertorium III, S[eite] 35.
Tafeln zur Statistik, 1828 und 1841.
Pfarrblatt S[ank]t Peter und Paul, IV. J[ahrgan]g November 1954. Nr. 1 und VI. Jg. Dezember 1956. Nr. 1.
[Wenzel Carl Wolfgang] Blumenbach: Neueste Landeskunde II, 1834/35. S. 275.
[Johann] Slokar: Geschichte der Industrie, 1914. S. 287.
[Constant von] Wurzbach: Biographisches Lexikon, Art[ikel] Todesco.
[Moritz Alois] Becker–[Max] Vancsa: Topographie, VI. B[an]d. Artikel Gramatneusiedl.
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Flachsspinnerei zu Marienthal bei Gramatneusiedl:
1826 begründeten Franz Wurm und Johann Pausinger[3] eine Flachsspinnerei zu Marienthal. Sie betrieben ihr Unternehmen mit selbstkonstruierten Spinnmaschinen. Obwohl die Flachsspinnmaschine Wurms besser war, als derartige ausländische Erfindungen, gab mander [!] Flachsspinnmaschine der Gebrüder Girard den Vorrang. Die Kommerzienhofkommission verweigerte jedenfalls den beiden Unternehmern ein ausschließliches Privileg. 1827 schon ging der Betrieb wieder zu Grunde.
Franz Wurm: aus Ebenthal in Kärnten. Am 31.3.1827 wurde er wegen Banknotenfälschung zum Tode verurteilt. Seine Strafe wurde allerdings im August des selben Jahres in lebenslängliche Haft umgewandelt. Wurm wurde jedoch bald als »genialer Erfinder« vom Kaiser begnadigt und vom Spielberg [d.i. Špilberk in Brno, Tschechische Republik; Anm. R.M.] entlassen.
Johann Pausinger: ein pensionierter k[aiserlich] k[öniglicher] Polizeioberkommissär, der Wurm seine Ersparnisse zur Verfügung stellte.
Baulichkeiten:
Wurm und Pausinger erwarben die Theresienmühle im Jahre 1819 und gestalteten sie zu einer Flachsspinnerei um. Dieses Bauwerk wurde 1844 durch den Baumwollspinnfabrikanten [Max] Todesco in ein Arbeiterwohnhaus umgewandelt. Das Gebäude war zweistöckig und umgab hakenförmig einen kleinen Innenhof.
Einzelheiten des Betriebes:
Die beiden Unternehmer betrieben ihre Flachsspinnerei mit selbstgebauten Spinnmaschinen und hatten 33 Beschäftigte.
Quellen und Literatur:
Beichtregister der Pfarre Gramatneusiedl.
Pfarrblatt St. Peter und Paul, 4. Jg. November 1954.
HKA. Komm[ission] N[ieder]Ö[sterreich] Fasz[ikel] 55. ex März 1826.
[Wenzel Carl Wolfgang] Blumenbach: Neueste Landeskunde II, 1834/35. S. 275.
[Johann] Slokar: Geschichte der Industrie, 1914. S. 192 und 618.
Fr[eun]dl[iche] Mitt[ei]l[un]g von Herrn Pfarrer [Georg] Grausam in Gramatneusiedl.
[1] Tatsächlich wurde die Ladenmühle durch Hermann Todescos ältesten Sohn, Max Todesco (1813–1890), 1845 gekauft. Anm. R.M.
[2] Die eigentliche Wohnkolonie wurde erst seit 1869 angelegt; allerdings entstanden 1846 bis 1850 drei Arbeiterwohnhäuser: das Altgebäude, der Schulhof und das Neugebäude. Anm. R.M.
[3] Recte Leopold Pausinger (1763–1848). Die Fabrik ging bereits 1823 in Betrieb. Anm. R.M.