Soziologie in Österreich

 

 

 

 

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Spann
 Briefe
 21.4.1915

 

Othmar Spann

Briefe an Erika Spann-Rheinsch

Othmar Spann: Brief (mit Briefumschlag) an [Erika] Spann-Rheinsch in Brünn (Mähren, heute Brno, Tschechien), Steinmühlgasse 10

Langenwang bei Mürzzuschlag (Steiermark), am 21. April 1915

pag. 353/a:

Langenwang, 21.IV.15

Liebste! Deine Nachricht, daß Du ständiges Herzklopfen habest, beunruhigt mich nicht wenig. Ich möchte Dir vorschlagen, auf eine Zeit ins Hegerhaus zu gehen, dort könntest Du Dich am besten in Ruhe erholen. Ich bedachte natürl.[ich] schon längst, ob Du nicht hierher auf Besuch könntest. Indessen wären da unter einem ungemütlichen Kommandanten allzuviele Schwierigkeiten. Marschroute aus geschlossen, Unterkunft nur getrennt möglich, Teilnahme an der Menage ebenfalls verboten – etc. Alles in allem höchst ungemütlich. Auch können wir jeden Tag eine neue Bestimmung bekommen. Der Besuch zu mir ist also am besten aufzuschieben, bis ich in ein Lager komme, dort dürften sich wohl gemütlichere Verhältnisse einstellen. – Übrigens heißt es, daß unsere ganze Gesellschaft nach Siebenbürgen abkutschirt – ob ich mit der Wachkomp.[anie] aber mitverlegt werde?

Lepki schrieb beil.[iegenden] Brief. Du kannst ihn, wenn Du Lust hast, einmal zu einem Kriegs-Kaffee einladen. Er hat mich s[einer]z[ei]t. sehr fr[eun]dl.[ich] beherbergt – d.[as] ist immerhin etwas.

Mit Helene ist nun wohl alles im Gleichen. Ich schrieb ihr, daß mich ein innerer Prozeß der Abscheidung immer mehr von der Welt entfernt. Und wirklich läßt ja solch eine Verschleierung von außen her gesehen, Liebe leicht in »Freundschaft« verwandelt werden. Nun erhielt ich heute ihre Antwort, die viell.[eicht] ein wenig gedrückt, aber unendlich lieb, bescheiden und rührend ist. Ich habe wohl leider zuviel getan, indem ich zugleich eine ganz leise Beschwerde über eine zornmütige Richtung ihres Wesens sowie eine Warnung vor allzudogmatischen Kantianismus einfließen ließ. Immerhin scheint mir nun alles geregelt, und ich bitte Dich, nun auch von Deiner Seite zur Beruhigung möglichst beizutragen!! Stelle Dich nicht auf den Standpunkt der gekränkten Autorität sondern nimm Dich gelassen, ruhig und eher mütterlich ihrer an. – Du bist jetzt genau orientiert, jedoch brauchst Du von der ganzen Geschichte offiziell lieber nichts zu wissen. –

Gestern sandte ich Dir Blumen, lach' mich aber nicht aus, Liebste, wenn Du nichts besonderes erhieltst. Enziane o.[der] d[er]gl.[eichen] zu holen ist mit schwer möglich, da ich zu größeren Ausflügen kaum Zeit fände.

pag. 354/a:

Eben komme ich vom Longe-Reiten, das Ausreiten ist mir leider verboten worden, doch genügt mir die tägl.[iche] Übung. Auch die »Kantstudien« erhielt ich eben und sah Deine lieben Schriftzüge auf der Schleife! Schönen Dank! Es ist eine recht lederne Besprechung meiner »Gesellschaftslehre« drinnen, die von Unverständnis strotzt aber trotzdem in ein schülerhaftes Lob ausklungt.

Hast Du genug Brot? Ich könnte Dir von hier Kommisbrot schicken: 2 Laib zu 1400 g[ramm], halten sich 10–14 Tage u.[nd] länger! Willst Du?, so schreibe nur ein Wort! – Ich selbst bin hier überaus gut aufgehoben. Das Reiten verschafft mir tüchtigen Schlaf (!!), das gemeinsame Essen ist noch besser u.[nd] reichlicher als in Gleisdorf. Also eine Art Mastkur! – In freien Stunden lese ich Schellings ewig denkwürdige »Weltalter«, denen man in jeder Zeile anmerkt, wie sie der Niederschlag jahrelanger intensivster und tiefster Arbeit sind. Auch für mich fallen dabei natürlich einige Grübeleien ab. – Sei so lieb u.[nd] schicke mir Hegels »Enzyklopädie der philosoph.[ischen] Wissenschaften« (ungefähr so lautet d.[er] Titel) als eingeschr.[iebene] Drucksache – ein altes, bräunl.[iches] Buch kleinen »Kalibers«; es steht ungef.[ähr] unter Schleiermacher.

Hinsichtl.[ich] Karls u.[nd] Pepls bin ich nicht ganz unbesorgt. Ein Kamerad erzählte mir, er habe einen Brief aus Rußl[an]d. erhalten, in welchem der Betr.[effende] (ein Offizier) in die Versicherungen, es ginge ihm sehr gut, einfließen läßt: »allerdings möchte ich lieber am Pankraz sein«[.] »Pankraz« ist aber eine Strafanstalt bei Prag!! – Schließl.[ich] könnte aber diese Bemerk[un]g auch nur ein Manöver sein, das den betr.[effenden] Czechen vor dem Verdacht russophiler Gesinnung reinigt? –

Was machen die munteren Knäblein? Ich hoffe, Bertchen liest regelmäßig. Wenn möglich soll er auch die Fiebel nochmals abschreiben!

pag. 355/a:

Liebste mein! Nimm noch zum Abschied einen innigen Gruß von Herz zu Herzen! Wie gerne möchte ich bei Dir sein, Dir in die tiefen, guten Äuglein schauen und Dich beruhigend in die Arme nehmen und in jene andere, dunkle Welt der Liebe führen, die uns alle heimlich heilt und hält. Leb' wohl, Liebchen, und fühle auch in der Ferne meine Nähe. Sei geküßt, tausendmal und immerdar!

Dein Othmar.

Quelle

Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Nachlass Spann, Signatur 32/1.1, pag. 353–355.

Kommentar

Transliteration und Kommentar: Reinhard Müller.

Beschreibung: 3 Bl.; Handschrift (kurrent).

Kommentar: Betrifft unter anderem »Pankraz« (auch Pankratz, heute Pankrác, bekanntes Gefängnis in Prag ‹Praha›), »Lepki« (d. i. Jarosław Łepki), Helene Roller, Immanuel Kant, Friedrich Wilhelm (seit 1812: Ritter von) Schelling, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Friedrich Schleiermacher, Karl Faigl, »Pepl« (d. i. Josef Wenzlitzke), »die Knäblein« (d. s. Adalbert Spann und Raphael Spann) und »Bertchen« (d. i. Adalbert Spann) sowie das Buch von Othmar Spann: Kurzgefaßtes System der Gesellschaftslehre. Berlin: J. Guttentag 1914.

Auf dem Briefumschlag befinden sich handschriftliche Notizen von Erika Spann-Rheinsch, betreffend Wolfgang Amadeus Mozart (d. i. Johannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart), Richard Wagner, Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven.

Zur erwähnten Beilage vgl. Signatur 32/1.2, Łepki, Jarosław, pag. 1–2.

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Stand: Dezember 2011