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Das Studium 1926–1932 Marie Jahoda entschied sich im Herbst 1926 für eine doppelgleisige Ausbildung. Zunächst schrieb sie sich am Pädagogischen Institut der Stadt Wien ein, einem Flaggschiff der sozialdemokratischen Schulreform unter Otto Glöckel (1874–1935), welches im Jahr zuvor seinen Studienbetrieb unter Leitung von Viktor Fadrus (1884–1968) aufgenommen hatte. Am 15. Juni 1928 schloss Jahoda den viersemestrigen »Hochschulmäßigen Lehrerbildungskurs des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien« mit einem Zeugnis der Reife für Volksschulen ab, womit sie zur provisorischen Lehrerin an Volksschulen, weiblichen Handarbeitslehrerin an Volks- und Bürgerschulen sowie Kindergärtnerin befähigt wurde.Ebenfalls im Herbst 1926 inskribierte Marie Jahoda an der Universität Wien, wo sie – mit Unterbrechung im Wintersemester 1929/30 – vom Wintersemester 1926/27 bis Sommersemester 1931 Lehrveranstaltungen aus Psychologie und Germanistik besuchte. Im Mittelpunkt ihres Studiums standen die Lehrenden Karl Bühler (1879–1963) und dessen Ehefrau Charlotte Bühler (1893–1974). Allerdings meinte Jahoda später: »I did not take my lecture attendance at the University very seriously; I was too busy.«1 Damals nahm Marie Jahoda an ihrem ersten wissenschaftlichen Kongress teil, dem Internationalen Kongress marxistischer Individualpsychologen in Wien, wo sie am 15. September 1927 ein Referat hielt: »Das Berufsproblem in individualpsychologischer Beleuchtung«. Auch erschienen ihre ersten, stark politisch akzentuierten wissenschaftlichen Arbeiten, »Arbeitsfreude, Kapitalismus, Arbeiterbewegung« (1927) und »Kathederkapitalismus« (1928), in der sozialdemokratischen Gewerkschaftszeitschrift »Arbeit und Wirtschaft« (Wien). Ihre erste wissenschaftliche Studie verfasste sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Paul Lazarsfeld und dem Volksschullehrer Karl Reininger: »Das Weltbild des Jugendlichen« (1929). In diese Kategorie gehört auch ihr 1930 erschienener, rein deskriptiver Zeitungsartikel »Der Wilde von Aveyron«. Zur Jahreswende 1931/32 beendet Marie Jahoda ihr Studium. Am 11. Dezember 1931 erhielt sie das Absolutorium, am 14. Dezember 1931 reichte sie ihr Ansuchen um Ablegung der Prüfung zur Erlangung des »philosophischen Doktorgrades aus Psychologie in Verbindung mit Philosophie« ein, am 3. Februar 1932 legte sie das Rigorosum »einstimmig mit Auszeichnung« ab und wurde am 12. Februar 1932 aufgrund ihrer Dissertation »Anamnesen im Versorgungshaus. (Ein Beitrag zur Lebenspsychologie)« zur Doktorin der Philosophie (Dr. phil.) promoviert. Das Gutachten zur Dissertation verfasste Karl Bühler und wurde von Robert Reininger (1869–1955) bestätigt. Ihre Dissertation fügte sich in die Lebenslaufstudien von Charlotte Bühler ein, allerdings mit wesentlichen Unterschieden: Marie Jahoda beschränkte sich nicht auf gedruckte Biografien, sondern erhob das Quellenmaterial durch persönliche Befragung der Personen, und sie beschäftigte sich nicht mit Lebensgeschichten prominenter Personen, sondern mit jenen einer sozialen Randgruppe, nämlich den Bewohnern eines Wiener Armenhauses.
1 Marie
Jahoda Albu: Reconstructions. [Keymer,
Sussex: Published by the author] 1996, S. 41.
© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006 |
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