Käthe
Leichter
geborene Marianne Katharina Pick; Decknamen und Pseudonyme: Anna Gärtner;
Maria; Maria Mahler
geb.
Wien, am 20. August 1895
gest.
nahe Magdeburg, Sachsen-Anhalt, am 17. März 1942
Soziologin und
sozialdemokratische Politikerin
Käthe Pick war die
Tochter des Hof- und Gerichtsadvokaten Josef Pick und dessen Ehefrau
»Lotte« Charlotte Pick, geborene Rubinstein. Sie hatte eine Schwester: »Vally«
Valerie Pick, verheiratete Weigl (1894–1982), Musikerin und im
US-amerikanischen Exil Musiktherapeutin, Ehefrau des Komponisten und
Professors für Komposition Karl Weigl (1881–1949). Käthe Pick besuchte
das
Beamten-Töchter-Lyzeum in Wien, wo sie 1914 die Matura ablegte. Nach
einer erfolgreichen Klage auf Zulassung studierte sie 1914 bis 1917
Staatswissenschaften an der Universität Wien. Daneben war sie als
Erzieherin von Arbeiterkindern im Wien-Döblinger Proletarierviertel
»Krim«
tätig. Vor allem unter dem Eindruck des Attentats von
Friedrich Adler
(1879–1960) auf den österreichischen Ministerpräsidenten Karl Grafen von Stürgkh (1859–1916) im Oktober 1916 entwickelte sie sich von einer
Kriegsbegeisterten zur sozialistischen Kriegsgegnerin.
Da sie in Wien als
Frau noch nicht zu Abschlussprüfungen zugelassen wurde, setzte sie im
Herbst 1917 ihr Studium an der Universität Heidelberg
(Baden-Württemberg) fort. Hier schloss sie sich der deutschen
Sozialdemokratie an und wurde Mitglied der so genannten Kriegslinken. Im
Dezember 1917 wurde sie als aktive Kriegsgegnerin aus Deutschland
ausgewiesen, wobei gleichzeitig über sie ein Einreiseverbot nach
Deutschland verhängt wurde. Im Januar 1918 nahm sie in Wien an den
so genannten Jänner-Streiks teil. Im Juli 1918 wurde das über sie
verhängte Einreiseverbot nach Deutschland vorübergehend aufgehoben, so
dass sie ihr Studium bei
Max Weber (1864–1920) an der Universität Heidelberg
abschließen konnte, wo sie 1918 mit Auszeichnung zur Doktorin der
Staatswissenschaften (Dr. rer. pol.) promoviert wurde.
Anschließend nach Wien
zurückgekehrt, wurde Käthe Pick eine wichtige Aktivistin der
österreichischen Sozialdemokratie, war Mitglied der
»Sozialdemokratischen Arbeiterpartei« (SDAP),
studentischer
Linksgruppen und führendes Mitglied der so genannten Neuen Linken; sie
beteiligte sich aktiv an den Sitzungen des Kreisarbeiterrats sowie des
Bezirksarbeiterrats Innere Stadt, Wien, war im Herbst 1918
Mitbegründerin des »Verbands
der sozialdemokratischen Studenten und Akademiker«
(seit 1925: »Verband
Sozialistischer Studenten Österreichs«),
war 1919 bis 1934 stellvertretende Vorsitzende und Verantwortliche für
Bildungs- und Frauenarbeit in der Wiener Bezirksgruppe der
»Sozialdemokratischen Arbeiterpartei«, Delegierte
zu fast allen sozialdemokratischen Parteitagen und seit 1923 zu allen
Frauen-Reichskonferenzen der
»Sozialdemokratischen Arbeiterpartei«. Außerdem war
sie ständige Mitarbeiterin der
Zeitschrift »Der Kampf.
Sozialdemokratische Monatsschrift«
(Wien) und der
»Arbeiterzeitung.
Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie«
(Wien). 1918 bis
1919 war sie enge Mitarbeiterin von
Otto Bauer (1881–1938) im Außenministerium und war auf dessen
Veranlassung 1919 bis 1925 vertragsbedienstete Konzeptsbeamtin der
Bundeskommission für Sozialisierung. Außerdem wirkte sie 1919 als
Konsulentin von Finanzminister Joseph Alois Schumpeter (1883–1950) im
Finanzministerium.
1921 heiratete Käthe
Pick den Journalisten, Schriftsteller und sozialdemokratischen Politiker
Otto Leichter (1897–1973). Aus der Ehe stammen zwei Söhne:
Heinz Leichter, der sich seit dem US-amerikanischen Exil Henry O(tto)
Leichter nennt (geb. 1924), Rechtsanwalt, und Franz Leichter (geb. 1930),
Rechtsanwalt und US-amerikanischer demokratischer Politiker.
1925 bis 1934 war
Käthe Leichter
Mitarbeiterin der
Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien, baute das dann von ihr geleitete Referat für Frauenarbeit
auf, war Redakteurin und seit 1927 Leiterin des Frauenteils der
Zeitschrift »Arbeit und
Wirtschaft. Halbmonatschrift
für volkswirtschaftliche, sozialpolitische und gewerkschaftliche Fragen«
(Wien), des gemeinsamen Organs der Arbeiterkammern und der Freien
Gewerkschaften Österreichs. Im Zuge ihrer engen Zusammenarbeit mit der
1928 geschaffenen Frauensektion der
»Freien Gewerkschaften Österreichs«
und dem Frauenkomitee der
»Sozialdemokratischen Arbeiterpartei«
führte sie Betriebsrats- und
Funktionärinnen-Schulungen sowie zahlreiche soziologisch-statistische
Untersuchungen zu Problemen der Frauenarbeit durch. Außerdem war sie
Mitarbeiterin der Zeitschrift
»Die Unzufriedene. Unabhängige Wochenschrift für alle Frauen«
(Wien) sowie Redakteurin der Frauenbeilage der Zeitschrift
»Österreichischer
Metall- und Bergarbeiter«
(Wien), seit 1927 im Rahmen der
»Sozialistischen
Arbeiter-Internationale« und
des »Internationalen
Gewerkschaftsbunds« Delegierte
und Beraterin auf zahlreichen internationalen Frauen- und
Arbeiterinnen-Konferenzen, seit 1931 im Zentralkomitee der
»Sozialdemokratischen Arbeiterpartei« und seit
November 1933 Obmann-Stellvertreterin im Zentralfrauenkomitee. Käthe
Leichter
gehörte – wie auch
Marie Jahoda (1907–2001) – dem Vorstand der im Januar 1933
gegründeten »Vereinigung sozialistischer Schriftsteller« an, welche jedoch im März 1934
behördlich aufgelöst wurde.
Hingewiesen sei
darauf, dass Käthe Leichter die vermutlich erste war, welche die
Marienthal-Studie nach ihrem Erscheinen rezensierte.
Nach den
Februar-Kämpfen 1934 zur Verteidigung der Demokratie in Österreich war
Käthe Leichter zunächst im Wiener Untergrund tätig und spielte eine
maßgebliche Rolle bei den Organisationsansätzen der
»Revolutionären
Sozialisten Österreichs« (RSÖ)
sowie bei der Unterstützung für die Opfer der Kämpfe. Anfang März 1934
flüchtete sie mit ihrem Mann Otto Leichter über Brno (Tschechoslowakei,
heute Tschechische Republik), wo sie sich mit
Otto Bauer besprach, nach Zürich, wo sie sich vor allem
wissenschaftlichen Arbeiten widmete. Im September 1934 nahm Käthe
Leichter an der so genannten Wiener Konferenz der
»Revolutionären Sozialisten
Österreichs« in Blansko bei
Brno teil, wo sie zur Leiterin des Bildungsausschusses der
»Revolutionären Sozialisten
Österreichs«
gewählt wurde. Anschließend kehrte sie nach Wien zurück.
In Wien war Käthe
Leichter gemeinsam mit ihrem Mann Otto Leichter bis 1938 eine wichtige
Persönlichkeit im illegalen Apparat der
»Revolutionären Sozialisten
Österreichs« und seit 1937 auch
Leiterin des
»Informationsdienstes der Revolutionären Sozialisten Österreichs«
[Wien], daneben Mitarbeiterin der Zeitschrift
»Kampf«
(Brünn [Brno]) unter
den Pseudonymen und Decknamen Maria, Maria Mahler und Anna Gärtner.
Während ihrem Mann
Otto Leichter 1938 die Flucht über die Schweiz und Frankreich
1940 in die USA und den Kindern die Flucht mit Hilfe von Freunden und
einer ehemaligen Haushälterin 1938 in die USA gelang, wurde Käthe
Leichter am 31. Mai 1938 während der Emigrationsvorbereitung durch die
Geheime Staatspolizei (Gestapo) durch einen Verrat des ehemaligen
sozialdemokratischen Redakteurs Spitzels Hans Pav verhaftet und zunächst
ins Gefangenenhaus des Landesgerichts in Wien gebracht, im September
1938 des Hochverrats angeklagt und im Oktober 1939 zu vier Monaten
Gefängnis verurteilt. Im Gefängnis verfasste sie ihre Autobiografie. Im
Januar 1940 wurde sie ins Konzentrationslager Ravensbrück bei
Fürstenberg an der Havel (Brandenburg) deportiert.
Vermutlich am 17. März
1942 wurde Käthe Leichter auf dem Transport vom
Konzentrationslager
Ravensbrück in die Psychiatrische Anstalt Bernburg an der Saale
(Sachsen-Anhalt), einem Euthanasie-Zentrum der Nationalsozialisten, im
Zuge einer Versuchsvergasung von etwa 1.500 Jüdinnen in der Nähe von
Magdeburg (Sachsen-Anhalt) in einem Eisenbahnwaggon ermordet.
Käthe Leichter gilt
heute als eine der frühen Soziologinnen Österreichs und bedeutende
Forscherin über die soziale Lage von Arbeiterinnen.

Selbstständige
Publikationen von Käthe Leichter
● (Marianne Katharina
Pick) Die handelspolitischen Beziehungen Österreich-Ungarns zu
Italien. Staatswissenschaftliche Dissertation, Universität
Heidelberg 1918 (Maschinenschrift).
● Frauenarbeit und
Arbeiterinnenschutz in Österreich.
Wien: Arbeit und Wirtschaft 1927, 238 S.
● (Redakteurin) Arbeit
und Wirtschaft. Halbmonatschrift für volkswirtschaftliche,
sozialpolitische und gewerkschaftliche Fragen (Wien), 5.–12. Jg. (1927–1934).
● Wie leben die Wiener
Heimarbeiter? Eine Erhebung über die Arbeits- und Lebensverhältnisse von
tausend Wiener Heimarbeitern.
Wien: Arbeit und Wirtschaft 1928, 145 S.
● (Redakteurin)
Handbuch der Frauenarbeit in Österreich. Herausgegeben von der Kammer
für Arbeiter und Angestellte in Wien. Wien: Kammer für Arbeiter und
Angestellte in Wien 1930, 674 S.
● Vom
revolutionären Syndikalismus zur Verstaatlichung der Gewerkschaften.
Leipzig: Hirschfeld 1932, S. 244–281. Separatabdruck aus: Festschrift
für Carl
Grünberg. Zum 70.
Geburtstag. 1932.
● (Anonym) 100.000
Kinder auf einen Hieb! Die Frau als Zuchtstute im Dritten Reich.
Wien: Wiener Volksbuchhandlung 1932 (= Sozialistische Kampfschriften.
1.), 12 S.
● ›So leben wir…‹. 1320
Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben.
Wien: Arbeit und Wirtschaft 1932, 156 S.
● (Mitarbeiterin)
Julius Deutsch: Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung. Band 2: Im
Weltkrieg und in der Nachkriegszeit. Unter Mitarbeit von Käthe Leichter,
Eduard Straas und Richard Wagner. Wien: Wiener Volksbuchhandlung
1932, 316 S.
● Käthe Leichter zum 100.
Geburtstag. Texte zur Frauenpolitik. Auswahl von Eckart Früh und Karl
Stubenvoll. Herausgegeben von der Kammer für Arbeiter und Angestellte
für Wien.
Wien: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Abteilung für
Frauen- und Familienangelegenheiten 1995, 236 S.

Über und Texte von Käthe
Leichter auf dieser Website
● Leichter,
Käthe:
Die Arbeitslosen von Marienthal, in: Arbeit und Wirtschaft.
Halbmonatschrift für volkswirtschaftliche, sozialpolitische und
gewerkschaftliche Fragen (Wien), 11. Jg., Nr. 7 (1. Juli 1933), Sp. 201–206:

● Große Chronik von
Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg:

© Reinhard Müller
Stand:
Juni 2008
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