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Gertrude Wagner
Über den Anteil von Lotte Schenk-Danzinger an der Marienthal-Studie
Wien, am 24. Februar 1984
Auszugsweise und von
Reinhard Müller redigierte Wiedergabe eines Interviews von
Christian Fleck (geb. 1954) mit
Gertrude Wagner (1907–1992).
Quelle: Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich (Graz),
Tondokument Signatur T-1.
Aber
[Paul]
Lazarsfeld hat eine Menge anderer Sachen gemacht: zum
Beispiel
Marienthal.
Da gibt es nämlich eben auch so eine Sache: Die geistige Führung, die
Ideen, würde ich sagen, also einen großen Teil der Ideen hatte
Lazarsfeld. Aber da gab es noch die
Lotte
Schenk-Danzinger. Und da ist jetzt was Merkwürdiges
geschehen. In Wirklichkeit war es die Lotte Danzinger, die die ganze
Zeit in Marienthal war, und die nicht nur Interviews und so weiter
ausgeführt hat, sondern die selber auch eine ganze Menge Ideen hatte.
Sie war ja auch später eine enge Mitarbeiterin von der
Charlotte Bühler und war immer
eine sehr ideenreiche Person. Nun, wie ich Ihnen früher geschildert
habe, aus diesen ganz persönlichen Gründen habe ich schon damals dem
Paul Lazarsfeld gesagt: »Ich finde das schrecklich unfair, dass die
Danzinger nicht viel mehr in der Marienthal-Studie herausgekommen ist,
weil sie dort wirklich…« Man dankt ihr zwar, aber sie hatte einen viel
größeren Anteil an der Arbeit. […] Ich weiß es natürlich nicht genau,
aber es kann zwei Gründe haben: Sie hat dann einen konservativen Mann
geheiratet.1) Allerdings hat sie dann trotzdem weiter für die Gemeinde Wien gearbeitet
und ist auch, glaube ich, in ihren ganzen psychologischen Ideen in
Kinderdingen durchaus ein progressiver Mensch geblieben. Oder vielleicht
war sie doch sehr beleidigt, dass man sie nicht mehr in der
Marienthal-Studie berücksichtigt hat. Aber das ist so meine Theorie.
1) Gemeint ist der
Ingenieur Johann Schenk (1902–1995), den Lotte Danzinger (1905–1992)
im Jahr 1937 heiratete. Anm.
R.M.

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