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Marie Jahoda
Über die Abfassung der
Marienthal-Studie
in Steffani Engler
(geb. 1960) & Brigitte Hasenjürgen (geb. 1954): Biographisches Interview mit
Marie Jahoda, in Marie
Jahoda: »Ich habe die Welt nicht verändert«. Lebenserinnerungen einer
Pionierin der Sozialforschung. Herausgegeben von Steffani Engler und
Brigitte Hasenjürgen.
Frankfurt/Main–New York: Campus Verlag 1997, S. 101–185, hier S. 112–113.
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Ja, ich habe den Text
geschrieben und einige Analysen gemacht, zum Beispiel über die Beziehung
zwischen der Höhe der Arbeitslosenunterstützung und der Stimmung der
Arbeitslosen. Alle Mitarbeiter der
Forschungsstelle sind wöchentlich für zwei bis drei
Stunden zusammengekommen und haben über alles berichtet, was sie
beobachtet und gearbeitet haben.
Paul [Lazarsfeld] hat diese Versammlungen geleitet und Diskussionen
angeregt, darin war er außerordentlich gut. Wir haben gemeinsam die
Kapitelfolge des Buches bestimmt, und im Sommer 1932 habe ich dann das
ganze Material mit aufs Land genommen, um ungestört zu arbeiten. Ich
erinnere mich noch, wie schwer der
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Koffer war, den ich
zum West-Bahnhof getragen habe. Wissen Sie, Schreiben ist wunderbar,
wenn es keine Unterbrechungen gibt und man wirklich konzentriert
arbeiten kann. Das war sehr angenehm. Aber Schreiben kann man nur
allein. Schreiben im Komitee ist nicht möglich. Ich wollte immer, und
habe es nie getan, eine Untersuchung über intellektuelle Arbeitsmethoden
machen. In den Sozialwissenschaften finden Sie nur noch sehr selten ein
Buch, einen Artikel oder einen Bericht mit einem Autor. Und wie das
Schreiben von vielen Leuten gemeinsam vor sich geht, war mir immer
unverständlich. Das Schreiben ist für mich eine individuelle
Beschäftigung. Aber ich bin nie dazu gekommen, das zu untersuchen.
Intellektuelle Arbeitsmethoden, auch wie man die Literatur bewältigt,
wie genau man Notizen macht, alles das hätte ich gern untersucht.
Vielleicht werden Sie mal so eine Arbeit über intellektuelle
Arbeitsmethoden machen. Damals war uns allen klar, daß Schreiben immer
nur einer kann. Der
Hans Zeisel
hat den Anhang geschrieben, das war sein Hauptbeitrag, er war nur sehr
gelegentlich in Marienthal.

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