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Lotte Radermacher Zur Psychologie der Schuhmode, Referat auf der Tagung des Modeausschusses der deutschen Schuhhändler, Berlin, am 10. November 1932 Typoskript,
8 S. S. 1 Zur Psychologie der Schuhmode Referat
von Dr. Lotte Radermacher
auf der Tagung des Modeausschusses der deutschen Schuhhändler,
Berlin 10.XI.1932 S. 2
Wir haben zwar im Augenblick noch
keine definitiven Ergebnisse, wir wollten aber die Gelegenheit nicht
vorübergehen lassen, ein paar allgemeine Beobachtungen vor
diesem Forum zu erörtern und dadurch ihre Aufmerksamkeit auf
die Erhebung zu lenken.
»Ein Schuh muss vor allem
bequem sein, alles andere ist viel weniger wichtig.« S. 3
als die Hälfte die Schuhmode
– während nur 18% aller Befragten die Kleidermode
unbeachtet liess. Es handelt sich also keineswegs um lauter bewusst
unmodisch eingestellte Leute, sondern zu einem recht grossen
Prozentsatz gilt die Gleichgültigkeit eben nur der Schuhmode.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Gleichgültigkeit mit der
relativ geringen Variationsmöglichkeit des Schuhs
zusammenhängt, während die Kleidermode, durch grössere
Auffälligkeit stärkere Beachtung findet. Dies lässt
sich auch damit belegen, dass bei der Frage danach, was dieses Jahr
an Schuhen modern sei, von den Männern rund die Hälfte
nichts zu sagen wussten, von den Frauen ein Drittel, die Angaben
ausserdem recht wenig zutreffend waren. S. 4 Die Aufklärung dieses Widerspruches führt zu Zusammenhängen, von denen wir glauben, dass sie im weiteren Verlauf unserer Untersuchungen von zentraler Bedeutung sein können. Wie kommt denn der Entschluss zum Kauf eines bestimmten Schuhs zustande? G[e]naue Analysen zeigen, dass die erste Vorstellung von dem zu kaufenden Schuh eine sehr unbestimmte ist. Zu Hause wird man sich darüber klar, was für einem Zweck der Schuh dienen soll, es soll etwa ein Strassenschuh sein, der auch für Nachmittags geht; weiters wird meist der Grundton festgelegt, ob ein Schuh hell oder dunkel, in der Grundfarbe braun oder schwarz sein soll. Eine detaillierte Vorstellung fehlt meist, es folgt daher in der Regel eine Zeit der Information, um die unbestimmte Vorstellung vor dem endgültigen Kauf zu konkretisieren. Als Hauptquellen der Information in dieser Zeit fanden wir:
Nur nebenbei sei hier darauf verwiesen, dass die Hauptinformationen vor allem eingeholt werden, bevor man ein Geschäft betritt. S. 5 Während dieser Informationszeit spielt sich nun ein merkwürdiger Prozess ab, den folgender Bericht einer befragten Person treffend charakterisiert. Die Frau, Gattin eines Arztes, gab an: »Als ich mir im Frühjahr Schuhe kaufen wollte ging ich zunächst zu R., wo ich meisten[s] einkaufe. Dort zeigte man mir Schuhe in einer merkwürdigen halbrunden Form, von der man mir sagte, sie sei modern. Mir gefielen die Schuhe gar nicht, ich ging daher wieder weg, um mich anderswo umzusehen. In dem nächsten Geschäft zeigte man mir wieder diese Form. Sie gefiel mir da eigentlich schon besser, ich konnte mich aber noch nicht entschliessen, die Schuhe zu nehmen. Als ich in der Auslage eines dritten Geschäftes dieselben Schuhe wieder sah, gefielen sie mir schon so gut, dass ich hineinging und ein Paar kaufte.« Diesen Prozess des sich Hineinsehens in eine Mode fanden wir auch an anderen Stellen wieder, ein junges Mädchen erzählte z[um] B[eispiel]:
»Letzten Herbst fiel mir
eine bestimmte dunkelbraune Schuhfarbe in den Auslagen auf; ich
mochte sie zunächst garnicht [!], als ich aber einige Wochen
darauf Schuhe kaufte, hatte ich mich schon so an die Farbe gewöhnt,
dass ich keine andere Farbe genommen hätte.« S. 6
Wenn
sich unser Ergebnis bestätigt, würde sich daraus eine
wichtige praktische Folgerung ergeben: es genügt danach nicht,
wenn die Schuhwirtschaft einfach jedes Jahr neue Modelle auf den
Markt bringt, denn die Schuhe werden zwar bereitwillig in der
modischen Form gekauft, es werden aber um der Mode willen nicht mehr
Schuhe gekauft: es ist daher mit der Schuhmode als Kaufanreiz
nicht einfach, wie es die Schuhwirtschaft möchte. S. 7
den
Durchschnittsbetrachter die Veränderungen sind. Es wäre
die mögliche Aufgabe eines Modeausschusses alljährlich für
drastische Kennzeichnung der ganzen Schuhmode zu sorgen, und zwar
nicht nur durch Abhebung in der Farbe und Schaffung neuer
Verwendungsmöglichkeiten, sondern auch in den Details, der
Verzierung, dass man etwa das eine Jahr nur runde, das nächste
nur eckige Ornamente bring[t]. (Dass deutliche Modeveränderungen
konsumanreizend wirken, konnte man am besten an der Opankenmode1
erkennen). So erst wird man die Mode aus ihrer passiven Rolle
herausholen und ihr eine aktive, den Konsum steigernde Rolle zu
geben vermögen. S. 8
den:
bei Modevorführungen bewährt sich das gesonderte Vorzeigen
der Schuhe, etwa auf einem Tablett, denn wenn die Vorführende
sie an den Füssen trägt, werden sie neben dem Kleid zu
wenig beachtet; in demselben Sinn bewährt sich auch die
Schuhphotographie
als ausgezeichnetes Werbemittel, ein Gesichtspunkt, den wir auf
Grund unserer Untersuchungen immer besonders hervorgehoben haben. Quelle: Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Nachlass Paul F. Lazarsfeld, Signatur 1, Filmrolle 1.
Dieses Referat der Wiener
Mitarbeiterin der »Österreichischen
Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle« entspricht
zwar keinem Projektbericht – ein solcher konnte nicht
gefunden werden –, es gibt jedoch Einblick in die
Auswertung der Fragebögen. 1 Opanke: sandalenartiger Schuh mit am Unterschenkel kreuzweise gebundenen Lederriemen. Anmerkung Reinhard Müller. 2 Forschungsstelle für den Handel, Berlin: Teilorganisation des 1921 vom Reichswirtschaftsministerium, dem »Verbande Technisch-Wissenschaftlicher Vereine« und Privatunternehmen gegründeten »Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit in Industrie und Handwerk«, welches der Förderung der Wirtschaft durch Forschung dienen sollte. Anmerkung Reinhard Müller. © Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006 |
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