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[Anonym]
Anhaltehaft für Frauen Die Wiener Polizeidirektion hat dieses neue Verfahren zur Umgehung des Artikels 19 der Bundesverfassung in jüngster Zeit auch gegen Frauen angewendet. Sie hat über die Studentin Anny Feuermann, über die ehemalige Redaktionsbeamtin der »Arbeiter-Zeitung« Liesl Zerner – dieselbe Genossin, die in dem großen Wiener Sozialistenprozeß nach vierzehnmonatiger Untersuchungshaft vom Gericht zu sechs Wochen Arrest verurteilt worden ist – und über Frau Dr. [Marie] Jahoda-Lazarsfeld, die Leiterin der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle und Verfasserin der weltberühmten sozialpsychologischen Studie über die Arbeitslosen von Marienthal, die übrigens auch Mutter eines sechsjährigen Kindes [d.i. Lotte Lazarsfeld, verheiratete Baliyn] ist, die Anhaltehaft in der Dauer von drei Monaten verhängt. Die »angehaltenen« Frauen sind viel schlimmer daran als Männer, die im Konzentrationslager Wöllersdorf1 »angehalten« werden. In Wöllersdorf sind die Männer in großen Gemeinschaftsbaracken untergebracht und können täglich fünf Stunden im Freien verbringen; die »angehaltenen« Frauen dagegen bleiben in den kleinen Zellen des Polizeigefangenhauses, sie werden wie kriminelle Häftlinge behandelt und dürfen nur jeden zweiten Tag eine halbe Stunde lang spazieren gehen. Dabei ist aber diese »Anhaltehaft« der Frauen in Wirklichkeit nur eine polizeiliche Verwahrungshaft, die bloß Anhaltehaft genannt wird, damit die Polizei die Frauen nicht dem Untersuchungsrichter übergeben müsse. Erst nach der »Anhaltehaft« sollen die Frauen dann ihre Polizeistrafe bekommen und nachher erst vor Gericht gestellt werden. Denn so ist es ja in Österreich rechtens: für dasselbe Delikt wird man dreimal bestraft!
1 Konzentrationslager
Wöllersdorf: Anhaltelager des Ständestaat-Regimes für
politische Gefangene 1933 bis 1938 in der heutigen Gemeinde
Wöllersdorf–Steinabrückl (Niederösterreich).
Anmerkung
Reinhard Müller.
© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006 |
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