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Bericht der Bundes-Polzeidirektion in Wien an die Staatsanwaltschaft Wien I Wien, am 7. März 1937 Bundespolizeidirektion in Wien Pr.Zl. IV–10.636/26/36 Jahoda-Lazarsfeld Maria [!], Dr., und Genossen; Verbrechen des Hochverrates und nach dem Staatsschutzgesetze.An die Staatsanwaltschaft Wien I in Wien. Wien, am 7. März 1937. Im Nachhange zu der am 29. Dezember 1936 gegen Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld wegen Verdachtes des Verbrechens des Hochverrates und des Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetze erstatteten Anzeige und unter Bezugnahme auf den am 2. Jänner 1937 unter Zahl 26 f Vr 10.981/36 anher ausgefertigten Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien I auf Eröffnung des Safes Nummer 5629/500–I der Zentraleuropäischen Länderbank, Niederlassung Wien, beehrt sich die Bundespolizeidirektion im Nachstehenden das Ergebnis der weiteren Erhebungen mitzuteilen: Das von Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld bei der Zentraleuropäischen Länderbank, Niederlassung Wien, gemietete Safe Nummer 5629/500–I wurde am 5. Jänner 1937 im Beisein der Beschuldigten gewaltsam geöffnet. Das Safe enthielt in 7 nicht verschlossenen Kuverts verwahrt verschiedene Aufzeichnungen und Druckschriften, die ihrem Inhalte nach Grundlagen zum Aufbau der revolutionär-sozialistischen Organisation in Oesterreich und zum Nachrichtendienste für diese Organisation darstellen. Das vorgefundene Material wurde beschlagnahmt. Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld gab, im Gegenstande befragt, an, dass sie das im Safe verwahrte Material von ihrem »Auftraggeber«, dessen Namen zu nennen sie sich weigerte, behufs Verwahrung übernommen und in dem Safe deponiert habe; ihr sei nur der Inhalt des ersten Kuverts, das sind Notizen über die nationalsozialistische Bewegung in Oesterreich, bekannt; von dem Inhalte der übrigen Kuverts habe sie keine Kenntnis erlangt. Durch die im Gegenstande durchgeführten Erhebungen wurde jedoch festgestellt, dass der Beschuldigten der Inhalt sämtlicher Kuverts bekannt geworden sein muss. So ergab die Vergleichung der Handschrift der Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld mit den Notizen auf der Innenseite der Kuverts, dass die Notizen von der Hand der Dr. Jahoda-Lazarsfeld stammen. In einem Kuvert, das an der Innenseite die Bezeichnung »Broschüren« trägt, war nebst mehreren in der Zeit von Juli 1935 bis zum September 1936 erschienenen revolutionär-sozialistischen, die Entwicklung und die Politik dieser Partei behandelnden Broschüren auch eine 14 Seiten umfassende Schrift, in der die grundsätzliche Stellungnahme des Zentralkomitees der Revolutionären Sozialisten und der sozialistischen Oppositionsgruppe in den genossenschaftlichen Organisationen Oesterreichs dargelegt wird, enthalten. Diese Schrift wurde auf der in den Räumen der mehrerwähnten Arbeitsgemeinschaft beschlagnahmten Schreibmaschine Type Underwood Nummer 187.460 geschrieben. In einem anderen Kuvert, das ein mit »Wo stehen wir?« betiteltes, mit Maschine geschriebenes Manuskript und ein Exemplar der illegalen Korrespondenz »Gewerkschaftliche Information«1 Nummer 46 vom 21. November 1936 enthielt, war auch ein mit der vorangeführten Schreibmaschine geschriebener Bericht über das Ergebnis von im Oktober bis November 1936 in verschiedenen Betrieben in Wien, Schwechat2 und Graz durchgeführten Vertrauensmännerwahlen, sowie ein mit stenographischen Notizen versehener Papierstreifen verwahrt, der einen Teil einer in der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der österreichischen wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle verwendeten Drucksorte bildete. Nach dem Ergebnisse der über die Herkunft der erwähnten Schreibmaschine durchgeführten Erhebungen hat Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld dieselbe am 7. Oktober 1936 von der Firma Lauterbach u. Co., in Wien, I., Wollzeile No. 17, selbst gemietet. Das vorerwähnte, mit »Wo stehen wir?« betitelte Manuskript wurde, wie die Erhebungen ergaben, von dem beschäftigungslosen Industrieangestellten Fritz Keller, in Wien, XIX., Heiligenstädterstrasse No. 11/IX. Stiege wohnhaft, in der zweiten Hälfte des Monates November 1936 verfasst und auf einer Schreibmaschine Marke Oliver geschrieben. Fritz Keller wurde noch vor der Feststellung des oben erwähnten Sachverhaltes bereits am 5. Dezember 1936 im Zusammenhange mit Erhebungen über ein in Wien, I., Fleischmarkt No. 18/II. Stiege untergebrachtes, von Elisabeth Henriette Zerner,3 geb[orene] Lazarsfeld, in Wien, I., Seilergasse No. 16 wohnhaft, geführtes Vervielfältigungsbüro in diesem Büro zur Ausweisleistung verhalten und perlustriert, jedoch auf freiem Fuss belassen, da damals ein Nachweis einer strafbaren Handlung nicht zu erbringen war. Bei der aus diesem Anlasse am 7. Dezember 1936 im Unterstande des Genannten vorgenommenen Hausdurchsuchung wurden mehrere Durchschreibblätter gefunden und beschlagnahmt, die wie nach der Eröffnung des von Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld gemieteten Safes festgestellt wurde, bei der Anfertigung der erwähnten Schrift »Wo stehen wir?« Verwendung gefunden hatten. Die Vergleichung der Schrift der im Unterstande des Fritz Keller befindlichen Schreibmaschine Marke Underwood Nummer 687.791 mit hier erliegenden revolutionär-sozialistischen Schriften ergab, dass die Schreibmaschine zur Herstellung der Korrespondenz »Informationsdienst der Revolutionären Sozialisten«4 vom 24. Dezember 1935 verwendet worden war. Fritz Keller wurde nunmehr am 17. Dezember 1936 festgenommen. Er gab bei den wiederholten Einvernahmen an, dass er den Aufsatz »Wo stehen wir?« im November 1936 auf Aufforderung eines ihm bekannten ehemaligen sozialdemokratischen Funktionärs, den zu nennen er sich weigerte, auf einer Schreibmaschine Marke Oliver geschrieben und sodann dem erwähnten Funktionär übergeben habe. In dem Bewusstein, eine illegale Schrift angefertigt zu haben, habe er aus Sorge vor Entdeckung durch Schriftvergleichung die Oliver-Schreibmaschine dem erwähnten ehemaligen Funktionär übergeben und von diesem hiefür die in seinem Besitze gefundene Schreibmaschine Marke Underwood übernommen. Mit der Anfertigung des: »Informationsdienstes der Revolutionären Sozialisten« vom 24. Dezember 1935 habe er nichts zu tun gehabt. Durch die weiteren, gegen die in der hieramtlichen Note vom 29. Dezember 1936 genannten Personen Agraringenieur Friedrich Jahnel und Marie Schneider durchgeführten Erhebungen konnte neues belastendes Material nicht gefunden werden, doch ist nach dem bereits früher erwähnten Erhebungsergebnisse mit Grund anzunehmen, dass Ing. Jahnel in der Organisation der Revolutionären Sozialisten mitgearbeitet hat. Er gehörte nach seinen eigenen Angaben seit dem Jahre 1922 bis zum Verbote der sozialdemokratischen Parteitätigkeit dieser Partei als Mitglied an und hielt auch einigemale Vorträge im Rahmen der sozialdemokratischen Bildungszentrale<05_Sozialistische_Bildungszentrale>. Im Jahre 1924 wurde er zum Schriftführer des Fachvereines der sozialistischen Studenten und Akademiker an der Hochschule für Bodenkultur gewählt. Er war auch Mitglied des Republikanischen Schutzbundes.5 Im Jahre 1933 fungierte er als verantwortlicher Redakteur der sozialistischen Zeitschrift »Jugendruf«. Er gab an, dass er Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld ungefähr seit dem Jahre 1924 oder 1925 kenne und mit ihr bis in die letzte Zeit, allerdings, wie er behauptete nur gesellschaftlich in Verbindung gestanden sei. Als Indiz dafür, dass die Beziehungen des Ing. Fritz Jahnel zu Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld in Wirklichkeit nicht rein gesellschaftlicher, sondern politischer Natur waren, kann aber der Inhalt eines Briefes gewertet werden, der am 14. Dezember 1936 von einer Person, die sich mit dem Buchstaben »O« unterzeichnete, an Ing. Jahnel gesendet wurde und in dem der Briefschreiber angibt, dass Ing. Jahnel über eine gemeinsame Bekannte »M« (d.i. nach der Aussage des Ing. Jahnel Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld) Bescheid wisse. Aus der in dem Briefe zum Ausdruck gebrachten Unterscheidung zwischen »sachlicher Sympathie« und »persönlicher Freundschaft« ist zu entnehmen, dass sowohl der Verfasser des Briefes als auch der Adressat Ing. Jahnel um die politische Betätigung der Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld wissen mussten. Die Vermeidung der Unterfertigung des Schreibens mit dem vollen Namen und der Angabe des Absenders auf dem Briefumschlage entsprechen der im Kreise illegaler Parteigänger allgemein angewendeten Vorsicht. Der Absender dürfte nach der Aussage des Ing. Jahnel entweder mit Dr. Otto Neurath, dermalen in Holland oder im Deutschen Reiche im Aufenthalte, oder mit Oskar Umrath,6 in Berlin wohnhaft, identisch sein. Dr. Otto Neurath, Schriftsteller, zuletzt in Wien, XII., Gaudenzdorfergürtel No. 15 wohnhaft gewesen, bekleidete im Jahre 1919, und zwar zur Zeit der Räteherrschaft, in München die Stelle eines Präsidenten des bayrischen Zentralwirtschaftskomitees und wurde nach dem Sturze der kommunistischen Regierung Bayerns vom Standgerichte in München wegen Beihilfe zum Verbrechen des Hochverrates zu 1 Jahre und 6 Monaten Festungshaft verurteilt, sowie aus Bayern ausgewiesen. Er leitete im Jahre 1921 in Wien das »Forschungsinstitut für Gemeinwirtschaft«7 und im Jahre 1926 das »Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in Wien«. Im Jahre 1934 begab er sich nach Holland, von wo er bisher nach Oesterreich nicht zurückgekehrt ist. Oskar Umrath hielt sich zuletzt in den Jahren 1933 und 1934 als Student in Wien auf und wurde am 16. Juli 1934 als nach Berlin verreist abgemeldet. Er soll damals marxistischen Kreisen nahegestanden sein. Von besonderer Bedeutung erscheint, dass Ing. Jahnel am 27. November 1936 in dem Augenblicke angehalten wurde, als er eben die Räume der wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle aufsuchen wollte, um sich, wie er angab, zu Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld zu begeben, und dass in einer in dem von Ing. Jahnel benützten Zeichensaale des »Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums« befindlichen kleinen Kammer ebendieselben revolutionär-sozialistischen Druckschriften verborgen waren, wie sie im Besitze der Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld gefunden wurden. Ueberdies wurde durch Schriftvergleichung festgestellt, dass mittels der in dem erwähnten Zeichensaale befindlichen Schreibmaschine Marke Remington Kuverts, in denen im September 1936 propagandistische Briefe der Revolutionären Sozialisten staatsfeindlichen Inhaltes zur Versendung gelangten, adressiert und die Ueberschrift auf diese Briefe gesetzt wurden. Die hiezu verwendeten Kuverts sind nach dem Ergebnisse der Vergleichung der Papiersorten gleich denen, die in dem Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum vorrätig waren. Nach allen Inzichten kann die Beschriftung der ausgesendeten propagandistischen Briefe, beziehungsweise der hiezu verwendeten Kuverts nur von Ing. Friedrich Jahnel selbst oder mit dessen Beihilfe durchgeführt worden sein. Auch Marie Schneider war für die Revolutionären Sozialisten tätig. Anlässlich der am 28. November 1936 an dem Arbeitsorte des Ing. Friedrich Jahnel vorgenommenen Durchsuchung wurden in ihrem Besitze 25 Spendenmarken der Unterstützungsaktion der sozialistischen Arbeiter-Hilfe »Weihnachten im Kerker«, wie solche nach den der Bundespolizeidirektion zugekommenen Informationen und nach dem Inhalte revolutionär-sozialistischer Druckschriften im November 1936 seitens der »Sozialistischen Arbeiter-Hilfe«, d.i. der Unterstützungsorganisation der Revolutionären Sozialisten, an verlässliche revolutionär-sozialistische Parteigänger behufs Vertriebes zur Verteilung gelangten, gefunden und beschlagnahmt. Diese Marken will Marie Schneider am 27. November 1936 in einem Stückchen Papier eingeschlagen von einem ihr angeblich nur mit dem Namen »Franzl« bekannten jungen Manne übernommen haben, ohne dass sie von dem Inhalte des Stückchen Papiers Kenntnis erlangt hätte. Durch die Erhebungen wurde weiters festgestellt, dass Marie Schneider Poststücke, die für »Franzl«, beziehungsweise für einen angeblichen Freund desselben bestimmt waren, und deren Absender nicht eruiert werden konnte, an ihre Wohnadresse senden liess und dem angeblichen Franzl übergab. Dieses Verhalten entspricht, wie der Bundespolizeidirektion aus anderen Amtshandlungen bekannt ist, der Tätigkeit des Inhabers einer sogenannten Poststelle der Revolutionären Sozialisten. Bei Beurteilung des erwähnten Verhaltens ist insbesondere auch darauf Bedacht zu nehmen, dass »Franzl« als Uebergeber der vorerwähnten Unterstützungsmarken ein aktiv tätiger revolutionär-sozialistischer Parteigänger sein muss. Die Verantwortung der Marie Schneider, dass sie von dem Inhalte des Stückchen Papiers und von dem illegalen Charakter der übernommenen und weitergegebenen Briefe keine Kenntnis gehabt habe, erscheint mit Rücksicht auf die langjährige aktive Tätigkeit im Rahmen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Oesterreichs ebenso unglaubwürdig, wie ihre Behauptung, dass ihr über »Franzl«, den sie nach ihren eigenen Angaben seit Jahren kenne, Näheres nicht bekannt sei. In diesem Zusammenhange sei bemerkt, dass der Kustos des Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums in Wien namens Josef Jodlbauer,8 in Wien, X., Birkenhof No. 13 wohnhaft, im Zuge einer vom Bezirkspolizeikommissariate Favoriten gegen den Vertreter Franz Schubert, in Wien, X., Dampfgasse No. 10 wohnhaft, und den Wagnergehilfen Heinrich Makowitsch, in Wien X., Rotenhofgasse No. 2a wohnhaft, wegen Herstellung und Vertriebes revolutionär-sozialistischer Druckschriften, sowie gegen den Schlossergehilfen Paul Grabatsch, in Wien XII., Schönbrunnerstrasse No. 170 wohnhaft, wegen Vertriebes von Spendenmarken durchgeführten Amtshandlung festgenommen wurde, da er an der redaktionellen Zusammenstellung von Artikeln, beziehungsweise Abhandlungen, die in der Zeitschrift der Revolutionären Sozialisten »Der Ruf« veröffentlicht wurden, mitgearbeitet hat. Josef Jodlbauer wurde deshalb vom Bezirkspolizeikommissariate Favoriten am 4. Jänner 1937 wegen Uebertretung des § 1 der Verordnung der Bundesregierung vom 12. Februar 1934, B[undes]G[esetz]Bl[att] No. 78, mit 6 Monaten Arrestes bestraft und überdies der Staatsanwaltschaft Wien I wegen Verdachtes gemäss §§ 58c, 65, 300, 305 und 308 St[raf]G[esetzes] und gemäss § 4 St[aats]Sch[utz]G[esetzes] zur Anzeige gebracht. Das bezügliche Verfahren ist bei der Staatsanwaltschaft Wien I unter der Zahl 1 St. 80/37, beziehungsweise beim Landesgerichte für Strafsachen Wien I unter der Zahl 26 Vr 612/37 anhängig. Weiters wird darauf aufmerksam gemacht, dass unter Einem eine gesonderte Anzeige gegen die in der Liste der Rechercheure der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle verzeichnete Anny Feuermann, Kontoristin, in Wien, I., Salzgries Nr. 12 wohnhaft, wegen Verdachtes des Verbrechens gemäss § 5 St[aats]Sch[utz]G[esetzes] an die Staatsanwaltschaft Wien I erstattet wird. Anny Feuermann wurde am 25. November 1936 wegen Bedenklichkeit zur Ausweisleistung festgenommen. In ihrem Besitze fanden sich 8 Spendenmarken der Sozialistischen Arbeiter-Hilfe. Anny Feuermann wurde mittels Bescheid des Herrn Polizeipräsidenten9 auf die Dauer von 3 Monaten zum Aufenthalte in einem bestimmten Orte oder Gebiete verhalten, jedoch nach Abgabe einer Loyalitätserklärung am 22. Februar 1937 wieder aus dem polizeilichen Gewahrsam entlassen. Ueberdies wurde gegen sie ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Betätigung im Sinne der Sozialdemokratischen Partei eingeleitet. Nach dem vorgeschilderten Sachverhalte war Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld in der Organisation der Revolutionären Sozialisten, somit in einer Verbindung, deren Zweck es ist, auf ungesetzliche Weise die Selbständigkeit, die verfassungsmässig festgestellte Staats- oder Regierungsform oder verfassungsmässige Einrichtungen Oesterreichs zu erschüttern, deren Tätigkeit aber auch darauf gerichtet ist, eine Empörung im Innern herbeizuführen, an leitender Stelle tätig und haben Fritz Keller, Ing. Friedrich Jahnel und Marie Schneider an einer derartigen Verbindung teilgenommen und sie unterstützt. Durch die gegen die übrigen, in der hieramtlichen Note vom 29. Dezember 1936 genannten Personen durchgeführten Erhebungen konnte der Nachweis einer strafbaren Handlung nicht erbracht werden. Nach Klarstellung des Sachverhaltes wurden die Räume der Arbeitsgemeinschaft der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle im Hause I., Wächtergasse Nr. 1, welche beim Einschreiten gesperrt worden waren, über Ersuchen der inzwischen neubestellten Leitung der in Rede stehenden Forschungsstelle, der Frau Ilse Bachrach, Rechtsanwaltsgattin, Wien, II., Böcklinstrasse 112. wohnhaft, und des Dr. Hermann Marie Spitzer mit dem ständigen Wohnsitz in Paris, zur Benützung wieder freigegeben. Auf Grund des vorangeführten Erhebungsergebnisses beehrt sich die Bundespolizeidirektion im Nachhange zu der am 29. Dezember 1936 gegen Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld wegen Verdachtes des Verbrechens gemäss § 58b, c, St[raf]G[esetzes] und §§ 4 und 5 St[aats]Sch[utz]G[esetzes] erstatteten Anzeige auch gegen Fritz Keller, Ing. Friedrich Jahnel und Marie Schneider die Anzeige wegen Verdachtes des Verbrechens gemäss § 58b, c, St[raf]G[esetzes] und § 4, beziehungsweise § 5 St[aats]Sch[utz]G[esetzes] mit dem Beifügen zu erstatten, dass Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld, Fritz Keller, Ing. Friedrich Jahnel und Marie Schneider unter Einem dem Gefangenhause des Landesgerichtes für Strafsachen Wien I eingeliefert werden. Die Genannten werden überdies wegen der durch ihre Handlungen begangenen Verwaltungsübertretungen polizeilich bestraft. Um Rückstellung derselben nach Beendigung des Strafverfahrens behufs Vollzuges der restlichen Verwaltungsstrafen wird ersucht. Die über die gesetzliche Haftfrist hinausgehende Verwahrung der Obgenannten gründet sich auf die Bestimmungen des § 1 des Bundesgesetzes vom 24. September 1934, B[undes]G[esetz]Bl[att] II No. 253/34 (Anhaltegesetz). Die gerichtliche Untersuchungshaft beginnt mit dem Zeitpunkte der Einlieferung in das landesgerichtliche Gefangenhaus. Eine Abschrift des im Gegenstande aufgelaufenen polizeilichen Erhebungsaktes wird angeschlossen. Die im Zuge der Amtshandlung beschlagnahmten Gegenstände werden, soweit sie für das gerichtliche Verfahren von Bedeutung sind, der Verwahrungsstelle des Landesgerichtes für Strafsachen Wien I übersendet. Diese Gegenstände die von Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld von der Firma Lauterbach u. Co. entliehene Schreibmaschine Marke Underwood, Modell 5, Nummer 187.460 ausgenommen, wurden im polizeilichen Strafverfahren für verfallen erklärt. Die Underwood-Schreibmaschine Nummer 187.460 wurde lediglich behufs Ermöglichung einer Schriftvergleichung durch den gerichtlichen Sachverständigen vorläufig in Beschlag genommen. Die in der hierämtlichen Note vom 29. Dezember 1938 erwähnte, von Ing. Friedrich Jahnel benützte Schreibmaschine Marke Remington, Modell 5, Nummer LC 62.751, die in den Räumen des Gesellschaft- und Wirtschaftsmuseums in Wien gefunden wurde, wurde nach Sicherstellung dortselbst belassen. [Unterschrift unleserlich] Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Wien, Landesgericht für Strafsachen Wien, Vr 10981/36.
1 Gewerkschaftliche
Information (Wien), 1.–4. Jg. (1935–1938).
Anmerkung Reinhard Müller.
2 Schwechat:
Stadt in Niederösterreich nahe Wien. Anmerkung
Reinhard Müller.
3 Elisabeth
Henriette Lazarsfeld (Wien 1903 – Paris 1983), seit 1925 mit
dem Physiker Fritz
Zerner
(1895–1951) verheiratet, Inhaberin eines
Vervielfältigungsbüros, später Übersetzerin,
Schwester von Paul
Felix Lazarsfeld
(1901–1976). Anmerkung
Reinhard Müller.
4 Informationsdienst
der Revolutionären Sozialisten [Wien], [1.–2.] Jg.
(1936–1937); illegales Organ der »Revolutionären
Sozialisten Österreichs«.
Anmerkung Reinhard Müller.
5 Republikanischer
Schutzbund: paramilitärische Organisation der
»Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs«,
die 1924 zur Verteidigung der demokratischen Republik gegründet
worden war; obwohl am 31. März 1933 vom Ständestaat-Regime
verboten, erhielten sich große Teile des »Republikanischen
Schutzbundes«, teils halblegal, teils im Untergrund, und
trugen auf Seite der Arbeiter die Hauptlast der Kämpfe im
Februar 1934 zur Verteidigung der Demokratie. Anmerkung
Reinhard Müller.
6 Oskar
Umrath (Chemnitz, Sachsen 1913 – Berlin 1943): Jurist und
Publizist, sozialdemokratischer Widerstandskämpfer; schon früh
Mitglied der »Sozialdemokratischen Partei Deutschlands«
(SPD), wurde er im November 1938 wegen Betätigung gegen das
nationalsozialistische Regime verhaftet und im September 1939 vom
Volksgerichtshof zu einer langjährigen Zuchthausstrafe
verurteilt; er verstarb im Haftkrankenhaus. Anmerkung
Reinhard Müller.
7 Forschungsinstitut
für Gemeinwirtschaft: Wiener Verein zur Erforschung
gemeinwirtschaftlicher Fragen, insbesondere des Siedlungswesens;
Otto
Neurath
(1882–1945) war nämlich seit 1920 auch Generalsekretär
des »Verbandes für Siedlungs- und Kleingartenwesens«
und begründete 1923 das »Museum für Siedlung und
Städtebau«, aus welchem sich das »Gesellschafts-
und Wirtschaftsmuseum in Wien« entwickelte. Anmerkung
Reinhard Müller.
8 Josef
Jodlbauer (Wien 1877 – Wien 1960): sozialdemokratischer
Parteifunktionär, der 1910 bis 1923 in den USA lebte; Deckname
als Revolutionärer Sozialist: Stier.
Anmerkung Reinhard Müller.
9 D.i.
Michael Skubl (Bleiburg, Kärnten 1877 –
Wien 1964): Verwaltungsbeamter; 1933 bis 1934 Polizei-Vizepräsident
von Wien und seit 1934 Generalinspizierender des österreichischen
Bundespolizeibehörden und Polizeipräsident; 1937 bis 1938
Staatssekretär für die Angelegenheiten der öffentlichen
Sicherheit. Anmerkung
Reinhard
Müller.
© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006 |
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