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Schreiben des Bundeskanzleramts, Auswärtige Angelegenheiten, an den Bundesminister Adolf Pilz1 Wien, am 25. Mai 1937 Bundeskanzleramt Auswärtige Angelegenheiten Zl. 39.578-13 Information über Frau Dr. Jahoda-Lazarsfeld.Dringend. An das Bundesministerium für Justiz, Wien.Wien, am 25. Mai 1937. Laut Informationen des Staatspolizeilichen Bureaus der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit wurde am 27. November 1936 auf Grund von vertraulichen Mitteilungen in den Räumen der sogenannten »Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der österreichischen wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle«, Wien, I., Wächtergasse Nr. 1, als deren wissenschaftliche Leiterin die Psychologin Dr. Maria [!] Jahoda-Lazarsfeld (27. Jänner 1907 Wien geboren und zuständig, konfessionslos, getrennt) Wien, XIX., Döblinger Hauptstrasse Nr. 60 wohnhaft, fungierte, eine Durchsuchung vorgenommen, deren Ergebnis belastendes Material über die revolutionär-sozialistische Tätigkeit der genannten Dr. Maria [!] Jahoda-Lazarsfeld zutage förderte. Dr. Maria [!] Jahoda-Lazarsfeld und eine grosse Anzahl von illegalen revolutionär-sozialistischen und kommunistischen Mitarbeitern wurden den Mitteilungen des Staatspolizeilichen Bureaus zufolge verhaftet, gegen sie die Anzeige wegen Verdachtes des Verbrechens des § 58b,c St[raf]G[esetzes] und §§ 4 und 5 des Staatsschutzgesetzes erhoben und die Genannten dem Landesgericht für Strafsachen in Wien, I., eingeliefert.Dem Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, sind in vorstehendem Gegenstande bereits seit einigen Monaten wiederholt Eingaben links gerichteter ausländischer Organisationen im Sinne der Freilassung der Dr. Maria [!] Jahoda-Lazarsfeld bez[iehungs]w[eise] der Niederschlagung des Strafverfahrens zugegangen. Diese Eingaben sind selbstverständlich einer meritorischen Behandlung hierseits nicht unterzogen worden. Nun wurde der Herr Staatssekretär für die Auswärtigen Angelegenheiten2 anlässlich seines jüngsten Aufenthaltes in London und in Paris mehrfach in Eingaben sowie auch mündlich mit der Angelegenheit befasst und ersucht, auf eine möglichste Beschleunigung des gegen die Mehrgenannte eingeleiteten Strafverfahrens hinzuwirken. Hiebei wurde sowohl von engl[ischen] wie von franz[ösischen] Intervenienten angedeutet, dass von Links-Kreisen in England und Frankreich bereits für die künftige Unterbringung der Dr. Maria [!] Jahoda-Lazarsfeld in einer ihr zusagenden Stellung Vorsorge getroffen worden sein. Mit Rücksicht auf das von anscheinend ziemlich weiten, wenn auch links gerichteten und daher Oesterreich wenig günstig eingestellten Kreisen wiederholt bekundete Interesse an diesem Straffall, beehrt sich das Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, das Bundesministerium für Justiz um eine ehegefällige Auskunft über den gegenwärtigen Stand der Angelegenheit zu bitten und anzuregen, nach Tunlichkeit für eine baldige Erhebung der Anklage und Anberaumung des Strafverfahrens Sorge tragen zu wollen. Einer ehegefälligen Rückäusserung darf das Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, mit verbindendem Dank im Voraus entgegensehen. Für den Staatssekretär: [Unterschrift unleserlich] Quelle: Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Nachlass Marie Jahoda, Signatur 41/7.1.1, pag. 121–122. © Copyright Anfragen an das Archiv
1 Adolf
Pilz (Wien 1877 – Wien 1947): Jurist und christlichsozialer
Politiker; November 1936 bis Februar 1938 Justizminister. Anmerkung
Reinhard Müller.
2 D.i.
Guido Schmidt (Bludenz, Vorarlberg 1901 – Wien 1957): Diplomat
und Politiker; seit Mai 1936 Staatssekretär für Auswärtige
Angelegenheiten; Februar bis März 1938 Außenminister;
1945 bis 1947 wegen seiner umstrittenen Haltung in der
österreichischen Außenpolitik der Jahre 1936 bis 1938 in
Haft, 1947 vor einem Wiener Volksgerichtshof des Hochverrats
angeklagt, aber mangels an Beweisen freigesprochen.
Anmerkung Reinhard Müller.
© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006 |
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