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Johann
Blaek
Brief an Marie Jahoda
Wien, am 10. September 1949
10/IX.1949
Liebe Frau
Doktorin!
Herzlichen
Dank sowie Gruß für ihren Brief, soweit kann ich ihnen
schreiben das ich ihren Rat nicht mehr verwehrten kann da ich schon
krank bin und mich mehr mit Jehnseitz befasse wie mit Leben. Ich
habe den Krieg und die schwere Zeit überlebt aber die Folgen
sind jetzt sind
fürchterlich für mich. Und das ich es alles überlebte
ist nur ihnen zu danken den ihre Worten ihn den Briefen die sie mir
geschrieben haben von England nach Stein,1
kann ich ihnen heute aufsagen so nahm ich sie auf und verdauhte sie
nach meinen eigen Prinzibien, ich hatte von [...2]
hätte ich nicht an 105. Ausgrabungen von Blintgänger
Bomben und viele Brandbomben mitgewirkt, sondern hätte die
erste benützt um ihn die Luft zu fliegen samd mir. Aber ich der
kleine Sohn dachte gehst zum Himmelfahrtkommando wirst dich nützlich
zeigen, somit hast nach dem Kriege das Recht zu leben, dan komst
nach Wien suchst die Frau Doktorin mit Hern Doktor [Edward]
Jahoda
auf, die werden dir schon eine Arbeit verschaffen die ich leisten
werde können mit meinen Leiden, da ich glaubte das sie als
politisch verfolgte mit den Anhang aus den Jahre 1936.
Elisabeth-Promenate3
zurückkomt und auch das Recht haben werdet einen armen Menschen
der sein ganzes Leben hindurch geschlagen wurde einen
Nachtwächterposten oder sonst was zu geben, den ich dachte ihre
Worten die sie mir einst geschrieben haben von Vertrauen, ich will
das die Menschen zu mir Vertrauen haben und gehe Einbrechen, sehen
sie die ganze Welt hat gekämpft um das Recht! Also Vertrauen
einer zum andern der großen Hern den Politikern und wo sind
wihr mit den ganzen wollen ihn einer Sackgasse, ich weiß auch
bestimt das sich die Mehrheit durch setzen wird, aber wahn? Also sie
sollen nur ersehen aus meinen dießen schreiben das ich ihmer
derselbe bin der Hilfe brauchte!
Ich
wurde ihn Jahre 1940 nach Deutschland geschickt von Stein nach
Saarbrücken4
wahrscheinlich der Vernichtung endgegen von dießen Herren die
ihm Landesgericht I am Galgen zu grunde gingen – wie sie
sehen alles durchgelebt, ich wiell kein Mitleid ihn ihnen erwecken
darum wiell ich schweigen was wehr ist weg und jeder soll schauen
das es nicht mehr komt. Am 4. Mai 1945 wurden wir durch die Russen
ihn Sachsen befreit ich bin schon gelegen mit Deutsche und Čechen
schwer krank ich hatte 45. k[ilo]g[gramm] und zu allen Wassersucht,
Fieber, Typhus, am 6. Mai haben wir Waldheim Sachsen5
Čechischer K.Z. Transport verlassen und am 8. Mai Prag erreicht
ich wurde sofort an [...6]
ich jetzt nach Wien ich muß nach Österreich da ich Wiener
bin und fuhr Prag – Preßburg7
– Stadlau,8
ihn Stadlau müssen wir aussteigen da der Zug nicht weiter fuhr,
Elektrische9
auch nicht da die Brücken über Donau gesprengt wahren, ach
jetzt heißt es gehen und ich wahr noch schwach, ich setzte
mich auf einen Raßen wo viele Mitreißende wahren und
dachte nach wohin jetzt ich habe ja niemand ihn Wien als ich mich
endschloßen habe in Innern der Stadt zu reißen bemerkde
ich das mir jemand meinen Handkoffer mit allen Gestohlen wurde auch
ihre Briefe, wissen sie wie mir wahr? Kein Essen, kein Mediekamend,
keine Wäsche außer Geld ihn der Tasche, und so kam ich
endlich ihn 3. B[e]z[irk] mit wenig Dokumenten einen Sack mit Decken
u[nd] s[o] w[eiter] und jetzt komt das Suchen nach Hern D[okto]r
[d.i. Edward Jahoda]. Rechte-Bahngasse10
leider die gute Hausmeisterin sagte mir oh der Herr D[okto]r ist
über Wasser geflohen wohin weiß ich nicht. Erste
Endteuschung, dan kam ich als kranker K.Z. nach Wilhelminer Schloß11
da sich mein Leiden mehldete, dorten hätte ich Vermögen
stehlen kennen wen ich das währe zu was mich das Gericht macht.
Zu essen wahr genug hier und so habe ich was übrig blieb alten
Leuten geschenckt da mir Erbsen und Brot ihn Wien Hauptnarung wahr
soweit habe ich das Vertrauen zu die Leute gehabt und umgekehrt. 2.
Enteuschung, eine alte Frau hat mich nach Cechien12
geschieckt wegen Lebensmitteln ich habe ihr gebracht und auch sie
auf Bitte der Schwestern nach Cechien geführt damit sie sich
erholt und dann wahr sie vermögend sie hat mir ihre Wohnung
überlassen mit allen den ich ihn Wien wahr, aber sie hatte eine
Tochter welche 4. Kindern hatte klein aber dafür einen Mann
Nazie und sie wahr noch schlechter die haben in der Kranzgasse eine
verlassene Wohnung weil sie auf Bitte ihrer Mutter ihnen die Wohnung
gerettet dafür als sie zurückkammen mich Anzeigten das
ihnen ein Staubsauger fehlt und andere Kleinichkeiten die Wohnung
wahr leer ein Jahr. Aber es wahr etwas anderes dahinden und so mußte
ich 11. Monate sitzen, wo der Herr Dr. Ernst Jahoda13
sich meiner annahm und ich bekam 10. Monate und 11. Untersuchung. Ja
weil ich bestraft bin. Nach der Strafe kamm ich ihn 2. B[e]z[irk] zu
einem Bekanden aufs Kabinet,14
Es wahr ein Besuch so schlagte die Frau und fünf kleine Kinder,
er wollte sich scheiden lassen und auf einmal bekam er 8. Monate
jetz steht die arme Frau da mit die Kinder das älteste 10.
Jahre das jüngste 1. Jahr glauben sie das ich sie verlassen
habe nein ich sorgte um uns alle und wir hatte kein Junger
selbstverständlich hat dießes Weib mir die größte
anständichkeit gebracht, und ich wähle sie als
Lebensgefährtin als er zurückkam sagte ich ihms for ihr
dan kam die Scheidung aber leider wir haben vergessen das die
Wohnung auf sie geschrieben wird und somit er das Recht hatte ihn
der Wohnung zu bleiben. In Jahre 1947 machte er auf uns einen
Mordversuch, selbstverständlich haben wir keine Anzeige gemacht
weil er schwere Strafe bekam und das mache ich meine größten
Feinde nicht. und das rächte sich bitter meine Gutheit was wir
mitmachten durch ihn kann ich ihnen nicht schreiben da ich wenig
Platz habe auf jeden Fall sagte er mir am 4. April Abends Hans wen
ich einige huntert Schilling hätte möchte ich zu einer
Frau ziehen aber ohne Geld wie schaut es aus? Was soll ich machen
ich kann es nicht zuschauen das sie und die Kinder ihn Angst leben
es muß was geschehen, die Fürsorgedame wahr auch uns und
hat befürchtet eine Katastrophe hat mich ersucht als
Vernünftigen Menschen ein Ende zu schaffen sonst muß sie
Kinder wegnehmen mit den hat meine Lebensgefährtin einen Anfall
bekommen ihn Angst um ihre Kinder, und soweit bin ich mit ihm
gegangen und ein Ferkel, 2. Enten, 3. Kaninchen gestohlen für
das hatten wir 400. Sch[illing] bekommen leider wir sind verhaftet
worden und ich bekam dafür 5. Jahre und Arbeitshaus er 2. Jahre
als kranker Mensch Angina pektoris15
und Lungen Astmah, Nichtigkeit abgewießen und Berufung aber
ich bin doch Haftunfähig laut Gesetz was mit mir geschiet weis
ich noch nicht selbverständlich brauche ich eine gute
Verteidiger aber ich bin arm und meine arme Frau kann von den
Verdienst mir außer Brot und bissel Obst, nicht helfen, Hunger
ist hier genug und da kann ich alles nicht Essen, also jetzt sehen
sie wie ich arm bin hätten wir andere Wohnung wehr es mir nicht
passiert jetzt ist sie mit mir gestraft, und sie denkt als junge
Frau mit 36. Jahren an das was ich, Ende! Die Kinder lieben mich die
Frau auch was soll ich machen, was ich eingespert bin ist nicht ein
Tag wo ich das Elend nicht beweisen wofür ich mich nicht
schähmen brauch aber ich richte mich dadurch selber den mein
Herz ist gebrochen ich sehe sehr schlecht schon und kann mir keine
Gläßer16
kaufen. Ich schreibe es ihnen Frau D[okto]r da ich weiß sie
verstehen mich der einzige Mensch. Sie wissen andere Leute lachen
den sie kennen den Schmerz nicht! Bitte ich habe das versprochene
Packet nicht bekommen und wen es ihnen Unannehmlichkeit macht so
bitte es unterlaßen! Erlaubt ist es! Bitte mir den Hern Doktor
[d.i. Edward Jahoda] grüßen lassen und ihnen besonderen
Dank für jede Zeilen die sie mir schreiben. Blaek Johann X.
B[e]z[irk] Hartmuthgasse17
42. Gefangenhaus Filiale Landesgericht I. Zelle 58.
Leben sie Wohl! sie gute.
Quelle:
Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich,
Nachlass Marie Jahoda, Signatur 41/1, »Blaek, Johann«,
pag. 1–2.
Der Brief, der hier mit seiner
eigenwilligen Rechtschreibung – ohne die ansonsten
üblichen [!] bei Falschschreibungen – wiedergegeben
wird, wurde eigentlich an Edward
Jahoda (1903–1980) geschickt, der ihn
an seine Schwester weiterleitete.
©
Copyright Anfragen an das Archiv<00_00_01>
1 Stein:
Strafvollzugsanstalt in Krems (Niederösterreich), berüchtigt,
weil dort Schwerverbrecher und Wiederholungstäter inhaftiert
sind, aber auch – zu Zeiten der Monarchie, der Ersten Republik
Österreich und des Nationalsozialismus – politische
Gefangene hier untergebracht wurden. Anmerkung
Reinhard Müller.
2 Hier
wurde von der Österreichischen Zensurstelle der Alliierten
Behörde ein Teil des Briefes durch Ausschnitt zensuriert.
Anmerkung
Reinhard Müller.
3 Elisabethpromenade:
Name der 1903 nach Kaiserin Elisabeth von Habsburg-Lothringen
(1837–1898) benannten, 1919 in »Roßauer Lände«
unbenannten Straße in Wien 9., wo sich im Haus Nummer 5–9
das Polizeigebäude befindet, in welchem Marie Jahoda 1936/37
festgehalten worden war. Anmerkung
Reinhard Müller.
4 Saarbrücken:
Hauptstadt des Saarlandes. Das Gefängnis, insbesondere das 1943
errichtete Barackenlager auf der Neuen Bremm (erweitertes
Polizeigefängnis), war vielfach Durchgangslager in verschiedene
Konzentrationslager. Anmerkung
Reinhard Müller.
5 Waldheim:
Stadt in Sachsen mit der größten Haftanstalt Sachsens.
Während des Dritten Reiches waren im Zuchthaus Waldheim vor
allem politische Häftlinge, besonders Deutsche und Tschechen,
untergebracht. Anmerkung
Reinhard Müller.
6 Hier
wurde von der Österreichischen Zensurstelle der Alliierten
Behörde auf der Rückseite ein Teil des Briefes durch
Ausschnitt zensuriert. Anmerkung
Reinhard Müller.
7 Preßburg:
deutscher Name für Bratislava, seit 1993 Hauptstadt der
Slowakischen Republik. Anmerkung
Reinhard Müller.
8 Stadlau:
1904 der Stadt Wien eingemeindeter Vorort, der heute im 22. Bezirk
liegt. Anmerkung
Reinhard Müller.
9 Elektrische:
elektrische Straßenbahn. Anmerkung
Reinhard Müller.
10 Rechte
Bahngasse: Straße in Wien 3. Anmerkung
Reinhard Müller.
11 Gemeint
ist das Wilhelminenspital in Wien 16., Monteartstraße 37.
Anmerkung
Reinhard Müller.
12 Gemeint
ist die Tschechoslowakei. Anmerkung
Reinhard Müller.
13 Ernst
Jahoda: Cousin von Marie Jahoda, Rechtsanwalt in Wien. Anmerkung
Reinhard Müller.
14 Kabinett:
österreichisch für kleines, meist einfenstriges Zimmer.
Anmerkung
Reinhard Müller.
15 Recte
Angina pectoris: anfallartig auftretende Schmerzen hinter dem
Brustbein infolge Erkrankung der Herzkranzgefäße.
Anmerkung
Reinhard Müller.
16 Gläser:
Brillen. Anmerkung
Reinhard Müller.
17 Recte
Hardtmuthgasse. Anmerkung
Reinhard Müller.
©
Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006
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