Kriminalpolizeiliches Vernehmungsprotokoll Marie Jahodas

Wien, am 1. Dezember 1936

Niederschrift


fortgesetzt am 1. Dezember 1936 um 20 Uhr 45 bei der Bund[es] Pol[izei] Di[rekti]on in Wien mit

Maria Lazarsfeld-Jahoda

Nationale im Akt, welche angibt:
Die Gründung des Vereines »Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle« erfolgte meines Wissens im Jahre 19301 durch Professor [Karl] Bühler und Dr. Paul Lazarsfeld. Im Jahre 1933 erstanden Differenzen über die kommerzielle Führung zwischen Professor Bühler und Dr. Paul Lazarsfeld. In der Folge erklärte Professor Bühler, dass er mit dem Vereine nichts mehr zu tun haben wolle. Schliesslich wurde der Verein ungefähr im März 19352 aufgelöst. Daraufhin gründeten Heinrich Faludi, Dr. Gertrude Wagner und ich die Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle. Die Mittel der Aufrechterhaltung dieser Stelle bezogen wir aus den Erträgen von Gutachten, die wir für verschiedene Firmen durchgeführt haben. Ungefähr im Juni 1935 mussten wir finanzielle Hilfe seitens des Ob[er] Baurates Ing. Goldner (Vorname glaublich Arthur) in der Höhe von 2000 S[chilling] in Anspruch nehmen. Ing. Goldner zeigte aber in der Folge wenig Interesse an der Sache, musste jedoch monatlich glaublich 160 S[chilling] von uns als Gehalt oder Ertragsanteil ausbezahlt bekommen, weshalb wir trachteten Ing. Goldner auszuzahlen und finanzielle Unterstützung von anderer Seite zu erlangen. Aus diesen Erwägungen suchte Dr. Paul Lazarsfeld, der seit dem Jahre 1933 in Amerika weilt, ungefähr im September 1935 anlässlich eines Aufenthaltes in Paris (Internationaler Philosophenkongress) das Interesse eines von dem vorerwähnten Kongresse bekannten Dr. Hermann Spitzer für die Forschungsstelle zu erwecken. Im Dezember 1935 fuhr ich nach Paris und sprach in der Angelegenheit mit Dr. Spitzer. In der Folge übersandte ich Dr. Spitzer Arbeiten der Forschungsstelle, um ihn über die Tätigkeit derselben ein Bild zu geben. Im Mai oder Juni 1936 kam Dr. Spitzer nach Wien prüfte die Einrichtungen und die Tätigkeit der Forschungsstelle und erklärte sich sohin bereit, sich an der Forschungsstelle mit einer Einlage von 10.000 S[chilling] gegen eine Gewinnbeteiligung von 25 % zu beteiligen. Um eine Gewähr für die rationelle Führung zu haben, stellte er als Vertragsbedingung auf, dass Dr. Benedikt Kautzky [recte Kautsky; R.M.] als sein Gewährsmann der Arbeitsgemeinschaft beitrete, mitarbeite und mit 25 % am Ertrage beteiligt werde. Dr. Spitzer überwies sohin den Betrag von 10.000 S[chilling] in zwei Raten, und zwar eine im Juli, die zweite im August 1936 auf unser Konto, und zwar glaublich beide Raten auf unser Konto bei der Länderbank. Dr. Kautzky arbeitete dann fallweise in der Arbeitsgemeinschaft mit und nahm auch an unseren sogenannten Leitungssitzungen, die ungefähr alle drei Wochen stattfanden teil. Professor Bühler wusste von der geschilderten Umbildung, insbesonders von der Beteiligung des Dr. Hermann Spitzer, anfänglich nichts, dürfte aber nachträglich von Heinrich Faludi davon in Kenntnis gesetz[t] worden sein. In der Folge und zwar vor ungefähr zwei oder drei Monaten, sprach ich mit der Gattin des Professors Bühler [d.i. Charlotte Bühler] wegen einer alten Schuld der Forschungsstelle an eine Rechercheurin. Vor etwa 4 Wochen bat mich Frau Bühler zu sich um von ihr einen Auftrag betreffend Recherchen über Feigenkaffeeverbrauch entgegenzunehmen. Nach meinem Besuche bei ihr habe ich öfter mit Frau Bühler gesprochen, und zwar einmal in der Forschungsstelle, meist aber in der Wohnung. Auf Grund der letzterwähnten Recherchen wurde seitens Professors Bühlers [!] und dessen Gattin der Plan erhoben, uns weitere Aufträge zukommen zu lassen, doch ist es hiezu bisher nicht gekommen. Vom Vorgeschilderten abgesehen standen Professor Bühler oder dessen Gattin mit uns nicht in Verbindung und zeigten auch kein weiteres Interesse.
Beendet 21 Uhr 15’

V[erstanden,] g[elesen und] g[ezeichnet]

Dr. Mayer m.p. Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld m.p.

Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Wien, Landesgericht für Strafsachen Wien, Vr 10981/36.

1 Recte im Oktober 1931. Anmerkung Reinhard Müller.
2 Recte im Januar 1936. Anmerkung Reinhard Müller.

© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006

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