Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1943
1943
Am 2. Februar 1943 endet die Schlacht um
Stalingrad / Сталинград (heute Volgograd /
Волгоград,
Russland) mit der Niederlage
und Kapitulation der eingekesselten Truppen der Deutschen Wehmacht. Für viele, wohl auch in Gramatneusiedl, wird dies zu einem Wendepunkt in der Haltung gegenüber dem Krieg und dem nationalsozialistischen Terrorregime insgesamt.

1943
Am 18. Februar 1943 hält
Joseph Goebbels (1897–1945), Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, seine berüchtigte Rede im Berliner Sportpalast, in welcher er zum »totalen Krieg« aufruft. In der Folge werden alle verfügbaren Arbeitskräfte,
Männer zwischen 16 und 75 sowie Frauen zwischen 17 und 45, zur Arbeit verpflichtet und Betrieben zugewiesen.

1943
Im Juni 1943 werden im
13. Bezirk (Schwechat) des Groß-Gaus Wien mehrere kommunistische Widerstandsgruppen aufgedeckt. Unter den Verhafteten befinden sich auch Bürger von Gramatneusiedl: Fünf von ihnen werden hingerichtet.
Am 16. Juli 1943 werden der Bauarbeiter
Josef Kníže (1908–1944)
und sein Bruder, der Bauarbeiter
Johann Kníže (1904–1944),
verhaftet, am 12. August 1943 der Bauhilfsarbeiter
Felix Kolář (1887–1944);
sie werden am 20. April 1944
vom Volksgerichtshof wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« zum Tode
verurteilt und
am 21. Juni 1944 im
Landesgericht Wien hingerichtet. Der Maschinenarbeiter
Leopold Hadáček (1914–1944)
wird am 5. Oktober 1943 vom
Volksgerichtshof wegen »Vorbereitung zum Hochverrat und
Feindbegünstigung« zum Tod verurteilt und am
7. Februar 1944 im
Landesgericht Wien hingerichtet.
Am 8. Oktober 1943 werden der
Dreher Wladimir Kubak (1921–1944), der Spinnergehilfe Erich Navratil
(1924–1944), der Weber Oswald Smatlak (1921–1944), der Hilfsarbeiter
Anton Watzek (1924–1944) und der Gramatneusiedler Drehergehilfe Albert
Seifert (1921–1944)
wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« zum Tod verurteilt und am
10. Mai 1944 im Landesgericht
Wien hingerichtet. Albert Seiferts Mutter, die Gramatneusiedlerin
Johanna Seifert (1901–1980), wird kurz nach der Verurteilung ihres Sohnes, am 12. Oktober 1943, festgenommen, weil sie sich »vor mehreren Volksgenossen im kommunistischen Sinne geäußert und überdies auch den Führer geschmäht« habe. An diese fünf Gramatneusiedler Opfer des
organisierten Widerstands erinnert heute eine
Gedenkstätte für die Opfer des Widerstands gegen den Nationalsozialismus auf dem
Friedhof Gramatneusiedl: Leopold Hadáček, Johann und Josef Kníže, Felix Kolář und Albert Seifert.
(
Bild.)

1943
Am 13. August 1943, um 13 Uhr 52, erfolgt der erste Luftangriff der Alliierten auf österreichischem Boden: 61 Langstreckenbomber der 9. US-Luftflotte
bombardieren Wiener Neustadt (Niederösterreich). Die Bevölkerung
Gramatneusiedls kann die Geschwader am Himmel beobachten und hört die
Bombendetonationen sowie das Fliegerabwehrfeuer. ( Denkbuch Moosbrunn.)

1943
Zur Verteidigung des Wiener Luftraumes
stationiert die Deutsche Wehrmacht im September 1943 in Gramatneusiedl eine Flak-Abteilung, deren Bedienungsmannschaft im zwangsgeräumten
Katholischen Vereins- und Kinderheim untergebracht wird.

1943
Am 1. Oktober 1943 ist
in Gramatneusiedl
neuerlich ein Luftangriff der Alliierten auf Wiener Neustadt (Niederösterreich) vernehmbar, ebenso
am 24. Oktober und 2. November 1943. Eine Folge dieser sich seit August 1943 wiederholenden Angriffe der alliierten
Luftwaffe ist die Stilllegung der
1940 erworbenen Weberei und
der 1941 errichteten Schneiderei von
Adolf Ahlers (1899–1968) in Marienthal. Lediglich eine kleine Näherei wird im Heizhaus bis November
1944 weiterbetrieben, wo
ausschließlich Overalls für den »Reichsarbeitsdienst« (RAD.) erzeugt werden.

1943
Bedingt durch die Luftangriffe der Alliierten auf das Hauptwerk der »Wiener
Neustädter Flugzeugwerke Gesellschaft mit beschränkter Haftung«
(WNF) wird seit Herbst 1943 die Produktion der Flugzeugwerke systematisch aus Wiener Neustadt
(Niederösterreich) ausgelagert.
In einem der
»Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl«
gehörenden Trakt des einstigen Spinnereikomplexes der ehemaligen Textilfabrik Marienthal wird im Herbst 1943 ein Depot für Flugzeugbestandteile der »Wiener Neustädter Flugzeugwerke« eingerichtet, welches am 2. April
1945 von Angehörigen der Deutschen Wehrmacht niedergebrannt wird.

1943
Seit 1943 arbeiten französische Krieggefangene
im
Lagerhaus Marienthal der »Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl«.

1943
Im Zuge der Materialsammlungen für die Rüstungsindustrie wird im Oktober 1943 das Kupferdach des Kirchturmes der Kirche Sankt Peter und Paul abmontiert und durch verzinktes Eisenblech ersetzt; auch die Ablaufröhren
und Dacheinfassungen müssen abgeliefert werden. Andererseits kann Kirchenrektor
Georg Grausam (1911–1977) für die Kirche 1943 einen Paramentenkasten aus Eichenholz beschaffen, der vom Gramatneusiedler Tischlermeister Johann
Montag (1899–1960) angefertigt wird. Die Paramente (liturgische Bekleidung) werden renoviert, einige
sogar neu angeschafft. ( Denkbuch Moosbrunn.)

1943
Am 30. Oktober 1943 verabschiedet die
Außenministerkonferenz der Alliierten in Moskau (Москва) die so genannte Moskauer Deklaration, welche später als Geburtsurkunde des neuen Österreich verstanden wird.
Darin wird die Wiederherstellung Österreichs in seinen Grenzen vor dem
»Anschluss« als ein Kriegsziel der Alliierten festgelegt. Es wird aber auch eingefordert, dass Österreicher und Österreicherinnen selbst einen Beitrag zu ihrer Befreiung leisten müssten. Von daher sind der
innerösterreichische
Widerstand gegen Hitler-Deutschland sowie der Beitrag österreichischer Soldaten in den alliierten Armeen von außerordentlicher Bedeutung, ebenso der politische Kampf, den die
österreichischen Exilanten und Exilantinnen in ihren Zufluchtsländern für die Befreiung und Wiederherstellung eines
demokratischen Österreich führen.

1943
Mit 30. Dezember 1943 wird Hanns Blaschke (1896–1971) Bürgermeister von Wien – und damit auch von Gramatneusiedl; er hat dieses Amt bis 6. April
1945 inne
(zum Vorgänger siehe
1940).

© Reinhard Müller
Stand: Juni
2010
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