Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1945
1945
Auch im Januar und Februar 1945 gehen die Luftangriffe der Alliierten
in der
Umgebung Gramatneusiedls weiter, insbesondere am 14., 21. und 31. Januar
sowie am 1., 8., 9. und 13. bis 23. Februar 1945. ( Denkbuch Moosbrunn.)

1945
Im März 1945 gehen die Luftangriffe der Alliierten
in der
Umgebung Gramatneusiedls weiter, insbesondere am 1., 8., 9. und 14. bis
16. März 1945. Nach dem letzten großen Luftangriff vom 23. März 1945
gibt es nur mehr kleinere Angriffe meist sowjetischer Bomber sowie
Beschuss mit Bordkanonen von sowjetischen Tieffliegern aus. ( Denkbuch Moosbrunn.)

1945
Nach der Befreiung Budapests durch die Rote Armee am 13. Februar 1945 ziehen Kolonnen ungarischer Flüchtlinge mit Ross und Wagen auch durch Gramatneusiedl Richtung Westen. Mit ihnen treffen rückflutende Einheiten der Deutschen
Wehrmacht im Ort ein, welche über Nacht auch einquartiert werden müssen, und die Herden geraubter Rinder Richtung Wien mit sich treiben.
( Denkbuch Moosbrunn.)

1945
Am 16. März 1945 beginnt die Rote Armee vom Raum Székesfehérvár (Ungarn) aus ihren Vorstoß auf Niederösterreich.

1945
Am 19. März 1945 erlässt Adolf Hitler (1889–1945) seinen Befehl »Verbrannte Erde«, in welchem er anordnet, dass »alle militärischen, Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Verkehrsanlagen sowie Sachwerte innerhalb des Reichsgebietes, die
sich der Feind für die Fortsetzung seines Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit nutzbar machen kann«, zu zerstören sind. Dieser auch nach damaliger Gesetzeslage verbrecherische Befehl zeitigt auch für Gramatneusiedl beziehungsweise Marienthal am 2. April 1945 katastrophale Folgen.

1945
Am 23. März 1945 hören die Luftangriffe in der Umgebung von Gramatneusiedl weitgehend auf. Am 25. März 1945 gelingt es den sowjetischen Truppen, die deutsche Front in Ungarn endgültig aufzureißen. In der Nacht auf den Gründonnerstag, dem 29. März, kann man noch im Südosten den Lichtschimmer sehen und von dorther Geschützdonner vernehmen: An diesem Tag überschreiten Einheiten der Roten Armee die ehemals österreichisch-ungarische Grenze.

1945
Am Karfreitag, dem 30. März 1945, ist es morgens in Gramatneusiedl zunächst völlig ruhig. Dann aber wird das Dorf vom allgemeinen
deutschen Rückzug überflutet. Der Durchzug sich von der Front absetzender Truppen der Deutschen Wehrmacht, der am
1. April seinen
Höhepunkt erreicht, hört am Morgen des
2. April 1945
endgültig auf. ( Denkbuch Moosbrunn.)
Am Morgen des 30. März
wird die Zivilbevölkerung von den Dienststellen der
»Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei« (N.S.D.A.P.)
aufgefordert, Gramatneusiedl zu verlassen. ( Denkbuch Moosbrunn.)

1945
Am Ostersonntag, dem 1. April 1945, verlassen Reichsdeutsche und ortsansässige Funktionäre der »Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei« (N.S.D.A.P.) Gramatneusiedl: insgesamt etwa 300 Personen, darunter die Mitglieder der Gemeindevertretung, aber auch
alle Angestellten vom Lagerhaus Marienthal der »Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« sowie die gesamte
Lehrerschaft: Zahlreiche Häuser Gramatneusiedls stehen nun leer. Die seit einigen Tagen in Moosbrunn
(Niederösterreich)
und Gramatneusiedl anwesenden Soldaten einer SS.-Einheit verlassen jetzt ebenfalls die Orte. Die in Gramatneusiedl ausharrende Bevölkerung wird vom Arzt Andreas Hauswirth (1885–1975) und vom Kirchenrektor
Georg Grausam
(1911–1977) betreut. ( Denkbuch Moosbrunn.)
An diesem Ostersonntag wird Gramatneusiedl auch zu einer der unzähligen Stationen des Holocaust: Der am 28. März 1945 vom Lager Siegendorf im Burgenland aufgebrochene Zug von über 400 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern wird zu Fuß über das Leithagebirge
und am Nachmittag des 1. April durch Marienthal, die Hauptstraße und Bahnstraße entlang, zum Bahnhof Gramatneusiedl
getrieben, wo die völlig Erschöpften in Waggons gepfercht und nach
Mauthausen (Oberösterreich) transportiert werden. (
Denkbuch Moosbrunn.)
An diesem Tag erreicht die allgemeine Rückzugsbewegung in Gramatneusiedl ihren Höhepunkt: Auto- und Panzerkolonnen der Deutschen Wehrmacht sowie Marschkolonnen von Kriegsgefangenen aus Kaisersteinbruch
(heute zu Bruckneudorf, Burgenland) bewegen sich entlang der Hauptstraße durch
Gramatneusiedl.
In Gramatneusiedl gibt es am 1. April mehrere Bombentreffer: auf der Straße vor dem Backhaus Betty Debera, Gramatneusiedl 64 (ab 1961:
Hauptplatz 7) und auf der Wiese hinter dem
Gerätehaus der »Freiwilligen
Feuerwehr Gramatneusiedl«,
Gramatneusiedl 50 (ab 1961: Hauptstraße 1). Dabei werden Josef Dedek
(1886–1945), Franz Kovacs (um 1895–1945) und Franz Wanatka (1906–1945) getötet, zwei weitere Personen schwer verletzt. Auch Rudolf
Ambros (?–1945) wird im Zuge der
Kriegshandlungen getötet.
Ebenfalls an diesem Ostersonntag zünden Angehörige der Deutschen Wehrmacht das 1926 errichtete Heim der Kinderfreunde an und sprengen das vom Kooperator Josef Krenn (1913–1987) erbaute Nebengebäude im Garten des
Katholischen Vereins- und Kinderheims,
welches als
Pfadfinderheim gedient hatte. ( Denkbuch Moosbrunn.)
Am Abend versuchen einige wenige, noch verbliebene Funktionäre der »Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei« (N.S.D.A.P.), in Moosbrunn
(Niederösterreich) und Gramatneusiedl
gemäß Befehl vom Oktober
1944 eine Einheit des »Volkssturms« aufzustellen, doch scheitert dies am Widerstand der Männer, welche
einfach nach Hause gehen.

1945
Am Morgen des 2. April 1945 verlassen die letzten ortsansässigen Funktionäre der »Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei« (N.S.D.A.P.) Gramatneusiedl, darunter der für Gramatneusiedl zuständige Ortsgruppenleiter aus Velm
(heute zu Himberg, Niederösterreich) und Gottfried Jirousch
(1870–1962) sowie die Gramatneusiedler Zellenleiter Johann Bendl und Josef Tögel (1904–1975).
Um die Mittagszeit beginnen im Nachbarort Moosbrunn
(Niederösterreich) die Kämpfe zwischen Soldaten der Deutschen Wehrmach und der Roten Armee, welche bis zum
nächsten Tag andauern.
Gemäß dem
Befehl »Verbrannte Erde« sprengen um etwa 22 Uhr Angehörige der Deutschen Wehrmacht die
Fischabrücke, wobei auch das Kaufhaus mit Fleischerei und Alkoholausschank von
Heinrich Treer (1882–1961),
Reisenberg 118 (heute Mitterndorferstraße 2) vollständig ausbrennt, die Bäckerei Eduard Palme (1895–1984),
Reisenberg 113 (heute Reisenbergerstraße 1), das Arbeiterwohnhaus Neugebäude,
Reisenberg 114 (heute An der Fischa 1), samt Nebengebäuden und das Elektrizitätswerk
schwer beschädigt werden. ( Denkbuch Moosbrunn.) Kurz darauf stecken Soldaten der Deutschen Wehrmach das
1943 eingerichtete Depot für
Flugzeugbestandteile
der »Wiener Neustädter Flugzeugwerke« (WNF)
sowie das gesamte Lagerhaus Marienthal der »Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« mittels Benzinfässern in Brand, um die dort lagernden Vorräte, insbesondere die großen Mengen an Früchten und Lebensmitteln, zu vernichten:
auch nach damaliger Gesetzeslage ein Kriegsverbrechen. Das Feuer breitet
sich unkontrolliert aus und zerstört fast alle noch bestehenden Fabrikgebäude der ehemaligen Textilfabrik Marienthal: beinahe der gesamte seit 1855 gebaute Webereikomplex und vollständig der seit 1847 errichtete
Spinnereikomplex; noch 1946 gibt es Schwelfeuer im Lagerhausgebäude des ehemaligen Spinnerei-Hauptgebäudes.
(
Denkbuch Moosbrunn.)

1945
Der 3. April 1945 ist der Tag der Befreiung Gramatneusiedls. Etwa um 10 Uhr 30 beginnt der Kampf um das Dorf. Dabei wird das Haus von Franz Miszner (um 1893–1955), Gramatneusiedl 26
(ab 1961: Mühlenweg 1) durch Granattreffer und anschließendes Feuer völlig
zerstört, beim Haus von Adolf Tögel (1868–1946), Gramatneusiedl 104 (ab 1961: Hauptstraße 28), wird das Dach weggerissen.
Die 1764 errichtete
Steinsäule mit der Mater Dolorosa
(Schmerzhafte Mutter Gottes) wird am 3. April 1945 ebenso zerstört (1987
restauriert und an einem neuen Standplatz aufgestellt) wie die aus dem
18. Jahrhundert stammende
Statue des
hl. Johannes von Nepomuk bei der Fischabrücke anlässlich der Sprengung durch
Angehörige der Deutschen Wehrmacht am 2. April 1945, an deren Stelle
1954 eine
Steinsäule mit der Mater Amabilis (Liebenswerte Mutter Gottes) errichtet wird. Auch die Kirche Sankt Peter und Paul
erleidet beträchtliche Schäden: Der Kirchturm erhält um 10 Uhr 45 je
einen Granatdurchschuss an der Nord- und Westseite unter der Turmuhr,
und die Sakristei wird von einem sowjetischen Panzerwagen durchstoßen. (
Denkbuch
Moosbrunn.)
Nach einem nur kurzen Gefecht ist Gramatneusiedl am frühen Nachmittag des 3. April 1945 befreit. Beim Kampf um Gramatneusiedl kommen 34 Personen ums Leben: je 17 Soldaten der Roten Armee und der Deutschen Wehrmacht. Die Soldaten werden zunächst am Ort
ihres Todes begraben: beim Goldwald
(zu Ebergassing, Niederösterreich), an der Straße nach Ebergassing, und
nahe der Krautgartenbrücke. Insgesamt hat der Zweite Weltkrieg von
Gramatneusiedl 172 Opfer gefordert: 64 ermordete Soldaten, 39 Vermisste
und 69 zivile Kriegsopfer. Nicht mitgezählt sind dabei die Opfer der
nationalsozialistischen Verfolgungen. ( Denkbuch Moosbrunn.)

1945
Nach der Befreiung Gramatneusiedls beginnt das große Plündern im Ort: Vieh, Lebensmittel, Kleidung, Möbel, Geld, Wertgegenstände aller Art. Aber es sind nicht nur Angehörige der Roten Armee, die plündern, wie Pfarrer
Leopold Eder (1899–1963) festhält: »Ausländer u(nd)
Ortsbewohner (!) raubten und stahlen um die Wette.« (Denkbuch von
Moosbrunn. Band 2, S. 133.) Die Plünderungen halten einige Tage an, die Vergewaltigungen von Mädchen und Frauen durch Angehörige der Roten Armee währen jedoch noch bis in den Juni 1945
hinein, wozu Leopold Eder feststellt: »Zur Ehre und um der Gerechtigkeit willen soll es nicht verschwiegen sein: Der bessere Teil der russischen Soldaten u(nd)
Offiziere schämte sich, gab seinem Abscheu mehrmals Ausdruck!!«
(Denkbuch von Moosbrunn. Band 2, S. 134;
Denkbuch Moosbrunn.)
In diesen Wochen gibt es in unmittelbarer Umgebung Gramatneusiedls noch heftige Kämpfe: Erst am 13. April wird Wien durch die Rote Armee befreit, weshalb in Wien und damit auch Gramatneusiedl dieser Tag bis 1951 als »Befreiungstag« feierlich begangen wird,
etwa durch die Beflaggung aller Amtsgebäude. Als Nachfolger des seit
1943 amtierenden Hanns Blaschke (1896–1971), der am 6. April 1945 seinen Posten als Bürgermeister Wiens – und damit Gramatneusiedls – verliert, ernennt der sowjetische Stadtkommandant am 17. April
Theodor Körner (1900–1919: Edler von Siegringen; 1873–1957) zum provisorischen Bürgermeister Wiens, der am 14. Februar
1946
auch gewählter Bürgermeister wird.

1945
Vom April 1945 bis Juli 1946 sind in Gramatneusiedl Soldaten der Roten Armee einquartiert, etwa 40 davon im
Katholischen Vereins- und Kinderheim.

Zweite Republik
1945
Am 14. April 1945 wird von Sozialdemokraten und Revolutionären Sozialisten die »Sozialistische Partei Österreichs« (SPÖ) gegründet, am 17. April von ehemaligen Christlichsozialen die »Österreichische Volkspartei« (ÖVP). Die »Kommunistische Partei Österreichs« (KPÖ), die einen
beachtlichen Teil des österreichischen Widerstands getragen hat, wird von den sowjetischen Besatzern anerkannt. Am 21. April 1945 beginnen in Wien die Verhandlungen von SPÖ, ÖVP und KPÖ zur Bildung einer provisorischen österreichischen Staatsregierung. Am 27. April 1945 wird die Republik Österreich
wieder errichtet: Damit wird Gramatneusiedl, das bislang im
Gau Groß-Wien lag, dem Bundesland Wien zugeordnet. Der Marienthaler Arbeiter
Ferdinand Bleyer (um 1888–1953)
wird Ortsvorsteher von Gramatneusiedl, dem aber wenige Wochen später
der Konditormeister Julius Jung (1894–1979) in dieser Funktion
bis
1954 folgt.

1945
Am 8. Mai 1945 wird in Österreich das Verfassungsgesetz über das Verbot der
»Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei« (N.S.D.A.P.), ihrer Wehrverbände, Gliederungen und angeschlossenen Verbände sowie aller nationalsozialistischen Organisationen und Einrichtungen erlassen. Am 8. beziehungsweise 9. Mai 1945 endet der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands.
Noch im Mai 1945 kann in Gramatneusiedl der Schulunterricht wieder aufgenommen werden. Ab
dem 18. Mai wirkt Josef Falge als neuer provisorischer Direktor der
Hauptschule, der aber kurz darauf von Karl Geyer (1887–1978) als Direktor abgelöst wird, und
seit dem 23. Mai
Maria Ullmann (um 1896–1971)
als neue
Volksschuldirektorin.
Als erster Verein Gramatneusiedls wird nach Kriegsende der »ASK Marienthal« aktiv: Am 21. Mai 1945
findet ein
Fußballspiel gegen die Mannschaft aus der Nachbargemeinde Moosbrunn
(Niederösterreich) statt. Am 16. September 1945 trägt der »ASK Marienthal« das erste Meisterschaftsspiel in der Wiener 3. Klasse A aus.

1945
Im Mai 1945 kehrt
Walter Wodak (1908–1974), Mitarbeiter der der
Marienthal-Studie,
der im März
1938 nach Großbritannien geflüchtet war, als britischer Soldat nach
Österreich zurück.

1945
Am 14. Juni 1945 wird Franz Schorn (1905–1983) als Verwalter der
»Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« eingesetzt, und am 10. Juli 1945 übergibt das örtliche Kommando der Roten Armee die Anlagen am
Bahnhof Gramatneusiedl wieder der Genossenschaft: das alte
Lagerhaus Gramatneusiedl und die
Walzmühle. Im Herbst 1945 wird mit den Wiederaufbauarbeiten der Marienthaler Anlagen begonnen. Bis
1949 wird das
Arbeiterwohnhaus Neugebäude renoviert, und auf dem Gelände der einstigen Textilfabrik Marienthal werden die Werkstätten wiederhergestellt: Kanzleiraum, Magazinsräume und Ersatzteillager, Reparaturwerkstätte für Traktoren, Schweißerei, Schmiede, Dreherei, Tischlerei, Eisenlager, Bade- und Belegschaftsraum, Keller, Heizhaus
mit Dampfkesselanlage, Landmaschinenabstellraum. Außerdem werden
1949 die Mischerei (Mischfuttererzeugung) wieder in Betrieb genommen und bis
1949 das schwer beschädigte Elektrizitätswerk wiederhergestellt.

1945
Am 26. Juni 1945 wird das so genannte Kriegsverbrechergesetzt, das Verfassungsgesetzt über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten, erlassen. Mit Verordnung der Staatskanzlei vom 30. Juni 1945 wird die Registrierung von
Nationalsozialisten angeordnet.

1945
Gemäß dem ersten Kontrollabkommen vom 4. Juli 1945 wird Österreich unter eine Militärregierung der vier Besatzungsmächte (Vereinigte Staaten von Amerika, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich) unterstellt. Mit der Deklaration der vier
Besatzungsmächte über Österreich vom 9. Juli werden auch die Alliierte Kommission für Österreich eingerichtet und das Land in vier Besatzungszonen aufgeteilt; die Besatzungszonen werden am 24. Juli von den betreffenden Truppen bezogen. Gramatneusiedl verbleibt unter sowjetischer Besatzung in
dem seit 1. September 1945 viergeteilten Wien. Mit Gesetz vom 10. Juli 1945 wird die Verfassung der Stadt Wien in der Fassung von 1931 wieder rechtswirksam. Gramatneusiedl bleibt
weiterhin Bestandteil des
13. Wiener Bezirkes (Schwechat).

1945
Noch im Sommer 1945 wird mit den Instandsetzungsarbeiten der Textilfabrik von Kurt Sonnenschein
(1906–195?) im ehemaligen Webereikomplex
der einstigen Textilfabrik Marienthal begonnen. Durch den Brand teilweise zerstörte Webstühle werden repariert, in der während des Zweiten Weltkrieges eingerichteten Schlosserei wird eine neue Weberei eingerichtet, welche bereits
1946 in Betrieb geht, und mit einem
erhalten gebliebenen Färbkessel kann auch die Färberei wieder aktiviert werden. Der Wiederaufbau wird vor allem von den ehemaligen Betriebsleitern Peregrin Treutner
(1877–1961) und Heinrich Jerabek (1892–1952) betrieben und organisiert.

1945
Am 22. August 1945 beschließt der Rat der
United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), die Hilfs- und Wiederherstellungsverwaltung der Vereinten Nationen, Österreich in die »UNRRA-Hilfe« einzuschließen. Erst im März
1946
wird die erste Lebensmittelsendung in Österreich eintreffen.

1945
Ab September
1945 beginnen zwei
zurückgekehrte
»Mariahilfschwestern Don Boscos« wieder mit der Leitung und Betreuung des
Kindergartens Gramatneusiedl sowie der
Neuerrichtung der Pfarrjugend. Sie werden ihn bis zur Schließung im September 1970 führen.

1945
Mit 23. September 1945 wird in Österreich der Tageskaloriensatz für den Normalverbraucher von bisher 800 auf täglich 1.500 Kalorien erhöht.

1945
Nach der ungewöhnlichen Trockenheit in den Monaten April bis Oktober 1945 fällt die Ernte sehr schlecht aus: kaum Getreide und Futterrüben, kein Kraut. Auch Gras beziehungsweise Heu wird zur Mangelware, da die sowjetischen Soldaten das Gras
zur Fütterung ihrer Tiere mähen.
( Denkbuch Moosbrunn.)

1945
Seit Oktober 1945 kommt es zu massiven Felddiebstehlen und zu Diebstehlen von Haustieren (Schweine, Hasen und Geflügel). An diesen sind nicht nur Menschen aus Gramatneusiedl und Umgebung beteiligt, sondern auch aus Wien. Von dort kommen
insbesondere im Jahr 1946 fast täglich Menschen, die versuchen, Lebensmittel einzutauschen,
auch nach Gramatneusiedl. Die vermehrten Diebstähle an Nahrungsmitteln halten bis zum Frühjahr 1947 an. Dabei kommt es – zumindest im benachbarten Moosbrunn
(Niederösterreich) – auch zu Überfällen auf Ortsansässige, welche die Felder
und Gärten bewachen. In den Schrebergärten Marienthals wird für die als Wächter gegen die Diebstähle eingesetzten Personen die »oide
Mauna Hittn« (alte
Männner-Hütte), ein Wächterhäuschen, errichtet; die immer wieder ausgebesserte Hütte zwischen
Bilkovskygasse und
Lindenallee /
Marie-Jahoda-Platz wird erst Anfang Mai
1990 abgerissen.
( Denkbuch Moosbrunn.)

1945
Mit Verordnung des Staatsamtes für Inneres vom 8. Oktober 1945 werden die viersprachigen
Identitätsausweise (Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch) in Österreich eingeführt.

1945
Am 25. November 1945 finden die ersten freien und demokratischen Wahlen zum Nationalrat seit
1930 statt. Im Wahlsprengel Gramatneusiedl zeigt sich nicht nur die Dominanz des sozialistischen Lagers, sondern auch eine beachtliche Anhängerschaft der
Kommunisten: 662 Stimmen für die »Sozialistische Partei Österreichs« (SPÖ; 54,0 Prozent), 348 für die christlichsoziale Nachfolgepartei »Österreichische Volkspartei« (ÖVP; 28,4 Prozent) und 215 für die »Kommunistische Partei Österreichs« (KPÖ; 17,6 Prozent). Diese Verteilung steht in krassem Widerspruch zum
gesamtösterreichischen Ergebnis: ÖVP 1,602.227 Stimmen (85 Mandate), SPÖ 1,434.898 Stimmen (76 Mandate) und KPÖ 174.257 Stimmen (4 Mandate); die
»Demokratische
Partei«, die nur in Kärnten kandidiert, erhält 5.972 Stimmen (kein
Mandat).
Dies zeigt, dass die Bevölkerung in Gramatneusiedl trotz der jahrelangen Zäsur durch Ständestaat und Nationalsozialismus sowie dem Heranwachsen neuer Wählerschichten in der politischen
Grundeinstellung an die Zeit vor 1933 wieder anschließt. Dafür spricht auch das Wahlergebnis der zu Marienthal zählenden Siedlung Neu-Reisenberg: 70 Stimmen für die SPÖ, 35 für die ÖVP und 20 für die KPÖ.
Zugleich finden in Wien Gemeinderatswahlen statt, bei denen die SPÖ 58, die ÖVP 36 und KPÖ 6 Mandate erhalten.

1945
Mit dem Gesetz über die Schillingwährung vom 30. November 1945 wird ab 21. Dezember 1945 der Schilling als neue Währung Österreichs eingeführt, wobei Reichsmark und Schilling bis 150 Reichsmark pro Person im Verhältnis 1:1 umgetauscht
werden. Der Schilling wird bis
2001 die
gültige Währung Österreichs sein.

1945
Der Winter 1945/46 ist von großer Hungersnot geprägt. Aber auch im Frühling der Jahre 1946 bis 1948 kommt es regelmäßig zu einer massiven Nahrungsmittelknappheit.

© Reinhard Müller
Stand: Juli
2011
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