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Textilfabrik Kurt Sonnenschein
1934–1939:
Frommengersche mechanische Weberei und Schlichterei Kurt Sonnenschein in Mariental
1939–1940:
Mechanische Weberei und Appretur Marienthal
Dr. Fritz Ries,
Wien–Gramatneusiedl
1940–1945:
Fabrik Adolf Ahlers in Marienthal
1945–1958:
Kurt Sonnenschein, mechanische Weberei und Appretur Marienthal, Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Gramatneusiedl, Hauptstraße 51 (1934–1961
Nr. 217; eigentlich Adresse des neuen Portierhauses)
eröffnet 1934, geschlossen 1958
Lageplan
Nach Verhandlungen mit dem Gemeindeverwalter von Gramatneusiedl Leo Isidor Wiltschke (1876–1945) erwarb der Wiener Unternehmer
Kurt Sonnenschein (1906–195?) den
Webereikomplex der einstigen Textilfabrik Marienthal samt Direktorenwohnhaus
Herrenhaus. Seine Fabrik in Unterwaltersdorf (heute zu Ebreichsdorf, Niederösterreich) war 1933 einem Brand zum Opfer gefallen. Sonnenschein, Inhaber der Wiener »Firma Franz Frauenhart u. Kurt Sonnenschein«, richtete nun in
Marienthal eine mechanische Weberei und Appretur (mit Schlichterei, Färberei und Rauerei) ein, wobei alle Maschinen neu angeschafft wurden. Die Fabrik ging noch 1934 als protokollierte Firma »Frommengersche
mechanische Weberei und Schlichterei Kurt Sonnenschein in Mariental« mit Sitz in Wien 1., Eßlinggasse 17, in Betrieb. Zunächst wurden 350, seit 1936 allerdings nur mehr zwischen 180 und 190 Webstühle betrieben. Die Zahl der Beschäftigten betrug im Eröffnungsjahr knapp 40, 1935 bereits 70 bis 100 und 1938 etwa 130; lediglich in der ersten Jahreshälfte 1936 musste mit deutlich verminderter
Belegschaft gearbeitet werden. Das Werk vor Ort leiteten geschäftlich der Finanzleiter Peregrin Treutner
(1877–1961) und technisch der Obermeister Heinrich Jerabek (1892–1952). Produziert wurde vor allem Buntwäsche, und zwar ausschließlich für den österreichischen Markt. Um dieses Unternehmen entstand bald ein
Konflikt zwischen dem Besitzer und der Freien Gemeinde Gramatneusiedl. Kurt Sonnenschein weigerte sich, die von der Gemeinde vorgeschriebene Arealsteuer für 1936/37 im vollen Ausmaß zu zahlen, weil er sich auf eine entsprechende mündliche Vereinbarung mit Bürgermeister Leo
Isidor Wiltschke
(1876–1945)
berief, die ihn auf zehn Jahre hin von der Landesarealsteuer befreie. Tatsächlich musste Sonnenschein für 1934/35 diese Steuer nicht abführen. Mit Erkenntnis des Bundesgerichtshofes vom 22. Dezember 1937 wurde Kurt Sonnenschein jedoch
dazu verurteilt, dem Zahlungsauftrag der
Freien Gemeinde Gramatneusiedl nachzukommen.
Nach dem
»Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich wurde die Sonnenscheinsche Fabrik im Zuge der nationalsozialistischen Raubpolitik an jüdischem oder so genannt jüdischem Eigentum
»arisiert«, also geraubt. Der Familie Sonnenschein selbst gelang zwar Ende Juni 1939 die Flucht nach London, die Fabrik war jedoch seit etwa April 1939 bis September 1940 im Besitz des deutschen
»Arisierungs-Königs« Fritz Ries (1907–1977), nunmehr unter dem Namen
»Mechanische
Weberei und Appretur Marienthal Dr. Fritz Ries, Wien–Gramatneusiedl«.
Fritz Ries behielt die Marienthaler Textilfabrik nicht lange und tätigte auch keine bemerkenswerten Investitionen. Bereits im September 1940 ging das ehemalige Werk von Kurt Sonnenschein in den Besitz des deutschen Unternehmers
Adolf Ahlers (1899–1968) über.
Ahlers ergänzte die Weberei 1941 um eine Schneiderei für den Konfektionsbetrieb mit etwa 75 Nähmaschinen. Aber schon bald musste auf die Produktion für den Heeresbedarf umgestellt und 1943 das Werk kriegsbedingt
geschlossen werden. Lediglich eine kleine Näherei wurde im Heizhaus weiterbetrieben, wo ausschließlich Overalls für den
»Reichsarbeitsdienst« (RAD.) erzeugt wurden, doch musste auch diese wegen der ständigen Bombenagriffe im November 1944 eingestellt werden.
Am 2. April 1945, kurz vor Mitternacht, steckten Soldaten der Deutschen Wehrmach das Depot für Flugzeugbestandteile der »Wiener Neustädter Flugzeugwerke« im ehemaligen
Spinnereikomplex sowie den gesamten Lagerhauskomplex Marienthal der »Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« mittels Benzinfässern in Brand, um die dort lagernden Vorräte, insbesondere die großen Mengen an
Früchten und Lebensmitteln, zu vernichten. Das Feuer breitete sich unkontrolliert aus und zerstörte fast alle Fabrikgebäude der einstigen Textilfabrik Marienthal: den ehemaligen Spinnereikomplex vollständig, den
Webereikomplex zum allergrößten Teil.
Noch im Sommer 1945 wurde mit den Instandsetzungsarbeiten der Sonnenscheinschen Textilfabrik im weitgehend abgebrannten Webereikomplex der Textilfabrik Marienthal begonnen. Durch das Feuer nur teilweise zerstörte Webstühle wurden repariert, und in der während des Zweiten Weltkrieges
eingerichteten Schlosserei wurde nun eine neue Weberei untergebracht, welche bereits 1946 in Betrieb ging. Mit einem erhalten gebliebenen Färbkessel konnte auch die Färberei wieder aktiviert werden. 1950 beschäftigte die Fabrik etwa 90 Personen, fünf Jahre später rund 100, überwiegend Frauen. Der
Wiederaufbau wurde vor allem von den ehemaligen Betriebsleitern Peregrin Treutner
(1877–1961) und Heinrich Jerabek (1892–1952), dem 1952 sein Sohn Jaro Jerabek (1926–2006) folgte, betrieben und organisiert. Ungleich langwieriger als der Wiederaufbau der Fabrik gestaltete sich die Rückerstattung des im
Nationalsozialismus geraubten Unternehmens an die rechtmäßigen Inhaber, die in London gebliebene Familie Sonnenschein, welche erst um 1953 erfolgte. Die Fabrik
»Kurt Sonnenschein, mechanische Weberei
und Appretur Marienthal, Gesellschaft mit beschränkter Haftung« produzierte wieder hauptsächlich Buntweberei für den österreichischen Markt, aber auch Grundgewebe für Reifen des nahe gelegenen Werks
Traiskirchen (Niederösterreich) der Firma »Semperit«.
Im März 1958 wurde die Fabrik
»Kurt
Sonnenschein, mechanische Weberei und Appretur Marienthal, Ges.m.b.H.«, welche zuletzt rund
80 Beschäftigte zählte, stillgelegt. Bis zur endgültigen Auflösung der Firma am 31. Mai 1958 fungierte Jaro Jerabek (1926–2006) als Betriebsleiter. Schon im Juni
1958 hatte die Fabrik einen neuen Besitzer, den Wiener Textilfabrikanten Justinian Karolyi, der hier im September 1958 die
»Seidenweberei Justinian Karolyi, Fabrik Gramatneusiedl«
eröffnete.
Weitere Informationen auf dieser Website:
Große Chronik von Gramatneusiedl,
Marienthal und Neu-Reisenberg:
und

Bilder:
Nach 1945 – Das Ende der Marienthaler Textilfabrik.
Häuserbuch Marienthal
1930:
Webereikomplex, Direktorenwohnhaus Herrenhaus.
Biografien:
Kurt Sonnenschein.
Bildarchiv:

© Reinhard Müller Stand:
Juli 2010
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