Wirtschaftspolizeiliches Vernehmungsprotokoll Marie Jahodas

Wien, am 10. Dezember 1936

Bundes-Polizeidirektion in Wien

Wirtschaftspolizei. W.P. 12691/36.

10.12.[19]36.

Niederschrift


aufgenommen mit

Dr. Marie Jahoda-Lazarsfeld,

N[ationale] i[m] A[kt], welche angeibt [!]:
Die Wirtscha[ft]spsychologische Forschungsstelle war ein Verein, der sich im Jahre 1935 aufgelöst hat.
Vier Mitglieder dieses Vereines haben im Jahre 1935 (Feber–März) die Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der Wirtscha[f]tspsychologischen Forschungsstelle gegründet. Diese ist nach meiner Ansicht eine Gesellschaft nach bürgerlichem Recht. Ein Verein ist es nicht. Eine Protokollierung unseres Unternehmens ist – so viel ich weiss – nicht erfolgt, einen Gewerbeschein haben wir nicht notwendig, weil unsere Tätigkeit als wissenschaftliche gewertet wird.
Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft sind: ich als wissenschaftliche Leiterin, Heinrich Faludi als kommerzieller Leiter, Dr. Benedikt Kautsky, Mitglied der Arbeiterkammer, als Treuhänder für das vierte Mitglied Dr. Hermann Maria Spitzer aus Paris und als wissenschaftlicher Arbeiter. Dr. Spitzer hat sich mit einem Betrag von S[chilling] 10.000 in die Arbeitsgemeinschaft eingekauft.
Die Arbeitsgemeinschaft macht hauptsächlich entgeltliche Gutachten zu Fragen, die ihr vorgelegt werden. Sie hat auch unentgeltliche Gutachten gearbeitet, so z[um] B[eispiel] über das Bildungsniveau des Großstädters mit Wissen des wissenschaftlichen Pressedienstes, über die Wirkung der Arbeitslosigkeit, die mit Hilfe eines Kredites der Arbeiterkammer durchgeführt und in Buchform publiziert worden ist, u[nd] ä[hnliches] m[ehr].
Das Vermögen der Arbeitsgemeinschaft beträgt d[er]z[ei]t ungefähr S[chilling] 2.000– nicht eingerechnet die Bureaueinrichtung. Den Gesamtschuldstand der Gemeinschaft schätze ich auf ungefähr S[chilling] 6–700–. Eine grössere Zahl von Arbeiten ist im Auftrage, aber noch nicht begonnen.

cm. Unterschrift Dr. Marie Jahoda-Lazarsfeld m.p.

Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Wien, Landesgericht für Strafsachen Wien, Vr 10981/36.

© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006

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