Kriminalpolizeiliches Vernehmungsprotokoll Marie Jahodas

Wien, am 12. Januar 1937

Niederschrift


aufgenommen am 12.Jänner 1936 um 12 Uhr 45 bei der Bund[es] Pol[izei] Di[rekti]on in Wien mit

Dr. Maria Lazarsfeld-Jahoda

Nationale im Akt, welche über neuerlichen Vorhalt angibt:
Wie ich bereits bei meiner letzten Einvernahme angegeben habe, ist mir nicht bekannt, wer »Erich« ist.
Über Vorhalt des Inhaltes des Schreibens vom 30.IX.1936 beginnend »Liebe Käthe!
Frau L. Das Gespräch mit dem Erich hat folgendes Resultat gehabt.........« (Kouvert I). Erich ist ein Freund, dessen Name ich nicht nennen will, da er mit der ganzen Sache nichts weiter zu tun hat.
Der Inhalt des Briefes bezieht sich auf eine Meinungsverschiedenheit, die zwischen mir und Frau Dr. Käthe Leichter, bezüglich der Verwendung der Wilhelmine Lettner als Stenotypistin bei meiner Arbeit für das Institut des Recherches Sociales in Genf »Die Wirkung der Arbeitslosigkeit auf die Autorität in der Familie«, entstanden war. Ich hatte die Absicht, Wilhelmine Lettner allein mit der Durchführung der Schreibarbeiten zu betrauen, während Frau Dr. Leichter damit fallweise verschiedene Personen aus ihrem Bekanntenkreis hiezu verwenden wollte. Frau Dr. Käthe Leichter lehnte deshalb die alleinige Beschäftigung der Frau Lettner ab, weil diesen [!] in diesem Fall bei der Krankenkasse angemeldet hätte werden sollen. Sie drohte mir, über den Streit einen Bericht nach New York zu senden. Darauf bezieht sich auch der weitere Inhalt des Briefes und ist unter dem Institut das vorerwähnte Institut in Genf zu verstehen. Der weitere Inhalt des Schreibens ist so zu verstehen: Für den Fall, dass Frau Dr. Käthe Leichter tatsächlich den angedrohten Bericht zur Absendung gebracht hätte mußte ich befürchten, dass mir die Arbeit entzogen würde. Ferner aber, dass ich auch in Zukunft von dem Institut keinerlei Aufträge für eine Arbeit erhalten würde.
Unter dem Ausdruck »Ein Unglücksfall« meinte ich, dass durch einen Zufall die administrative Leitung des Institutes in Genf, die zu hohen Kosten bemängeln und darüber nach New York berichten würde. Bemerken will ich, dass Frau Dr. Käthe Leichter bereits früher gelegentlich von Besprechungen in dieser Angelegenheit es als einen Unglücksfall bezeichnet hatte, wenn die Arbeit infolge zu hoher Kosten eingestellt würde, da sie dadurch ihre Existenz verlieren würde. Infolge dieser Auseinandersetzungen, insbesonders des ablehnenden Verhaltens der Frau Dr. Leichter gegenüber Wilhelmine Lettner, gelangte ich zur Einsicht, dass es für Letztgenannte schwer wäre, ihre Arbeit zu verrichten und fasste den Entschluss, Wilhelmine Lettner gegebenenfalls in der Forschungsstelle oder an einem anderen Arbeitsplatz unter zubringen [!]. Der in dem Brief aufscheinende Ausdruck »Euch« ist so zu erklären, dass sich auch der Gatte der Frau Dr. Käthe Leichter [d.i. Otto Leichter1] in den Streit einmengte.
Über neuerlichen Vorhalt: Ich gebe jetzt zu, dass der in dem gegenständlichen Schreibens [!] erwähnte »Erich« wesensgleich ist mit jenem Erich, für den der »[Julius] Klanfer-Brief« und das übrige Material, welches vorgefunden wurde, (im Safe) bestimmt war. Ich gebe weiters zu, dass »Erich« der Deckname meines Auftraggebers ist. Diesen zu nennen, weigere ich mich nach wie vor.
Ich bestreite aber, dass der Frau Dr. Käthe Leichter »Erich« bekannt, bez[iehungs]w[eise] dass sie mit diesen [!] politisch in Verbindung war. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für den Mann der Frau Dr. Leichter.
Über weiteren Vorhalt: Wenn ich auch in dem mir vorgehaltenen Schreiben an Frau Dr. Käthe Leichter diesen »Erich« anführte, so sind meine Angaben trotzdem richtig, dass Frau Dr. Leichter in keiner politischen Verbindung mit »Erich« steht. Dass ich in dem Schreiben trotzdem »Erich« erwähnte, erkläre ich damit, dass ich Frau Dr. Leichter erklärt hatte, ich werde mich in dieser Angelegenheit mit einem Freunde »Erich« beraten, wie ich es immer bei Entscheidungen in schwierigen Angelegenheiten zu halten pflege.
Beendet 14 Uhr 15

V[erstanden,] g[elesen und] g[ezeichnet]

c.m. Dr. Stegerwald m.p. Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld m.p.

Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Wien, Landesgericht für Strafsachen Wien, Vr 10981/36.

1 Otto Leichter (Wien 1897 – New York City, New York 1973): Publizist, Journalist und sozialdemokratischer Politiker; maßgeblich an der illegalen Presse der »Revolutionären Sozialisten Österreichs« (RSÖ) beteiligt; emigrierte 1938 nach Frankreich und 1940 in die USA; seit 1921 mit Käthe Pick verheiratet. Anmerkung Reinhard Müller.

© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006

VERFOLGUNG & VERTREIBUNG
Verhaftung
Pressereaktionen
Beschlagnahmungen
Vernehmungen
unheimliche Heiterkeit
schreckliche Bilder
5. Jänner 1937
Polizeibericht 1
Polizeibericht 2
Haftbedingungen
Gedichte aus der Haft
Erfahrungen aus der Haft
Brief an Horkheimer
internat. Fürsprache
abgelehntes Gnadengesuch
Anklage
Hauptverhandlung
Urteil
politische Intervention
Vertreibung