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Kriminalpolizeiliches Vernehmungsprotokoll Marie Jahodas Wien, am 1. Dezember 1936 Niederschrift aufgenommen am 1. Dezember 1936 bei der Bundespolizeidirektion in Wien mit Dr. Maria Lazarsfeld-Jahoda Nationale im Akt, welche über Vorhalt zu dem Ergebnis der Hausdurchsuchung angibt.Im Jahre 19321 war von mir eine Arbeit bei Hirzl in Leipzig über die Arbeitslosen von Mariental erschienen. Diese Arbeit stellt eine Untersuchung über die Wirkung langandauernder Arbeitslosigkeit auf die Menschen dar. Diese Arbeit hatte auch der Professor der New Yorker Universität Dr. Max Horkheimer gelesen und in einem Schreiben im Frühjahr 1935 mich ersucht, mit ihm in Paris gelegentlich zusammenzutreffen. Wie ich bereits angegeben habe, weilte ich Ende Dezember 1935, anfangs Jänner 1936 in Paris and war Professor Dr. Horkheimer über meine Verständigung ebenfalls nach Paris gekommen, wo ich mit ihm zusammentraf. Gelegentlich dieses Zusammentreffens erzählte ich ihm von einer neuen Arbeit »Die Denkgewohnheiten«und machte er mir den Vorschlag, diese Arbeit auf breitere Basis zu stellen. In dieser Arbeit legte ich dar, dass Menschen von Begriffen, die sie sie [!] einmal, sei es auch in der Jugend gebildet haben, auch in späterer Zeit nicht abweichen. Professor Dr. Horkheimer ersuchte mich nun, in einer neuen Arbeit zu untersuchen, ob äußere Ereignisse, insbesonders politischer Natur, die Denkgewohnheiten der Menschen beeinflussen. In [!] erklärte Professor Horkheimer unter Hinweis auf die politische Lage in Österreich, dass ich eine solche Arbeit nicht in Angriff nehmen könnte. Er ließ aber trotzdem nicht von seinem Vorschlag, da er die Ansicht vertrat, dass diese Arbeit aber doch möglich wäre, wenn ich nur entsprechend Zeit hätte. Ich müßte kleinweise der Lage entsprechend, das Material sammeln. Da mir Professor Dr. Horkheimer keine bestimmte Frist zur Vollendung der Arbeit stellte, erklärte ich mich hiezu bereit. Nach meiner Rückkehr nach Wien begann ich ungefähr im Februar 1936 mit der Sammlung des notwendigen Materials. Ich arbeitete zuerst das Ergebnis der letzten Volks- and Betriebszählung durch. Dann wandte ich mich an Bekannte, vin [!] denen ich wußte, dass sie ihre politischen Ansichten geändert hatten und suchte zu ermitteln, welcher äussere Einfluß sie zu dieser Änderung brachte und wann dieser eingetreten ist. So z.B. war meine Mutter [d.i. Betty Jahoda, geborene Propst] vor dem Weltkrieg monarchistisch eingestellt und würde [!] unter den Eindrücken den [!] Krieges Pazifistin. Ich wollte dann durch Sammlung von entsprechendem Material feststellen, ob die Arbeiterschaft infolge der politischen Ereignisse in Österreich ihre Gesinnung geändert hatte oder nicht. Die Arbeiterschaft habe ich deshalb gewählt, weil man auf diesem Wege am besten grosses und kontrollierbares statistisches Material erhalten kann. Wie ich bereits einmal erwähnt habe, habe ich zahlreiche Bekannte aus der Zeit, als ich für die ehemalige sozialdemokratische Arbeiterpartei tätig war. Ich kannte eine Reihe von Leiterinnen der Arbeiterbibliotheken. An all diese Bekannte[n] wandte ich mich mit der Bitte, in der vorangegebenen Richtung, Material zu sammeln. Diese Personen sind diesem Ersuchen nachgekommen. Über Befragen: Diese Personen kenne ich einerseits nur zum geringsten Teil mit Namen und bin daher nicht in der Lage, sie anzugeben, andererseits will ich deren Namen aber auch nicht angeben. Diese Personen lieferten mir tatsächlich Material. Derartiges Material habe ich bis in die letzte Zeit, wenn auch sporadisch, erhalten. Zu dem Material im Kouvert C: Dies ist derartiges Material, das ich im Laufe der Zeit auf die angeführte Weise erhalten habe. Über Vorhalt: Ich hatte die Absicht festzustellen, on [!] bezüglich der einzelnen Parteien die Zahl der Anhänger ab- oder zugenommen hat. Ebenso wollte ich den Versuch unternehmen zu ermitteln, ob die Anhängerzahl dar Freien Gewerkschaft gegenüber vor dem Verbote zu oder abgenommen hat. Daher findet man derartige Berichte unter dem gegenständlich Material. Da diese Ermittlungen nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden und ich daher mit ihnen nicht viel beginnen konnte, habe ich ein Muster entworfen (Ordnungszahl a). Einer dieser Leute überbrachte mir die Vormerkungen über das Ergebnis der Betriebsratwahlen in den Saurerwerken2 und in den Hammer-Brotwerken3 (Ordnungszahl b), da er der Meinung war, dieser Bericht würde mich interessieren. Tatsächlich hatte ich aber für derartige Berichte kein Interesse. Was die beiden Buchstaben Z.K.4 in der oberen linken Ecke des Zettels bedeuten, weiß ich nicht. Zu der Vormerkung auf dem Zettel c: Ich hatte die Absicht, in diesen Großbetrieben Erhebungen in der angeführten Richtung pflegen zu lassen. Zu der Skizze auf Zettel d: Diese schematische Darstellung stammt aus meiner Hans [!]. Sie bedeutet, die Aufteilung der Arbeiterschaft der einzelnen Wiener Gemeindebezirken [!] auf Groß- Mittel- und Kleinbetriebe. Zu dem Verzeichnis des Mitgliederstandes des Gewerkschaftsbundes am 30. Juli 1936 (Ordnungszahl e). Diese Aufstellung habe ich von einem Freund erhalten, der ein Funktionär der Einheitsgewerkschaft ist. Zu der Aufstellung »Der prozentuelle Anteil der E[inheits-]G[ewerkschaft] in einzelnen Arbeiter- und Angestelltengruppen in Wien:« (Ordnungszahl f). Diese Aufstellung stamm[t] aus meiner Hans [!]. Ich stelle sie zusammen auf Grund des Ergebnisses der letzten Betriebszählungen und der Aufzeichnung über den Mitgliederstand des Gewerkschaftsbundes am 30. Juni 1936 (Anmerkung des Gefertigten: Beilage Ordnungszahl e). Zur Beilage g: Dieses Elaborat stellt eine Zusammenfassung von Berichten dar, die ich über die Verhältnisse der einzelnen Betriebe erhalten hatte. Ich hatte diese Berichte auf ähnlichen Zetteln erhalten, wie den Bericht über das Ergebnis dar Betriebsratwahlen in den Saurerwerken und Hammerbrotwerken. Diese Einzelberichte habe ich vor längerer Zeit einer Freundin, deren Namen ich nicht nenne, in die Maschine diktiert und dann die einzelnen Zettel vernichtet. Die Schreibmaschine, die hiezu verwendet wurde, ist Eigentum meiner Freundin. Ich bestreite auf das entschiedenste, dass ich von den mir zugekommenen Berichten irgendeinen illegalen Gebrauch gemacht habe. Ich habe mit der Sammlung dieser Berichte nur den Zweck verfolgt, den ich eingangs meiner heutigen Einvernahme angegeben haben [!]. Beendet 20 Uhr 30. V[erstanden,] g[elesen und] g[ezeichnet]
Stegerwald m.p.
Dr. Maria Jahoda-Lazarsfeld m.p. Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Wien, Landesgericht für Strafsachen Wien, Vr 10981/36.
1 Recte
Juni 1933. Anmerkung
Reinhard Müller.
2 Saurerwerke:
1906 in Wien gegründete Automobilfabrik (Lastkraftwagen und
Autobusse); seit 1914 »Österreichische Saurerwerke«;
1959 von der »Steyr-Daimler-Puch Aktiengesellschaft«
übernommen und 1969 mit ihr fusioniert. Anmerkung
Reinhard Müller.
3 Hammerbrotwerke:
auf Betreiben des »Niederösterreichischen
Arbeiter-Consum-Vereines« 1908/09 in Schwechat errichtete
Brotfabrik, die später um Nebenbetriebe und weitere Unternehmen
in Wien erweitert wurde. Anmerkung
Reinhard Müller.
4 Z.K.:
wohl die Abkürzung für »Zentralkomitee«,
nämlich der »Revolutionären
Sozialisten Österreichs«,
für welches Marie Jahoda tätig war. Anmerkung
Reinhard Müller.
© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006 |
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