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Staatsanwaltschaftliches Vernehmungsprotokoll Marie Jahodas Wien, am 26. April 1937 Fortgesetzt am 26.4.1937, 14:00 Uhr. Anwesend: Richter Dr. Zeilinger Schriftführer Dr. Groß. Aus der Haft vorgeführt die Besch[uldigte] Dr. Maria Jahoda-L[azarsfeld].Nach Vorhalt des Briefes vom 30.9.1936, überschrieben »Liebe Käthe«: Dieser Brief stammt von mir und ist an Frau Dr. Käthe Leichter, die gemeinsam mit mir die von [Max] Horkheimer bestellte Arbeit über die Autorität der Eltern1 durchzuführen hatte, gerichtet. Ich hatte einige Zeit vorher mit Frau Dr. Leichter eine Auseinandersetzung, die die Durchführung dieser Arbeit betrafen [!]. Sie hat nämlich gegen meinen Anordnungen, die diese Arbeit betrafen, in jedem Punkte opponiert, so daß an eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht zu denken war. Ich habe mich mit meinem Bruder [d.i. Eduard Jahoda] und dem in dem Brief genannten Erich – es ist dies der Mann, von dem ich bei meiner vorigen Vernehmung angegeben habe, daß er ein mir bekannter Sozialist ist und mich zur illegalen Arbeit veranlassen wollte, – über den Fall Dr. Leichter besprochen und der gegenständliche Brief stellt nun meine Antwort an Frau Dr. Leichter dar. Da bei der Auseindersetzung auch der Gatte der Frau Dr. Leichter [d.i. Otto Leichter2] anwesend war, wendet sich der Brief an beide. Die Sache, von deren Schädigung im Brief gesprochen wird, ist die Uebertragung der Arbeit von Dr. Horkheimer an uns. Die Frau »L.«, von der gesprochen wird, ist die Frau [Wilhelmine] Lettner. Ich wollte sie nämlich für diese Arbeit verwenden, Dr. Leichter war aber nicht einverstanden. Sie erklärte nämlich, daß durch die ständige Beschäftigung der Lettner die Ausgaben zu groß würden, so daß Prof. Horkheimer die Arbeit einstellen könnte. Dies bezeichnete sie als »Unglücksfall«. Auf dieses Gespräch bezieht sich mein Schreiben. Den Brief an Dr. [Julius] Klanfer habe ich nicht erhalten, da er in einer Zeit ins Institut gekommen sein muß, zu der ich bereits in Polizeihaft war. Ich kann daher über seinen Inhalt nichts angeben. Dr. Groß
Dr. Marie Jahoda-Lazarsfeld Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Wien, Landesgericht für Strafsachen Wien, Vr 10981/36.
1 Siehe
den Aufsatz von Marie Jahoda-Lazarsfeld: Autorität
und Erziehung in der Familie, Schule und Jugendbewegung
Österreichs<00_01_1936_01>,
in: Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte
aus dem Institut für Sozialforschung. Band
2. Paris:
Librairie Félix Alcan 1936, S. 706–725
Anmerkung Reinhard Müller.
2 Otto
Leichter (Wien 1897 – New York City, New York 1973):
Publizist, Journalist und sozialdemokratischer Politiker; maßgeblich
an der illegalen Presse der »Revolutionären
Sozialisten Österreichs<05>«
(RSÖ) beteiligt; emigrierte 1938 nach Frankreich und 1940 in
die USA; seit 1921 mit Käthe
Pick<http://agso.uni-graz.at/archive/marienthal/bibliothek/biografien/07_04_Leichter_Kaethe_Biografie.htm>
verheiratet. Anmerkung
Reinhard Müller.
© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006 |
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